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Lebewesen lassen sich nicht auf die Gesetze der Physik und Chemie reduzieren; sie müssen auf jeder Stufe ihrer Organisation verstanden werden. Ernst Mayr veranschaulicht, warum der zweifellos bei vielen Fragestellungen sehr erfolgreiche Reduktionismus letztlich nicht hinreichen kann, die natürliche Welt in ihrer immensen Komplexität zu erklären. Die Biologie ist nicht zuletzt eine historische Wissenschaft, und Das ist Biologie läßt sich auch als eine "Lebensgeschichte" dieser Disziplin lesen. Der Bogen spannt sich von den Wurzeln der Naturforschung in den Werken des Aristoteles über die…mehr

Produktbeschreibung
Lebewesen lassen sich nicht auf die Gesetze der Physik und Chemie reduzieren; sie müssen auf jeder Stufe ihrer Organisation verstanden werden. Ernst Mayr veranschaulicht, warum der zweifellos bei vielen Fragestellungen sehr erfolgreiche Reduktionismus letztlich nicht hinreichen kann, die natürliche Welt in ihrer immensen Komplexität zu erklären. Die Biologie ist nicht zuletzt eine historische Wissenschaft, und Das ist Biologie läßt sich auch als eine "Lebensgeschichte" dieser Disziplin lesen. Der Bogen spannt sich von den Wurzeln der Naturforschung in den Werken des Aristoteles über die Revolution, welche die Biologie durch Darwin erfuhr, bis hin zu den spektakulären Fortschritten durch den breiten Einzug molekularer Ansätze. Ernst Mayrs Buch vermittelt ein faszinierendes Bild von der Bedeutung und vom Reichtum der Biologie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

O wie schön ist Singapur
Ernst Mayrs Lebenslehre / Von Achim Bahnen

Gäbe es einen Nobelpreis für Biologie, Ernst Mayr hätte zwei verdient. Denn neben maßgeblichen Fachbeiträgen zu verschiedenen Teildisziplinen - vor allem die zeitgenössische "synthetische" Evolutionstheorie trägt seine Handschrift - hat Mayr sich mit Erfolg bemüht, der Wissenschaft vom Leben einen konzeptionellen Rahmen zu entwerfen. Im Lob seiner Fachkollegen klingt daher zuweilen auch Erleichterung mit, daß einer der Zunft die philosophische Schwerarbeit abnehme. Ernst Mayr ist der Denker der Biologie.

Der in Deutschland aufgewachsene, doch früh in die Vereinigten Staaten gegangene, mittlerweile Vierundneunzigjährige ist sich treu und dabei jung geblieben. Was Mayr nun unter dem Titel "Das ist Biologie" in deutscher Übersetzung vorlegt, ist über weite Strecken eine Streitschrift, Polemik im besten Sinne. Daß mit Molekular- und Neurobiologie faszinierende Teilgebiete weitgehend ausgespart bleiben, läßt sich bei diesem Autor verschmerzen. Immerhin deutet er an, Lösungen für die Probleme der Welt in der Tasche zu haben: "Wissenschaftler wissen durchaus, was zu tun wäre", aber gegen eine Umsetzung "haben sich die Politiker und ein Großteil der Wählerschaft bislang gesträubt".

Das läßt den Leser aufhorchen und wissenschaftlich fundierten Rat im Schlußkapitel suchen. Es ist der schwächste Teil des Buches. Angesichts der Überbevölkerung verweist Mayr lakonisch auf die Praktiken in China und Singapur, die er "trotz des damit verbundenen Verlustes bestimmter Individualrechte" für vorbildlich hält und segensreich "für die Menschheit als Ganzes". Dem Biologen, der den modernen Artbegriff entscheidend prägte, gilt die Art alles, der einzelne nichts. Mögliche Einwände werden in dieser Perspektive zu unnützem geisteswissenschaftlichen Ballast, so als ließe sich eine humane Bevölkerungspolitik Kaninchenzüchtern anvertrauen. Ebenso enttäuschend sind die Bemerkungen zur Umweltethik, denn das behauptete "Daseinsrecht" der gesamten Natur kann aus Mayrs evolutionärem Humanismus, der die Menschen zur Arterhaltung verpflichtet, schwer abgeleitet werden. Aber lassen wir diese Feinheiten; das ist nicht Biologie.

Das Panorama seines Fachs entfaltet Mayr in gewohnter meisterlicher Klarheit. Die dichte Darstellung erfordert konzentrierte Aufmerksamkeit. Kein autobiographisches Plaudern, sondern argumentative Strenge erwartet den Leser, dem ein Glossar sowie die übersichtliche Gliederung Lektüre und Nachlese erleichtern. Wie in früheren Werken Mayrs führt der Weg zu einer Philosophie der Biologie über deren Geschichte. Anhand des historischen Antagonismus zwischen einem rein mechanistischen Physikalismus und den verschiedenen Varianten des Vitalismus illustriert Mayr die Unzulänglichkeit des Reduktionismus. Die Rückführung der Lebensphänomene auf ihre kleinsten Bestandteile ist zwar möglich, reicht aber nicht aus, um die komplexen Eigenschaften von Organismen zu erklären. Organismen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie auf verschiedenen Ebenen organisiert sind. Die alleinige Beschreibung der physiko-chemischen Ebene materieller Zusammensetzung verliert daher wesentliche Merkmale des Lebens aus dem Blick. Die heute vorherrschende Auffassung, in Anlehnung an W. E. Ritter als "Organizismus" bezeichnet, stellt die hierarchische Organisation in den Vordergrund, ohne auf eine dubiose Lebenskraft zurückzugreifen.

Ausgerechnet Kant, dem Mayr gar nichts abgewinnen mag, scheint in diesem Punkt recht zu behalten: Einen Newton des Grashalms wird es nicht geben. Inzwischen ist ihm ein Darwin zur Seite getreten, und Mayr wird nicht müde, auf die wissenschaftstheoretische Bedeutung der Evolutionstheorie hinzuweisen. Denn in der belebten Welt muß die Frage nach dem funktionalen "Wie" durch die Frage nach dem evolutionären "Warum" ergänzt werden. Ein biologisches Phänomen ist erst dann zureichend erklärt, wenn beide Fragen beantwortet sind. Mayr unterscheidet hier zwischen unmittelbaren (funktionalen) und mittelbaren (evolutionären) Ursachen, wobei für letztere in der Regel mehrere Erklärungsansätze zur Auswahl stehen. Die Evolution kennt viele Wege, und die Biologie muß dieser Vielfalt Rechnung tragen. Sie bedient sich verschiedener, einander ergänzender Konzepte und kann sich nicht auf wenige universelle Gesetze stützen.

Diese Eigenheiten biologischen Denkens versteht Mayr als Stärke, nicht als Schwäche: "Eine Wissenschaftsphilosophie, die mit Pluralismus nicht zurechtkommt, ist für die Biologie ungeeignet." Eifrig bemüht sich Mayr daher, die Mängel der herkömmlichen, auf die Physis fixierten Wissenschaftstheorie aufzuzeigen. Ein Beispiel sind Thomas S. Kuhns Thesen zur Wissenschaftsentwicklung, für die Mayr "in der Biologie praktisch keine Bestätigung" findet. Statt dessen ist er überzeugt, daß die Wissenschaft in einem Darwinschen Prozeß fortschreitet, der - wie die biologische Evolution selbst - "durch Variation und Selektion gekennzeichnet" ist. Es ist fraglich, ob damit viel gewonnen ist, zumal Kuhn selbst auf die Nähe seiner Überlegungen zu Darwins Theorie hingewiesen hat: Zumindest unter dem Aspekt des Fortschrittsgedankens sei die Analogie "nahezu perfekt". Die Auffassung, daß Wissenschaft nicht auf ein vorherbestimmtes Ziel zustrebe, sondern die Theoriedynamik einem Selektionsprozeß unterliege, vergleichbar dem biologischen "survival of the fittest", hat Kuhn damals - zu Unrecht - den Relativismusvorwurf eingetragen. Diese Pointe entgeht Mayr, der sich nur für Kuhns Gegensatz zwischen Phasen "normaler Wissenschaft" und "Revolutionen" interessiert.

So unzureichend Kuhns Unterscheidung im einzelnen auch sein mag, so unbefriedigend bleibt Mayrs Modell eines "Gradualismus biologischer Fortschritte" mit einer ständigen Abfolge größerer und kleinerer Revolutionen. Es klingt, als wollte Mayr zurück zur Vorstellung einer linearen, kumulativen Wissenschaftsentwicklung. Und mit der Behauptung, die "aktive" Biologie kenne gar keine "normalen" Phasen, entwirft er das Bild eines Wissenschaftsbetriebs, dessen Protagonisten "ständig neue Vermutungen vorbringen", ohne sich über gängige Methoden und Erklärungsansätze einig zu sein. Müssen wir uns den Biologen als ewigen Revoluzzer vorstellen? Ganz so wild ist es nicht. Eine Philosophie der Biologie aber beginnt sich erst langsam abzuzeichnen. Ernst Mayr hat die Skizze dazu geliefert. Preise werden dafür in Stockholm nicht verliehen.

Ernst Mayr: "Das ist Biologie". Die Wissenschaft des Lebens. Aus dem Englischen von Jorunn Wißmann. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1998. 440 S., geb., 49,80 DM.

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