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Eine Zeitlang war Ashdown, das etwas gruselige viktorianische Schloß hoch auf den Klippen einer meerumtosten Landzunge, ein Studentenwohnheim gewesen. Dort hatten sich, Anfang der Achtziger, Sarah und Gregory, Terry und Robert flüchtig kennengelernt, bevor jeder wieder seine eigenen Wege ging. Nun, zwölf Jahre später, ist Ashdown eine Klinik für Patienten mit Schlafstörungen, und eine Reihe merkwürdiger Zufälle läßt die Freunde von damals wieder an diesem geheimnisvollen Ort zusammentreffen...

Produktbeschreibung
Eine Zeitlang war Ashdown, das etwas gruselige viktorianische Schloß hoch auf den Klippen einer meerumtosten Landzunge, ein Studentenwohnheim gewesen. Dort hatten sich, Anfang der Achtziger, Sarah und Gregory, Terry und Robert flüchtig kennengelernt, bevor jeder wieder seine eigenen Wege ging. Nun, zwölf Jahre später, ist Ashdown eine Klinik für Patienten mit Schlafstörungen, und eine Reihe merkwürdiger Zufälle läßt die Freunde von damals wieder an diesem geheimnisvollen Ort zusammentreffen...
Autorenporträt
Jonathan Coe wurde 1961 in Birmingham geboren. Er ist einer der Stars der Londoner Literaturszene; sein preisgekrönter Roman "Allein mit Shirley" wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt. Jonathan Coe lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in London.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.1999

Albtraum kleiner Nagetiere
Aufgeweckt: Jonathan Coe führt durchs Haus des Schlafes

Was Narkolepsie ist, werden die wenigsten wissen. Die Lektüre von Jonathan Coes Roman "Das Haus des Schlafes" hilft hier weiter: Es ist eine Krankheit, die zu Anfällen von unwiderstehlichem Schlafdrang führt. Narkoleptiker - und andere Schlafgestörte - werden in dem titelgebenden Haus behandelt, einer kleinen Privatklinik an der englischen Küste. Ashdown, ein altes und baufälliges Gemäuer, von Brandungswellen und heiserem Möwengeschrei umgeben, könnte den Schauplatz für eine Schauergeschichte bilden. Der englische Erzähler, Literatur- und Filmkritiker Coe, Jahrgang 1961, hat in seinem fünften Roman allerdings noch etwas anderes vor.

Die Schlafklinik wird von Gregory Dudden geleitet, der sich im Verlauf der Handlung immer mehr der bekannten Figur des verrückt gewordenen Wissenschaftlers annähert. Im Keller des Instituts veranstaltet er Experimente mit Ratten, die er durch Schlafentzug langsam und qualvoll ums Leben bringt. Sein Ziel dabei ist: den Schlaf ganz zu besiegen. Um ihm näher zu kommen, braucht er indes menschliche Versuchsobjekte; am Ende besteigt er, ganz wie der Offizier in Kafkas "Strafkolonie", selbst seine tödliche Maschine.

Diese Anspielung zeigt, daß Coe mit allen postmodernen Wassern gewaschen ist, ohne daß sie aufdringliche Wellen schlagen müßten. Sein Roman ist äußerst raffiniert konstruiert, aber von sympathischer Zugänglichkeit. Struktur und Handlung seien ihm wichtiger als die Sprache, hat er einmal in einem Gespräch gesagt; das merkt man diesem Buch an, das der Konstruktion große Aufmerksamkeit widmet. Es spielt auf zwei Zeitebenen, die sich regelmäßig abwechseln und überdies noch vom "Großrhythmus" der Schlafphasen überwölbt werden. Die Kunst Coes besteht darin, daß sich die beiden Zeitebenen gegenseitig erhellen und der Wechsel zwischen ihnen immer mehr Informationen fließen und zugleich die Spannung stetig steigen läßt.

Bevor es zum "Haus des Schlafes" wurde, war Ashdown ein Studentenwohnheim, und daß einige handelnde Personen in der Schlafklinik - Ärzte wie Patienten - sich zwölf Jahre zuvor als Studenten schon kennengelernt haben, kommt, für die Personen wie für den Leser, erst allmählich heraus. Enthüllung und Handlung gehen Hand in Hand, bis zum klassischen Endspurt-Thrill. Allerdings tut der Autor, im Stolz auf seine in der Tat bewundernswerte Kombinationsgabe, manchmal des Guten zuviel - außerhalb von Ashdown scheint es keine Menschen und Schicksale mehr zu geben, und kein einziger Lebensfaden, kein Motivchen darf sich in der großen weiten Welt verlaufen, sie müssen alle miteinander verknüpft werden, bis der Roman in einem allzu perfekten Muster aufgeht.

Coe hat viel Sinn für Situationskomik und eine ausgeprägte satirische Ader. Schon die ersten Seiten persiflieren den akademischen Diskurs der "Gender Studies", und im Verlauf des Romans werden noch weitere Stile, Genres und Institutionen der neunziger Jahre demonstriert, dekonstruiert und dekuvriert, von einer avantgardistischen Filmkritik, die jede Schmuddelästhetik dialektisch aufwertet, bis zum Infantilismus, der in den Motivationsseminaren für Führungskräfte grassiert. Wie die Erlebnisse einer der Hauptfiguren, die der Leser schon en détail verfolgen konnte, als Krankengeschichte im Jargon der Lacanschen Psychoanalyse auf absurde Weise wiederkehrt, das ist glänzend gemacht.

Aber Coe ist mehr als ein brillanter Imitator und Parodist. Von höherer Komik ist die Liebesgeschichte, die der Roman auch noch erzählt. Es ist eine Geschichte von Suchen, Finden und Verfehlen, von einer unüberschreitbaren Grenze, die der Held aus Liebe schließlich doch noch überschreitet. Wie er dies tut, ist hochkomisch und tieftraurig zugleich, und Coe gelingt es, diese Balance zu halten.

"Das Haus des Schlafes" hat also viele Qualitäten. Und doch fehlt ihm etwas: die Vertiefung und Verankerung der bewundernswürdigen Konstruktion durch ein Motiv. Der Schlaf ist nämlich keines, er ist bloß Rahmen und roter Faden, nicht der Kern des Ganzen. Narkoleptische Anfälle sind bei dieser Lektüre nicht zu befürchten. MARTIN EBEL

Jonathan Coe: "Das Haus des Schlafes". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Piper Verlag, München 1998. 396 S., br., 44,- DM.

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