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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2001

Der Prophet in der Geschichte
Eine Mohammed-Biographie führt in das Selbstverständnis der Muslime ein

Ibn Ishaq: Das Leben des Propheten. Übertragen und bearbeitet von Gernot Rotter, Kandern 1999, 295 Seiten, 40 Mark.

Ende des 19. Jahrhunderts sagte Lord Cromer, der Statthalter Großbritanniens in Ägypten, allen Ernstes, der Islam werde bald "absterben". Wer solches heute behauptete, machte sich rundum lächerlich: Zu Beginn des dritten Millenniums ist der Islam die einzige Weltreligion, die expandiert, sein Einfluß in der internationalen Politik ist erheblich - nicht nur dank des Erdöls einiger islamischer Länder. Neben dem Islam als dem traditionellen Glauben von mehr als einer Milliarde Muslimen ist auch eine ideologische Ausformung, der politische Islamismus, erstarkt und beunruhigt nicht nur den Westen. Die Gestalt des islamischen Propheten, Mohammed Ibn Abdallah, tritt mehr denn je wieder in das Rampenlicht. Er ist nicht erst mit der Herrschaft der afghanischen Taliban oder der religiös motivierten Selbstmordattentate in Israel sogar zu einem Mann der Titelgeschichten in internationalen Magazinen geworden.

Doch wer war Mohammed? Die Urteile im Westen reichen vom "Erzfeind christlichen Namens" (Luther) bis zu "eine der wirkmächtigsten Gestalten der Weltgeschichte" (so der "Heldenverehrer" Thomas Carlyle). Der britische Orientforscher Montgommery-Watt erkennt in ihm den "prophet and statesman". Für die Muslime ist er das "schöne Vorbild", ein durch den Empfang der Offenbarung von Gott vor den anderen Menschen ausgezeichneter Mensch.

Das Selbstbild der Muslime wird - rechnet man einmal die später entstandene Heiligenverehrung ab, die mit dem Islam nichts zu tun hat - wesentlich bestimmt von dem großen klassischen Werk der "Sira" oder Biographie des Propheten ("Sirat rasul Allah") des Mohammed Ibn Ishaq, heute vorliegend in der Bearbeitung des ägyptischen Gelehrten Ibn Hischam aus dem 8./9. Jahrhundert. Wer wissen möchte, wie die Muslime ihren Propheten sehen, greife zu diesem Werk, das im Jahre 1976 von dem in Tübingen ausgebildeten, jetzt in Hamburg lehrenden Orientalisten Gernot Rotter ins Deutsche übertragen worden ist. Diese damals hochgelobte Neuübersetzung in der gediegenen Reihe Bibliothek Arabischer Klassiker (im 19. Jahrhundert hatte der Orientalist Gustav Weil schon einmal eine Übertragung vorgelegt) erlebte später noch eine Taschenbuchausgabe, war dann aber vergriffen. Nun hat der Verlag Gorski und Spohr die Übersetzung Rotters in einer neu gestalteten Form wiederaufgelegt, die alle Freunde der arabischen Literatur und die an Kenntnissen über den Islam Interessierten entzücken muß. Die bibliophile Aufmachung des Bandes erfreut den Leser zusätzlich. Die "Sira" hat sich in der vorliegenden Fassung als das grundlegende Opus zur Prophetenbiographie durchgesetzt.

Sie beginnt mit dem Stammbaum des Propheten und endet mit der Beisetzung Mohammeds im Jahre 632. Dazwischen liegen all jene Ereignisse, die die Biographie mit der Stiftung einer neuen Religion und ihrem Sieg zumindest auf der Arabischen Halbinsel verknüpfen. Es ist der Weg von Mekka über al-Medina (Yathrib) zurück nach Mekka, die "Karriere" des Halbwaisen (später Vollwaisen) vom geachteten Kaufmann zum Stifter einer Weltreligion und Herrscher über die Stämme Arabiens, die er - mit den Worten eines westlichen Islam-Gelehrten - zu einem "Super tribe" vereinigte, mit universalistischem Glaubensanspruch. Die hier dargestellten Stationen von Mohammeds Lebensweg sind jedem Muslim bekannt, tragen sozusagen fast Katechismus-Charakter. In der Moderne hat die "Sira" des Ibn Ishaq immer wieder auch zu romanhaften Darstellungen von Mohammeds Leben geführt, die aber niemals so populär wurden wie die klassische Lebensbeschreibung selbst. Die Lektüre dieses Buches führt den deutschen Leser ein in die Welt des alten Arabiens; immer wieder wird der Gang der Handlung durch Gedichte unterbrochen, wie das damals üblich war, die einen Eindruck von der hochentwickelten altarabischen Beduinenpoesie vermitteln und Einblicke in jene Mentalität geben, aus der heraus die Stiftung des Islams sich ereignete. Die westliche Forschung sieht in der "Sira" ein Werk, das "wenigstens 120 Jahre" nach dem Tode Mohammeds entstand. Doch das tut ihrer Wirkung keinen Abbruch. Vor allem läßt sie verstehen, was der Prophet bis heute der Mehrheit seiner Anhänger bedeutet. Glossar, Bibliographie und Karte, dazu eine Einführung runden das Buch ab.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

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