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Ein Österreicher kommt zum ersten Mal nach New York. Hingerissen von der Stadt, will er bleiben und ein großes Werk schreiben. Ein Titel ist rasch gestohlen: "New York, die Hauptstadt des 20.Jahrhunderts". Das Problem: er hat kein Geld. In der Bar eines heruntergekommenen Hotels lernt er den Komponisten Michelangelo Spatz kennen. Der hat das gleiche Problem - aber er weiß, wie man zu Geld kommen kann...

Produktbeschreibung
Ein Österreicher kommt zum ersten Mal nach New York. Hingerissen von der Stadt, will er bleiben und ein großes Werk schreiben. Ein Titel ist rasch gestohlen: "New York, die Hauptstadt des 20.Jahrhunderts". Das Problem: er hat kein Geld. In der Bar eines heruntergekommenen Hotels lernt er den Komponisten Michelangelo Spatz kennen. Der hat das gleiche Problem - aber er weiß, wie man zu Geld kommen kann...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.1998

Herr und Hündin
Das jüngste ist mein Leibgericht: Michael Scharang sprengselt ein

1992 war Michael Scharangs bis dato letzter Roman erschienen: "Auf nach Amerika". Sein folgender, mehrfach angekündigt und verschoben, brauchte geraume Zeit zur Fertigstellung. Kein Wunder, handelt es sich doch - am Umfang gemessen - um das Opus magnum des österreichischen Schriftstellers. Aber auch künstlerisch und intellektuell gehört "Das Jüngste Gericht des Michelangelo Spatz" zu den besten Werken dieses Autors. In mancherlei Hinsicht, vor allem im Rückgiff auf zentrale Figuren, ist der neue Roman eine Fortsetzung des früheren. Hatte "Auf nach Amerika" in Österreich gespielt, so ist nun New York Schauplatz der Handlung und zugleich mehr: ihr eigentlicher Held.

Der namenlose Ich-Erzähler, den es nach Manhattan verschlagen hat, wo er kurzfristig eine hüftoperierte Hundedame betreuen soll, will dort an einem Buch über New York als Hauptstadt des 20. Jahrhunderts zu arbeiten beginnen. Die Verbeugung vor Walter Benjamin, der Paris zur Metropole des 19. erklärt hat, versteht sich dabei von selbst. Auch die übrigen Hausgötter Scharangs tauchen in seinem epischen Pandämonium auf. Ausdrücklich Karl Kraus, dessen Sprachphilosophie anhand eines kleinen Exempels Tribut gezollt wird. Diskreter zeigt sich Robert Musils Einfluß. Zum einen in der essayistischen Schlagseite des Romans. Daß darunter das psychologische Profil der Gestalten ein bißchen leidet, überrascht niemanden. Entscheidend wirkt indes das Niveau der diskursiven Einsprengsel, und das kann sich durchaus sehen lassen. Denn der von der jüngsten Vergangenheit ideologisch schwer geprüfte Austro-Marxist hat weder Scharfsinn noch Witz eingebüßt. Seine These: Wir seien in die Epoche des Kleinbürgers eingetreten, in der das bürgerliche Zeitalter sich vollende. Scharangs Hoffnung, "Danach erst kann der Bürger die Welt von sich erlösen", muß freilich nicht unbedingt in Erfüllung gehen.

Zum anderen denkt der Leser unwillkürlich an Musils Essay aus dem Jahr 1922 "Das hilflose Europa oder Reise vom Hundertsten ins Tausendste". Das Prinzip der methodischen Abschweifung ins scheinbare Chaos bestimmt die barocken Handlungskapriolen des Bandes.. Keine noch so groteske Begegnung bleibt hier ohne Folgen, die bunten, vermeintlich losen Fäden geben sich irgendwann als Teil eines feinen Gewebes zu erkennen. Gewiß konstruiert Scharang Lebensläufe jenseits der Glaubwürdigkeit - allein, das biographische Durcheinander stört nicht, weil der Spielcharakter immer im Vordergrund steht.

Der tierische New Yorker Pflegefall - in Anlehnung an und Absetzung von Thomas Mann könnte man sagen: "Herr und Hündin. Kein Idyll" - ist bloß der Ausgangspunkt für Expeditionen in eine buchstäblich verrückte Gegenwart. Ihr versucht Scharang mit List und Tollkühnheit der Vernunft beizukommen. Leicht ist des Romans Inhaltskern herauszuschälen und ebenso leicht zu vergessen: Der Erzähler plant ganz nebenbei mit dem Komponisten Michelangelo Spatz, dem Stiefsohn seiner Geliebten, eine perfekte TV-Serie, die den Konsumenten andauernd an die Glotze zu binden verspricht. Da für den gewaltigen Vorschuß keinerlei Gegenleistung erbracht wird, endet das Projekt in Betrug und Flucht. Eine Petitesse, sonst nichts. Ins Gewicht fällt dafür das Drumherum samt seinen unzähligen Exkursen. Mit unerschütterlicher Heiterkeit beschreibt Scharang Familientragödien, sexuell Deftiges bis hin zu den Perversionen des letzten Vertreters "der alten erotischen Schule", grandiose Mutterneurosen und - immerhin - Musik- als Gesellschaftstheorie.

Solch elegante Vielfalt erfrischt und macht die Lektüre über weite Strecken zum Vergnügen. Von seinem Thomas-Bernhard-Ton, der halb Huldigung war und halb Parodie, ist Scharang mittlerweile fast völlig abgekommen. Darum sind die wenigen Sätze in einschlägiger Manier unbefangen zu genießen. Die Nationalbibliothek zu Wien, lesen wir da, heiße "deshalb so, weil nach dem Nationalsozialismus, der Österreich ausgelöscht hatte, die Enttäuschung der Österreicher darüber, daß es keinen Nationalsozialismus mehr gab, nur in Grenzen gehalten werden konnte, indem die neue österreichische Republik ihren wichtigsten Einrichtungen das Wort national voranstellte: Nationalfeiertag, Nationalrat, Nationalbank, Nationalbibliothek." In diesem netten Aberwitz liegt ein Körnchen dialektischer Wahrheit - und darüber ein Hauch von Musils Ironie. ULRICH WEINZIERL

Michael Scharang: "Das Jüngste Gericht des Michelangelo Spatz". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998, 416 S., geb., 42,- DM.

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