Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 30,00 €
Produktdetails
  • Nexus Bd.76
  • Verlag: Stroemfeld
  • Seitenzahl: 594
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 810g
  • ISBN-13: 9783861091769
  • ISBN-10: 3861091763
  • Artikelnr.: 14596253
Autorenporträt
Jan Süselbeck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Marburg und an der Universität Siegen und Redaktionsleiter der Zeitschrift literaturkritik.de. 2012 war er Gastwissenschaftler des Graduiertenkollegs "Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert" an der Universität Göttingen. 2004 Promotion an der FU Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Emotionsforschung, Postcolonial Studies, Interkulturalität, Literatur nach Auschwitz, Literarischer Antisemitismus, Gegenwartsliteratur, Literaturvermittlung in den Medien, Film- und Theaterwissenschaft
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2007

Mit Abscheuklappen
Jan Süselbeck vergleicht Arno Schmidt mit Thomas Bernhard

Gegenseitige Verachtung hat sie aneinandergebunden, die alte Bundesrepublik und die Intellektuellen. Was wurde nicht geschimpft und verdächtigt in den Jahren des Wiederaufbaus, die manchen nur als Restauration vorkamen. Wenn in letzter Zeit die Literatur immer wieder als Medium der Erinnerung ins Spiel gebracht wird, dann muss für die Nachkriegsjahre ein erhebliches Gefälle zwischen künstlerischer Wahrnehmung und rückblickender Diagnose festgehalten werden - dass heute von einer Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik gesprochen wird, wäre seinerzeit als alarmierendes Zeichen der totalen Verblendung gedeutet worden.

Zu den vielen Stimmen, die dem Nachkriegsdeutschland nicht eben viel abgewinnen konnten, gehörte Arno Schmidt. Vom Engagement mancher Kollegen hielt er sich fern, bekundete aber seine Haltung in eindeutigen Interviews und famosen Briefen - wie etwa 1956 an Alfred Andersch, nachdem ihm wegen Gotteslästerung eine Anzeige ins Haus gekommen war: Er plane, sich nach dem Vorbild Bölls ins neblige Irland davonzumachen, und freue sich schon, dort dem Briefträger zu entgegnen, wenn der mit einer Prozessvorladung oder einem Einberufungsbefehl an der Türe stünde: "The Germany kann me furchtbar leckn!!" Sich selbst bezeichnete er als eine der letzten "Lichterscheinungen dicht vorm Untergang".

Jan Süselbeck hat für seine Berliner Dissertation den Versuch unternommen, den eigensinnigen Skeptiker mit einem anderen Provokateur zu vergleichen und wählte dazu Thomas Bernhard aus, dem auf österreichischer Seite die wohl passioniertesten Nationalschmähungen zu verdanken sind. Zwei Antiheimatliteraten, die sich nie begegnet sind und vermutlich nicht einmal gegenseitig wahrgenommen haben, sollen also zu einer exzentrischen Bruderschaft vereinigt werden. Das war dem Verfasser am Ende selbst nicht mehr so ganz geheuer, so dass er auffallend vorsichtig resümiert, dass die "Parallellektüre" zumindest ein "gangbarer Weg" gewesen sei, um aus der Kontrastierung neue Denkanstöße zum schmidtschen OEuvre zu gewinnen.

Die zunächst willkürlich erscheinende philologische Umklammerung unter dem Thema der Zeitkritik bringt die zwei Solipsisten einander allerdings tatsächlich näher, als man anfangs denkt. Das betrifft nicht nur die Tatsache, dass beide als Artisten der Sprachkunst längst zum Kanon des von ihnen verachteten Kulturbetriebs aufgenommen worden sind. Die meisten Konvergenzen, die Süselbeck ausgelotet hat, ergaben sich im kuriosen Fundus ihrer ausgeprägten Ressentiments. So waren beide keine besonderen Anhänger der Demokratie: Sie trauten dem Wahlvolk nicht und stilisierten ihre Misanthropie mit elitärem Gestus. Sie legten ihren Lesern die Einschätzung nahe, dass Fortpflanzung ein Verbrechen und Jäger Faschisten seien.

Die Parallelität ihrer Tunnelblicke trägt Süselbeck mit großem Befremden zusammen. Regelrecht entsetzt zeigt er sich über das "platte Vorgehen" der beiden, wenn es um das "Dritte Reich" geht. Bernhards unbeirrte Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit dem Katholizismus stößt ihn ebenso ab wie Arno Schmidts misslungener Versuch, den Holocaust als Wiederaufnahme von Dantes Höllenvision und der Inquisition darzustellen.

Bei der biographischen Herleitung solcher Merkwürdigkeiten zeichnen sich dann die ersten Differenzen ab. Schmidt war älter, geboren 1914, und hatte den Krieg phasenweise als Wehrmachtsoldat in Norwegen und als Flüchtling aus Schlesien erlebt, während Bernhard, geboren 1931, zu Kriegszeiten Schüler auf dem Salzburger Johanneum war. Der Affekt, den Bernhard gegenüber gewissen Kontinuitäten zwischen dem alten und dem neuen Österreich pflegte, war insofern unbelasteter als die Position Schmidts. Süselbeck stellt bei letzterem einen Hang zum Selbstmitleid fest, wenn sich Schmidt etwa über die verlorenen Jahre als "KriegsGeschäDichter" beklagt.

Das nimmt er zum Anlass, um sich im zweiten Teil seiner Arbeit auf eine detailliertere Suche nach der Auseinandersetzung mit der Schoa im jeweiligen Werk zu machen. Bei Bernhard ist der Fall rasch geklärt; in seinen Dramen lebt der Nationalsozialismus in grellen Kammerspielen fort und arbeitet das fortwirkende Grauen konsequent an der "Auslöschung" der Humanität. Bei Schmidt will Süselbeck sich nicht mit der Faschismuskritik der Leviathan-Erzählung begnügen, sondern wendet sich, inspiriert von der jüngst aufgekommenen Denkfigur einer "anwesenden Abwesenheit", der Bildlichkeit in thematisch eher entfernten Texten zu. So kommt es, dass der Erzählzyklus "Kühe in Halbtrauer" plötzlich eine Landschaft lexikalischer Volltrauer eröffnet. Aus vorbeifahrenden Klein-Lkws werden assoziativ Leichenwagen, abgehackte Erlenbüschel erinnern an abgeschnittene Haarbüschel, ein Schornstein verweist implizit auf ein Krematorium und der erloschene Ofen einer Ziegelei auf Auschwitz . . . Da stellt sich die Frage, ob es sich dabei nun um den Effekt absichtlicher Kunstfertigkeit handelt oder um die unbewusste Tragik der Weltwahrnehmung mittels einer historisch verseuchten Sprache. Das erzeugte Netz metonymischer Anspielungen und behaupteter "Deckerinnerungs-Orte" ist jedenfalls frappierend, wird aber von Süselbeck selbst fortwährend als hochspekulativer Interpretationsakt deklariert, was dem Leser die Meinungsbildung nicht gerade erleichtert.

Der aufreizende Titel der Untersuchung, der auf Schmidts Schule der Atheisten anspielt, wird analytisch leider kaum fruchtbar gemacht. Denn in beiden Bestandteilen, im Lachen ebenso wie im Atheismus, steckt noch unerschöpftes Deutungspotential. Das betrifft zum einen die Aufarbeitung des Katholizismuskomplexes, bei Bernhard hinsichtlich seiner prägenden Schulbildung, bei Schmidt hinsichtlich seiner eventuellen Distinktionsstrategie im literarischen Feld der Nachkriegszeit. "Hinter Schmidts räsonnierendem Aufklärungs-Helden steht eine Landschaft, die die pure Offenbarung ist. Schmidt muss sich notwendig antichristlich gebärden in einer Welt, der der tödlich-eiskalte Adenauer als ,christlicher Staatsmann' präsentiert wird", schrieb Alfred Andersch, um Schmidts Erzählung "Seelandschaft mit Pocahontas" ausgerechnet einem katholischen Verlag als produktives "Ärgernis" zu empfehlen!

Zum anderen ruft das Stichwort des Gelächters nicht nur die "Transformation des Entsetzens in Komik" auf, die Süselbeck sinnvollerweise als Adorno-Reflex bei beiden Autoren konstitutiv am Werke sieht. Der Erfolg, der Bernhard auf Bestsellerniveau und Schmidt über eine prominente Fangemeinde hinaus beschieden war, basierte zu einem guten Teil auf einem Lachen, mit dem das Publikum die Poeten der Abscheu auch als brillante Komiker der schlechten Laune erkannte. Hier sei noch die Anekdote erwähnt, dass der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl zu Arno Schmidts fünfundsechzigstem Geburtstag 1979 einen dicken Strauß Rosen schickte - das nennt man dann wiederum schwarzen Humor.

ROMAN LUCKSCHEITER

Jan Süselbeck: "Das Gelächter der Atheisten". Zeitkritik bei Arno Schmidt und Thomas Bernhard. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2006. 596 S., br., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beinahe überrascht zeigt sich der Rezensent Roman Luckscheiter davon, dass das Konzept von Jan Süselbecks Dissertation durchaus aufgeht. Auf den ersten Blick nämlich scheinen ihm Arno Schmidt und Thomas Bernhard - über die heftige Ablehnung des Landes, in dem sie lebten, hinaus - wenig gemeinsam zu haben. Die "Parallellektüre" offenbart dann aber doch manche Übereinstimmung - wenngleich nicht nur im Guten. So teilten die beiden einander persönlich und wohl überhaupt unbekannten Autoren zum Beispiel elitäre, misanthropisch fundierte "Ressentiments" gegenüber Demokratie und Mitmenschen. Allzu simpel findet Süselbeck auch die expliziten Auseinandersetzungen Schmidts und Bernhards mit dem Nationalsozialismus. Freilich eröffne sich in der auf die "anwesende Abwesenheit" der Shoah konzentrierten Lektüre von Schmidts Erzählungsband "Kühe in Halbtrauer" eine "Landschaft lexikalischer Volltrauer". Die Frage, was von den so lesbar gemachten Trauer-Texturen sich auch wirklich der Intention des Autors verdankt, lässt Süselbeck zum Bedauern des Rezensenten freilich offen.

© Perlentaucher Medien GmbH