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Repräsentanten einer texanischen Kleinstadt haben Professor Singer aus Wien darum gebeten, eine Geschichte Europas zu verfassen. Der Haken an der Sache ist, daß der alte Kontinent als marode und verkommen und, im Gegensatz dazu, Amerika als jungfräulich und unbefleckt dargestellt werden soll. Als der Professor merkt, daß er diese Arbeit nicht nur mit trockener Wissenschaftlichkeit bewältigen kann, kommt ihm die Erzählerin dieses Buches zu Hilfe. Sie legt eine humorvolle Version der jeweiligen geschichtlichen Ereignisse vor.

Produktbeschreibung
Repräsentanten einer texanischen Kleinstadt haben Professor Singer aus Wien darum gebeten, eine Geschichte Europas zu verfassen. Der Haken an der Sache ist, daß der alte Kontinent als marode und verkommen und, im Gegensatz dazu, Amerika als jungfräulich und unbefleckt dargestellt werden soll. Als der Professor merkt, daß er diese Arbeit nicht nur mit trockener Wissenschaftlichkeit bewältigen kann, kommt ihm die Erzählerin dieses Buches zu Hilfe. Sie legt eine humorvolle Version der jeweiligen geschichtlichen Ereignisse vor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2009

Das Zarte und das Krasse

Alter schützt vor Jugend nicht: Die Manesse-Bibliothek hat "Das große Spektakel" von Inge Merkel aufgenommen - und endlich wieder zugänglich gemacht.

Wenn einem gleich im ersten Satz mit Genussentzug und Gewissensbelastung gedroht wird, falls man die "gelehrten Partien" dieses dicken Buchs "auslässt", und wenn einem dann auf der zweiten Seite verboten wird, das Vorwort, das 160 Seiten umfasst, zu "überschlagen", fällt einem Daniel Pennacs "Wie ein Roman" ein, in dem einige Rechte des Lesers aufgezählt werden. Seiten auszulassen zum Beispiel. Seltsamerweise ist man bei Inge Merkels "Großem Spektakel" weniger bei den gelehrten Partien als bei den "unterhaltsamen" versucht, manchmal ein wenig schneller zu lesen.

Der Roman ist eine Rahmenerzählung, die in Wien spielt, die Ich-Erzählerin, Merkels Alter Ego, bekommt einen neuen Nachbarn, die beiden kennen sich aus alten Zeiten (und wir kennen beide aus Merkels Debüt "Das andere Gesicht"), es ist Herr Singer, Jude, Historiker, der von einer texanischen Kleinstadt den Auftrag bekam, einen "Überblick über die europäische Geschichte mit Bevorzugung ihrer Greuel- und Irrsinnsabschnitte" zu schreiben, allerdings erwarte man "Spannung, Unterhaltung, action". Damit steckt der gute Singer in der Patsche, er braucht das Honorar, ist aber nur zu "übergelehrten Abhandlungen" fähig. Dazu gehört auch, dass er vor allem die Religionen interessant findet, den Ursprung aller Kultur und Kunst. Er fängt bei der vielbrüstigen Artemis von Ephesos an, bei der "die große Auseinandersetzung der beiden Religionskonzepte beginnt", des Weiblichen und Männlichen, des Sinnlichen und Rationalen. Singers Beitrag ist hinreißend, gerade durch seine Abschweifungen und Fußnoten, die, wenn man nur einen Funken Spaß an den chaotischen Verhältnissen antiker Götterwelt und den Anfängen unseres Christentums hat, ungemein spannend und von einer, möchte man sagen, erotischen Gelehrtheit sind.

Für die Amerikaner ist das natürlich alles zu trocken und zu hochtrabend. Zum Glück springt die Nachbarin ein, die Frau Doktor, sie verwandelt die Tatsachen in sogenannte Windeier, "unseriöse Machwerke", in denen aber die Komik das Gleiche ist wie die "Punzierung für ein Goldstück". Herrlich wieder, Punzierung oder nicht, als Singer den Boden seiner Wohnung mit Marienbildchen belegt, darunter der Darstellung einer lasziven Madonna. Sie wäre Grund genug, nach Amiens zu reisen, dort steht sie hüftschwingend am Südportal der Kathedrale, der englische Kunsthistoriker Ruskin hat ihr den hübschen Beinamen "La soubrette picarde" (die picardische Zofe) gegeben; auch Proust hat sie sehr bewundert. Auch diese Episode schmückt die Ich-Erzählerin wieder aus und erzählt sie als historischen Roman, sie macht das verlockend und geheimnisvoll, mit viel Atmosphäre, aber irgendwie fehlt doch der geistige Anreiz.

Artemis und Madonna, sie geben den Anlass zu herrlichen philosophischen Streitgesprächen zwischen Singer, seiner Nachbarin und noch einem Dritten im Bunde, dem Benediktiner Thugut, es geht um Kult und Anbetung, um Götzen und Götter, der Jude wirft dem Christen Populismus vor, der Christ dem Juden elitäres Verhalten. Die Erzählerin sucht sich von beidem etwas aus; in ihre ebenso elitäre wie bedenkenswerte Warnung vor dem "Pöbelmorast", den ungebildeten und unaufgeklärten Massen, steckt eine Prise Cioran, Stichwort: "Verfehlte Schöpfung", und Ortega y Gasset, für den die Masse einfach "subhuman" war.

Nolens volens kommen wir irgendwann ins zwanzigste Jahrhundert, die Zeit des "großen Spektakels": "das Opfer Mensch, bedroht vom Bösen, gerettet von einer göttlichen Person". Aber was über Hitler gesagt wird, ist schwach, vielleicht fiel der Erzählerin zu ihm auch nichts ein. Wenn sie dagegen von "Massenerregungen im Namen mißbrauchter beziehungsweise mißverstandener Religionsfragen" spricht, hat das heute eine Aktualität, von der die Autorin damals noch nichts ahnte. Nun ist das Granteln österreichische Tradition, und im Schmähen des Gegners ist die Merkel gnadenlos. Aber diese beinahe überzüchtete, grelle, mit austriakischen Preziosen gespickte Sprache zeugt doch von tieferer Verzweiflung.

Inge Merkel wurde 1922 in Wien geboren und hat einiges erlebt. Als das Deutsche Reich zum Großdeutschen wurde, unter dem Jubel der Österreicher, war die junge Inge Klauner sechzehn, dann studierte sie Klassische Philologie und Geschichte und machte 1944 ihren Doktor, ein paar Monate vor dem sowjetischen Einmarsch. An der Universität Wien war sie Dozentin bei den Altphilologen, später war sie bis zu ihrer Pension Gymnasiallehrerin für Latein. Sie lebte immer in Wien, sterben wollte sie dort offenbar nicht: Ein Jahr vor ihrem Tod im Januar 2006 ging sie zu ihrer Tochter und den Enkelkindern nach Mexiko, sie wurde 83 Jahre alt. Mit sechzig erst hat sie debütiert, Erfahrung und Bildung eines langen Lebens gehen in ihr Werk ein, sie kannte sich in der Antike und dem christlich-jüdischen Denken aus (die Katholikin war mit einem Juden verheiratet), das sind die Wurzeln Europas, das ist die Basis dieses Ideenromans. Ihren Furor hat sie dabei nicht eingebüßt, sie pflegte ihre jugendliche Wildheit. Jugendlich ist auch ihr Augenmerk auf die Sexualität. Das ist eine Hauptthese: Enterotisierung von was auch immer führt in Krieg und Verderben. Das klingt etwas banal, aber Inge Merkel führt es uns an banalen Beispielen vor: Allein die wörtliche, nichtpoetische Übersetzung der klassischen Sprachen verjage jede Lust, mache uns zu humorlosen Tugendbolden und lauter kleinen Diktatoren.

Bezaubert ist man von diesem Buch nicht, eher überwältigt von der zügellosen Sprache, die "von zartesten Wortbildern und feingedrechselten Perioden zu den saloppesten Wendungen, den krassesten Kraftausdrücken reicht", wie eine begeisterte Hilde Spiel in dieser Zeitung zu Merkels Roman "Die letzte Posaune" anmerkte. Das Zarte und das Krasse, es kann uns, in diesem heftigen Zusammenprall, vielleicht doch verzaubern. Man kennt ja selten den Grund der Unterhaltungen, denen sich die Menschen widmen, sicher haben sie oft mit Manien und Obsessionen zu tun, hier in diesem Buch, das 1990 zuerst erschien und jahrelang vergriffen war, ist es jedenfalls überdeutlich: Im "Großen Spektakel" ist es Inge Merkel bitterernst, und gleichzeitig macht sie sich einen großen Spaß.

PETER URBAN-HALLE

Inge Merkel: "Das große Spektakel". Eine todernste Geschichte, von Windeiern aufgelockert. Roman. Mit einem Nachwort von Ernst-Wilhelm Händler. Manesse Verlag, Zürich/München 2008. 768 S., geb., 24,90 [Euro].

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