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Vierzehn Stockwerke zählt das Narrenhaus, und jede Etage hat ihre eigene verrückte, tragische oder komische Geschichte. Im Keller wohnt der Erzähler dieser Geschichten, ein sechzig Jahre alter Requisiteur. Im Parterre regiert die Hausmeisterin, die versucht, der Anarchie im Haus Herr zu werden. Im siebten Stock etwa leben Transvestiten, im neunten eine ehemals betuchte Frau, die sich auf ihre alten Tage der Verfeinerung ihrer Boshaftigkeit widmet, im dreizehnten das mongoloide Kind, das eine kurze und eigentümliche Karriere beim Fernsehen macht.

Produktbeschreibung
Vierzehn Stockwerke zählt das Narrenhaus, und jede Etage hat ihre eigene verrückte, tragische oder komische Geschichte. Im Keller wohnt der Erzähler dieser Geschichten, ein sechzig Jahre alter Requisiteur. Im Parterre regiert die Hausmeisterin, die versucht, der Anarchie im Haus Herr zu werden. Im siebten Stock etwa leben Transvestiten, im neunten eine ehemals betuchte Frau, die sich auf ihre alten Tage der Verfeinerung ihrer Boshaftigkeit widmet, im dreizehnten das mongoloide Kind, das eine kurze und eigentümliche Karriere beim Fernsehen macht.
Autorenporträt
Eva Demski ist gebürtige Regensburgerin. Ihre Kindheit verbrachte sie in Regensburg, Wiesbaden und Frankfurt am Main. Später studierte sie Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie und arbeitete anschließend als Dramaturgieassistentin, Lektorin, Übersetzerin und Journalistin. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in Frankfurt, wo sie 1998/99 an der Universität die Frankfurter Poetik-Vorlesungen hielt. Ihr erster Roman Goldkind erschien 1979, gefolgt von zahlreichen weiteren Romanen, Essay-Sammlungen, Reiseführern und Bildbänden. Ihre Werke wurden vielfach ausgezeichnet. 2008 erhielt Eva Demski den "Preis der Frankfurter Anthologie".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1998

Pauline mit dem Einhorn Eva Demski besucht ein
Narrenhaus mit Fernsehzimmer Von Werner Ross

Das "Narrenhaus" steht wie ein Fangnetz vor der Ebene. In ihm wohnt alles, was sonst keinen Platz findet und Miete zahlen kann. Ein Narrenexamen braucht man nicht zu bestehen - die Narrheit bringt man mit. In diesem Narrenhaus wohnt auch der Held und Erzähler: Er heißt Dienheim. Er ist beim Fernsehen angestellt, und zwar als Requisiteur. Er muß ausgewählte Möbel beschaffen und sich auf Stile verstehen. Er zeichnet auf, was ihm in diesem Haus alles zustößt, und macht einen angenehm zu lesenden Roman daraus.

Herr Dienheim wird gerade sechzig. Er ist unaufhaltsam neugierig und hat zu diesem Zweck Freundschaft geschlossen mit zwei alten Damen: Mafalda Trautwein und Sybille Heisterberg. Die beiden sammeln ununterbrochen Nachrichten, und Mafalda, Maffy genannt, hat ihre Wohnung sogar zu einem Café ausgebaut. Der Autor nennt sie "diese vertrockneten, haltbaren Damen, denen man es ansieht, daß sie beizeiten resigniert haben und sich anstatt der anstrengenden Jugendsimulation lieber der Verfeinerung ihrer Bösartigkeit gewidmet haben".

Die alten Damen spielen auch eine Rolle in dem Kriminalfall, der den Roman trägt. Ein Mädchen namens Pauline war eine Freundin des alten Herrn. Eines Tages hatte er einen grausigen Fund gemacht, nämlich die verbrannte Leiche von Pauline, vor dem Haustor sauber abgelegt. An der Aufklärung des Falles "Pauline" sind alle Hausbewohner interessiert. Die Polizisten, die mit dem Fall befaßt waren, kamen an Sybille nicht vorbei. "Aber sie bissen sich nicht fest an den schönen Geschichten, gingen ihnen nur lustlos oder gar nicht nach - vielleicht weil sie kein Drehbuch hatten." Herr Dienheim selbst ist ebenfalls in den Fall verwickelt, denn er hatte vor kurzem ein Paket von Pauline erhalten, das ihn nun zu einem interessanten Zeugen macht. Das Paket enthält eine Kostbarkeit, nämlich das Bild einer Einhorndame. Es handelt sich um die Miniatur des "Raubes der Töchter des Leukippos" von Peter Paul Rubens. Dieses Bild gilt als verschollen, und die Geschichte des Originals der Dame mit dem Einhorn ist ungeklärt.

Herr Dienheim meldet sich erst krank und geht dann in Urlaub, verwirrt durch das Meisterwerk, das ihm in den Schoß gefallen ist. Er weiß, er wird beim Fernsehen gebraucht: "Von den Jungen kann man nicht leben, aber es gibt ja fast nur noch sie. Die alten Löwen sind marode und matt geworden und haben sich in die Legendensphäre verfügt. Wenn ich nicht ein bißchen Werbung und Serie hätte, wo sie mich mögen, obwohl es ihnen wumpe ist, daß ich zwischen den diversen Ludwigs unterscheiden und Biedermeier und Rokoko richtig schreiben kann, könnte ich gleich einen Trödelladen aufmachen."

Es macht den Reiz dieses Romanes aus, daß er Gegenwartsgeschichte anhand des Fernsehens beschreibt. Die Fernsehrealität der fünfziger Jahre wird so wiedergegeben: "Das Wahre, Gute, Schöne allabendlich in wechselnder Mixtur, damit nur ja nichts mehr passiert." Die demokratischen Verhältnisse sind gesichert: "Alles gehört endlich allen: Fritze Kortner mausgroß und Gründgens zum Ein- und Ausknipsen." Die allgemeine Hoffnung war, das Volk würde jetzt "mit seinen Reißzähnen nicht mehr über etwas unterschiedliche Artgenossen, sondern statt dessen über Kunst und Kultur herfallen, um Riesenstücke davon abzureißen". Wie es weitergehen sollte, hieß in den Worten eines Fernsehredakteurs: "Wir brauchen ein neues Totem, eine generationsübergreifende Identifikationsfigur, eine Ikone, verstehen Sie? Sie muß die Kraft haben, die Jungen eine halbe Stunde aufzuhalten." Wir wissen, daß das Fernsehen diese Ikone nicht entdeckt hat. Auch das Rätsel um Paulines Tod bleibt bis zum Ende des Romanes ungelöst. Dafür bleibt das Fernsehen immer präsent, als Karrieremöglichkeit und als Unterhaltungsmoment.

Bei den Geschenken, die Pauline für ihren alten Freund Dienheim hinterlassen hat, befindet sich ein Kochbuch, in dem mit sehr heiteren Versen gelehrt wird, wie man Menschen mit Naturprodukten umbringt: "Sind auch die Blüten dem Himmel gleich, die Wurzeln führen rasch ins Totenreich." Inzwischen ist auch die alte Dame Helene, die Hüterin des Hauses, dem Tod in die Arme gelaufen. Auf die Frage Dienheims: "Was fehlte ihr eigentlich?", sagt ihre Tochter treffend: "Sie ist alt."

Eva Demskis Roman "Das Narrenhaus" muß gelobt werden, weil er ein Stück Gegenwart in die größere Perspektive des Gesellschaftsromans stellt, in den festen Rahmen der Fernsehwelt. Von seinem Helden kann man wie von der alten Helene sagen: "Er ist alt." Selten ist das, was einen Sechzigjährigen bewegt, in seinem Schwank zwischen Genußstreben und Altersangst so genau geschildert worden wie in diesem "Narrenhaus".

Eva Demski: "Das Narrenhaus". Roman. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 1997. 448 S., geb., 45,- DM.

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