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Das große Panorama des 19. Jahrhunderts
Der europäische Kontinent durchlief zwischen 1815 und 1914 eine drastische Transformation mit grundlegenden Veränderungen in Kultur, Politik und Technik. Großstädte schossen innerhalb einer Generation aus dem Boden, und neue europäische Länder gründeten sich. Zwischen der Schlacht von Waterloo und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs beherrschte Europa den Rest der Welt wie niemals zuvor oder je wieder danach. Der renommierte Historiker Richard J. Evans taucht tief ein in die Revolutionen und Kriege jener Zeit, befasst sich mit Gesellschaft, Religion…mehr

Produktbeschreibung
Das große Panorama des 19. Jahrhunderts

Der europäische Kontinent durchlief zwischen 1815 und 1914 eine drastische Transformation mit grundlegenden Veränderungen in Kultur, Politik und Technik. Großstädte schossen innerhalb einer Generation aus dem Boden, und neue europäische Länder gründeten sich. Zwischen der Schlacht von Waterloo und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs beherrschte Europa den Rest der Welt wie niemals zuvor oder je wieder danach. Der renommierte Historiker Richard J. Evans taucht tief ein in die Revolutionen und Kriege jener Zeit, befasst sich mit Gesellschaft, Religion und Philosophie und entwirft ein außergewöhnlich facettenreiches, überraschendes und unterhaltsames Panorama des 19. Jahrhunderts in Europa.

Mit zahlreichen Abbildungen.

Ausstattung: Mit 20 Abbildungen und zwei umfangreichen Bildteilen
Autorenporträt
Richard J. Evans, geboren 1947, war von 1998 bis 2017 Professor für Neuere Geschichte an der Cambridge University. Seine Publikationen zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und zum Nationalsozialismus waren bahnbrechend. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Wolfson Literary Award for History und die Medaille für Kunst und Wissenschaft der Hansestadt Hamburg. 2012 wurde Evans von Queen Elizabeth II. zum Ritter ernannt.
Rezensionen
»Eine beeindruckende Leistung.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Thomas Speckmann, Redenschreiber im Finanzministerium, lernt beim Cambridger Historiker Richard J. Evans, dass Disruption nichts Neues ist. Wenn der Autor die Umbrüche in Kultur, Politik und Technik zwischen 1815 und 1914 aufzeigt, wird Speckmann ganz schwindelig, so drastisch erscheinen ihm die Transformationen. Verdienstvoll an Evans' anschaulicher Darstellung scheint dem Rezensenten, der heutigen Geschichtsvergessenheit auf die Sprünge zu helfen und die Brüche der Vergangenheit deutlich zu machen. Das von Evans erfasste Jahrhundert als eigenständigen Abschnitt europäischer Geschichte zu sehen, erscheint Speckmann nach der Lektüre gut nachvollziehbar.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2019

Rückblick auf Europas Weltherrschaft

Armeen, Ideen und Keime halten sich nicht an Grenzen: Richard J. Evans wählt für seine Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts einen breiten Fokus.

Welchen Stellenwert hat das neunzehnte Jahrhundert? Richard J. Evans' Buch erscheint in einer Phase, in der die Geschichtswissenschaft versucht, das Säkulum neu zu vermessen. Phänomene wie Globalisierung, Migration, nationale Machtpolitik oder die Rückkehr des Religiösen scheinen Parallelen zum neunzehnten Jahrhundert aufzuweisen. Gerade aber weil das Jahrhundert lange Zeit im akademischen Abseits stand, sind Publikationen von Gewicht, die auch einem breiteren Publikum die Bedeutung der Epoche in Erinnerung rufen.

Kaum ein Buch hat die Forschungen zum neunzehnten Jahrhundert zuletzt so beflügelt wie Jürgen Osterhammels "Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts" (2009). Zwangsläufig ist dieses Standardwerk die Referenzgröße, an der sich auch Evans orientieren, von dem er sich aber zugleich abgrenzen muss. Osterhammel hatte sich konsequent von der Chronologie verabschiedet und das Jahrhundert in systematisch analysierte "Panoramen" und "Themen" unterteilt. Das macht es möglich, sich ein beliebiges Kapitel - von "Lebensstandards" über "Imperien und Nationalstaaten" zu "Hierarchien" oder "Wissen" - herauszugreifen. Evans hingegen ist zu einem chronologischen Erzählen zurückgekehrt und empfiehlt eingangs, das Buch von vorn nach hinten zu lesen - was in Anbetracht des Umfangs durchaus eine Herausforderung darstellt.

Erleichtert wird die Lektüre durch einen Erzählstil, der nah an den Erfahrungen sein soll, weshalb immer wieder Zeitzeugen, darunter berühmte Autoren wie Dickens, Balzac oder Dostojewski zu Wort kommen, deren Romansequenzen als Spiegel der gesellschaftlichen Verwerfungen ihrer Zeit herangezogen werden. Auch baut Evans in seine Darstellungen der politischen Ereignisse, die gerade in ihrer unvermeidlichen Verdichtung spröde zu werden drohen, immer wieder anekdotische Auflockerungen ein. So erfährt man, dass der spanische König Ferdinand VII. Papierflieger warf, dass die Teilnehmer am Wiener Kongress 1814/15 zehntausend Silberlöffel mitgehen ließen oder dass Arnold Schönbergs Atonalität auf den Ehebruch seiner Frau zurückzuführen sein soll.

In der Binnengliederung des Buches orientiert sich Evans an Eric Hobsbawm, dem er sein Buch auch widmet. Hobsbawm hatte seinerzeit das Jahrhundert in drei "Zeitalter" untergliedert: das der Revolutionen, des Kapitalismus und des Imperialismus. Analog widmet sich das erste von Evans' insgesamt (nur) acht Kapiteln dem "Erbe der Revolution" und das letzte dem Imperialismus. Sie gehören zu den vier Kapiteln, die einem politikgeschichtlichen Ansatz folgen. Sie werden von jeweils zwei ergänzt, in denen eine sozial- und wirtschafts- beziehungsweise kulturgeschichtliche Perspektive dominiert.

Evans möchte "Vielfalt" nicht nur durch verschiedene methodische Zugänge, sondern auch durch einen breiten geographischen Fokus zur Geltung bringen. Sein "Europa" besteht nicht wie oft üblich nur aus einem westlichen Kern. Ost- und Nordeuropa werden ebenso integriert wie Süd- und Südosteuropa. Dadurch gewinnt die Restauration nach dem Wiener Kongress gleich einen anderen Anstrich, waren die südlichen Länder doch weniger von biedermeierlicher Heimeligkeit als vielmehr von einer Kette revolutionärer Erschütterungen geprägt. Geschickt gelingt es Evans zudem, immer wieder nicht nur ähnliche Entwicklungen, sondern transnationale Verbindungen aufzuzeigen, die den europäischen Staaten ein (bedingt) gemeinsames Gepräge gaben - durch die grenzüberschreitenden Bewegungen von Anarchisten, Armeen, Ideen oder Krankheitserregern. Immer wieder geht es nicht nur um innereuropäische, sondern auch globale Wirkungszusammenhänge. Schließlich bekräftigt schon der Titel des Buchs einen Umstand, den auch Osterhammel hervorhob: In keinem anderen Jahrhundert konnte Europa der Welt dermaßen seinen Stempel aufdrücken wie in diesem.

Das gelang allerdings nicht allen europäischen Staaten gleichermaßen: Das neunzehnte Jahrhundert war vor allem das Jahrhundert der Briten. In ihrer unumschränkten Seeherrschaft sieht Evans neben der Bereitschaft der europäischen Staatsmänner, ihre Konflikte in Konferenzen zu klären, den Schlüssel zum Verständnis, warum dieses Säkulum vergleichsweise friedlich blieb. Was allerdings nicht heißt, dass es keine Gewalt gab. Ganz im Gegenteil gingen Machthaber bei der Niederschlagung von Aufständen durchaus brutal vor. Gerade auf dem Land gehörte Gewalt - sei es in der Repression durch den Gutsherren, in Bauernrevolten oder auch nur in der bäuerlichen Festkultur - lange zum Alltag.

Es zählt zu den Spezifika dieses Buches, dass der Großteil der sozialgeschichtlichen Kapitel Bauern und Arbeitern gewidmet ist. Auch das Sachregister verrät, wie sehr demgegenüber das Bürgertum zurücktritt (selbst wenn dessen Ideen, wie Liberalismus und Nationalismus, ein breiter Raum zugemessen wird). Das erstaunt, weil das neunzehnte Jahrhundert als das bürgerliche par excellence gilt, wird aber dem Proporz der Bevölkerungsgruppen gerecht. Und weil die Hälfte der Bevölkerung weiblich war, ist es auch richtig, immer wieder auf die Lage von Frauen zu sprechen zu kommen, deren Kampf um das Wahlrecht Evans als das "letzte große Schlachtfeld" im "Aufstieg der Demokratie" würdigt.

Die rechtliche Schlechterstellung der Frauen hatte Evans schon im Kapitel über Gefühle thematisiert. Frauen und Emotionen waren Desiderate in Osterhammels Werk. Allerdings lässt sich am Beispiel von Evans' Emotionskapitel die Problematik zeigen, die mit womöglich unvermeidlichen Simplifizierungen in Überblickswerken dieses Formats einhergeht. So ist das neunzehnte Jahrhundert nur dann als "Zeitalter des Gefühls" zu bezeichnen, wenn man das vorangegangene kurzerhand zum "Zeitalter der Vernunft" deklariert. Dass aber gerade das Zeitalter der Aufklärung eine Epoche der Wertschätzung der Gefühle war, mit bedeutenden Folgen für die Französische Revolution, weshalb fortan den restaurativen Kräften auch an einer Einhegung der Gefühle lag, wäre leicht bei William M. Reddy, einem der bedeutendsten Emotionshistoriker, nachzulesen gewesen.

Auf welche Quellen und Forschungen Evans sein breites Wissen stützt, ist bedauerlicherweise nicht nachzuvollziehen: Es gibt keinen Anmerkungsapparat, und das Literaturverzeichnis ist übersichtlich. Evans hätte dem Leser durchaus mehr an Kontroversen über Deutungen und theoretische Zugänge teilhaben lassen können, auch wenn das zu Lasten des Erzählens gegangen wäre. Dennoch ist sein Buch eine beeindruckende Leistung. In der Quintessenz führt es ein Jahrhundert vor Augen, das für Fortschritt und Emanzipation, für den Ausbau von Infrastruktur, Technik und Seuchenbekämpfung, für fortschreitende Demokratisierung und rechtliche Gleichheit steht - aber auch für die damit verknüpfte Hervorbringung immer neuer Formen von Ungleichheit, Repression und Gewalt.

Der zivilisatorische Firnis des europäischen Bürgertums war dünn, was sich in den Kolonien und schließlich im Ersten Weltkrieg zeigte. Ruft man sich die desolate Situation zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts in Erinnerung, als Europa mit den Folgen der antinapoleonischen Kriege zu kämpfen hatte, so erschreckt, mit welcher Sehnsucht am Endes des Jahrhunderts manch Bürgersohn einem neuen Krieg entgegenfieberte - und wie wenig die europäischen Staatsmänner unternahmen, um diesen Krieg zu verhindern.

BIRGIT ASCHMANN

Richard J. Evans: "Das europäische Jahrhundert". Ein Kontinent im Umbruch 1815-1914.

Aus dem Englischen von Richard Barth. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018. 1024 S., Abb., geb., 48,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Evans verbindet ernste Wissenschaft mit meisterhafter Erzählkunst; er erweckt die Vergangenheit zum Leben. Sein Buch enthält eine imposante Menge und Vielfalt an Zahlen und Fakten, Zeitzeugenberichten und vergnüglichen Anekdoten.« Neue Zürcher Zeitung "Bücher am Sonntag"