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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.1998

Faible für Horror und Histörchen
Biographie über die Brüder Coen

Wenn kleine Krämer und kleine Ganoven vom großen Geld träumen, geraten sie sich entweder ins Gehege oder sie kommen miteinander ins Geschäft. In dem Provinznest in Minnesota machen sie gemeinsame Sache: der stets abgebrannte Autoverkäufer, der seine Abhängigkeit vom reichen Schwiegervater abschütteln will, und die beiden Herumtreiber, die einen neuen Wagen und Scheine für ihre nächsten Bordellbesuche brauchen. "Fargo" heißt der Film, in dem das scheinbar belanglose Komplott um die Entführung der eigenen Ehefrau ausgemalt wird und der den Brüdern Ethan und Joel Coen neben dem Zuspruch von Kritikern und Juroren erstmals Erfolg an der Kinokasse bescherte.

Ein Wiedersehen mit "Fargo", dem vorigen Werk der Coen-Brüder, gab es jetzt im Deutschen Filmmuseum Frankfurt. Nicht nur weil das Duo gerade mit "The Big Lebowski" wieder Furore macht, sondern da das Buch "Das filmische Universum von Joel und Ethan Coen", die erste deutsche Biographie der beiden Amerikaner, jetzt vorgestellt wurde: Stefan Rogall, der das Werk gemeinsam mit Annette Kilzer verfaßt hat, las aus seinen Passagen jene Teile, die biographisches Basiswissen über die Stars am amerikanischen Independent-Himmel vermitteln. Er skizzierte einen Bogen von der Geburt der Professorensöhne (1955 und 1958) über kindliche Vorlieben von Doris Day bis Tarzan und erste Stilübungen bei Remakes von Hollywood-Epen mit der Super-8-Kamera bis hin zu professionellen Erfahrungen als Cutter von billigen Horrorschinken.

Die Zusammenarbeit mit dem berüchtigten Splatter-Regisseur Sam Raimi war sicher ebenso prägend wie später die Mißerfolge mit teuren Produktionen. Empfahlen sich die Brüder erst mit ihren Drehbüchern, schätzte Rogall sie schon mit dem Debüt "Blood Simple" als führende Stilisten, die mit dem richtigen Mix aus bizarrem Humor, bissiger Ironie, treffender Lakonie und spürbarer Lust am Zitat die Komödie mit dem Thriller verschmelzen.

So ungewöhnlich wie ihre Filme, etwa "Barton Fink" oder "Hudsucker Proxy", sind die öffentlichen Auftritte des brüderlichen Teams, in dem der ältere Joel für die Regie und Ethan für die Produktion verantwortlich ist. Sie setzen dabei den schmalen Grat zwischen Fiktion und Realität aus ihren Filmen fort, deutet der Biograph an. Sie geben sich geheimnisvoll, ohne wirklich etwas zu verbergen, liefern den Medien amüsante Histörchen ohne Aussagekraft, streuen Anekdoten und konstruieren Ereignisse, um Hobbypsychologen und tiefschürfende Interpreten in die Irre zu führen. Vor allem unterwerfen sie ihre Schauspieler und die Crew wie sich selbst einer Akribie und Disziplin, die den improvisierten Zufall ausschließt und die man nicht immer bemerkt.

In "Fargo" allerdings sieht man den Bildern an, daß sie planvoll komponiert und nicht spontan inszeniert wurden. Der ästhetische Entwurf einer vereisten und in grenzenloses Weiß getauchten Landschaft mit geometrischen Spuren, in der sich ein Drama voller Unberechenbarkeiten mit absurden und katastrophalen Entgleisungen abspielt, beeindruckt. Die Erzählung bietet undurchsichtige, unberechenbare Figuren auf und bestätigt trotzdem manches klischeehafte Vorurteil. Sie täuscht einen unterhaltsamen Schabernack an, um mit blutigen Schocksequenzen zu überrumpeln. Sie deutet unverbindliche Unterhaltung an und fesselt unwiderstehlich mit einem Panorama profilierter Charaktere.

Man kann das Buch von Rogall und Kilzer, das im Marburger Schüren-Verlag erschienen ist, als Gebrauchsanweisung für die Filmrezeption nutzen. Nicht, daß die Coens, die keine Godards oder Rohmers sind, der Interpretation bedürften. Aber es ist reizvoll, sich mit ihrer jeweiligen Systematik vertraut zu machen. Bei "Fargo" etwa ist das Prinzip der Montagefolge zu entdecken, die den Ekel einer handelnden Figur auf den Zuschauer überträgt. JÜRGEN RICHTER

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