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Löst sich die Kunstgeschichte unter dem Ansturm neuer Bildmedien in eine universelle Bildwissenschaft auf? So lautet eine oft gestellte Frage. In der inzwischen modisch gewordenen Diskussion um die Methoden der Kunstgeschichte ist Hans Beltings Essay "Das Ende der Kunstgeschichte" längst ein Klassiker. Er hat nicht nur entscheidend zum Verständnis der aktuellen Kunstentwicklung beigetragen, sondern zugleich die Einsicht in die Notwendigkeit einer radikal erweiterten Kunstwissenschaft jenseits von Eurozentrismus und Kolonialismus gestiftet. Der erfolgreiche Band wird hier, mit einem Nachwort versehen, erneut vorgelegt…mehr

Produktbeschreibung
Löst sich die Kunstgeschichte unter dem Ansturm neuer Bildmedien in eine universelle Bildwissenschaft auf? So lautet eine oft gestellte Frage. In der inzwischen modisch gewordenen Diskussion um die Methoden der Kunstgeschichte ist Hans Beltings Essay "Das Ende der Kunstgeschichte" längst ein Klassiker. Er hat nicht nur entscheidend zum Verständnis der aktuellen Kunstentwicklung beigetragen, sondern zugleich die Einsicht in die Notwendigkeit einer radikal erweiterten Kunstwissenschaft jenseits von Eurozentrismus und Kolonialismus gestiftet. Der erfolgreiche Band wird hier, mit einem Nachwort versehen, erneut vorgelegt
Autorenporträt
Hans Belting, geboren 1939 in Andernach, leitete von 2004 bis 2007 das Internationale Forschungszentrum für Kulturwissenschaften in Wien. Zuvor lehrte er nach Stationen an den Universitäten Heidelberg und München an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, die er 1992 mitbegründete, und hatte 2003 den Europäischen Lehrstuhl am Collège de France in Paris inne. Er ist Mitglied des Ordens pour le Mérite für Wissenschaften und Künste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.1995

Ende einer Episode
Hans Belting über die Geschicke von Kunst und Kunstgeschichte · Von Eduard Beaucamp

Die akademische Kunstgeschichte hat ein gespaltenes Verhältnis zur Kunst ihres eigenen Jahrhunderts. Sie nahm sie nur sporadisch wahr und begleitete sie selten hilfreich und aufklärend. Als sich die Avantgarden der Zukunft verschrieben und sich die Kunstbegriffe zu dehnen begannen, wandte sich die Kunstgeschichte um so entschlossener der Vergangenheit zu und suchte dort ihre Stoffe, Methoden und Ideale und befestigte dort ihre Stilbegriffe. Beargwöhnt wurden Außenseiter, die sich mit der Moderne verbündeten. Das änderte sich erst in den letzten Jahrzehnten mit dem Anschwellen des Kunstbetriebs und dem Aufstieg der modernen und zeitgenössischen Museen. Doch die kunsthistorische Zunft ist heute erst recht gespalten. Wer in der Szene sein Auskommen findet, verliert alle Scheu und Distanz und wird nach dem Studium schnell zum willigen Apologeten der laufenden Ereignisse. Dabei öffnet sich vielfach eine große Kluft: Methodische Ergründungen und kritische Wertungen bleiben hinter der werbenden Propagierung der neuen Kunstphänomene und der Identifikation mit neuen Ideen zurück. Die Kunstgeschichte verliert mit der Distanz einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit. Gibt sie sich damit auf?

Hans Belting, eine Autorität seines Fachs und vor allem bewandert in der Analyse historischer Bildbegriffe, stellte vor zehn Jahren die Frage nach dem "Ende der Kunstgeschichte". Er hat den Essay von damals nun einer Revision unterzogen, ihn erweitert und umgeschrieben. Dabei hat er das Fragezeichen fallengelassen und somit das Ende proklamiert. Die Grundthese ist fast vermessen. Belting möchte mit einem Schlag verlorenes Terrain zurückerobern, sein Fach wieder an die Spitze der Diskussion stellen und das Schicksal der Kunstgeschichte mit dem der Kunst verknüpfen. Die Behauptung eines solch parallelen Schicksals ist verblüffend, da es doch auf der Hand liegt, daß das Projekt Kunst und das Projekt Kunstgeschichte auseinandergelaufen sind und beide sich früh aus den Augen verloren haben. Belting aber sieht Gemeinsamkeiten in der Absage der frühen Kunstgeschichte wie der Kunst an den Historismus, Parallelen im Entwurf eines neuen Geschichtsbildes und einer neuen Ästhetik, in der Suche der Kunstgeschichte nach dem wahren Stil und dem Streben der Kunst nach Autonomie und Reinheit, mithin in einer Verabsolutierung von Stilgesetzen und Formwandlungen, welche die Gegenstände und Inhalte verschwinden lassen.

Belting erzählt seine Doppelgeschichte kunstvoll, ja virtuos und erläutert und bekräftigt sie gerne durch Metaphern und Bilder - etwa durch die vom ausgedienten und verlorenen Rahmen. Die Verhältnisse hätten sich so gründlich verändert, daß Kunst und Kunstgeschichte von der Gegenwartskultur "ausgerahmt" würden. Mithin sei das Ende der Kunst nichts anderes als das Ende einer Erzählung. Offen bleibe dabei, ob sich bloß die Erzählung ändere oder ob es überhaupt nichts mehr zu erzählen gebe. Belting lamentiert nicht, er bleibt gelassen und ironisch. Keine fundamentalen Verluste werden beklagt. Konstatiert wird nur das Ende einer Episode im Turnus größerer Geschichtsabläufe.

Kritiker diagnostizieren seit Jahrzehnten ein "Ende der Moderne". Inzwischen hat sich Endzeit-Pessimismus auch auf die Kunsthistoriker ausgedehnt. Mit den Klagen verbinden sich Ängste vor Kunst- und Zukunftsverlust und vor Rückfällen in eine finstere Geschichte, welche die Errungenschaften von Freiheit, Aufklärung und Kritik wieder aufs Spiel setzen. Belting bleibt zum Glück gleichmütig. Nie ist so krampfhaft eine Epoche verteidigt worden, welche die Vergänglichkeit mit anderen Jahrhunderten teilt und seit langem Züge der Ermüdung und Entleerung zeigt. Der Durchbruch der modernen Kunst wäre nie gelungen, wenn der Wert und Fortschritt des neunzehnten Jahrhunderts, etwa des Realismus und Impressionismus, so verbissen über ihre virulenten Phasen hinaus verteidigt und kanonisiert worden wären. Die Verteidigung der Moderne ist Teil ihrer Ideologie, die jede Geschichtlichkeit und Relativierung leugnet und sich selbst zur unüberbietbaren und unrevidierbaren Vollendung der Geschichte erklärt. Inzwischen sollten Distanz und kritische Kenntnis so groß sein, daß man Errungenschaften wie Verhängnisse eines so ambivalenten Jahrhunderts gerecht abzuwägen imstande ist.

Belting sieht klar den dramatischen Mentalitätswandel der letzten Jahre, welcher der "Moderne" die meisten Grundlagen entzogen hat: die Überwindung der alten Gattungen und Bildbedürfnisse, den Sieg der Massenkultur und der neuen Medien, denen sich die einst souveränen Künste heute andienen, manchmal fast unterwerfen, die Auseinandersetzung mit einer von einem anderen Geschichtsbild geprägten Ostkunst, damit die Relativierung einer "Westkunst", die sich selbst zur "Universalerbin der Geschichte" und zum Vormund einer globalen Weltkultur erklärt. Nach Belting haben diese Veränderungen auch Folgen für eine konsistente Kunstgeschichte. Sie entfällt als Leitbild, da die Geschichte allgegenwärtig und verfügbar ist. Sie zerfällt, weil die Künstler jedes eindeutige und lineare Geschichtsbewußtsein und damit auch jede Fortschreibung in die Zukunft verabschieden. Überdies treten heute Künstlertheorien an die Stelle von Kunsttheorien: Statt Werke zu schaffen, stellen die Künstler selbst die Frage nach dem Wesen der Kunst und werden zu Philosophen des eigenen Mediums.

In einer Epoche globaler Offenheit und Unbestimmtheit, so der Autor, paßt der alte Rahmen nicht mehr für die Kunst noch für die Kunstgeschichte, die ihrerseits nur einen begrenzten Nutzen für eine begrenzte Idee von Kunst hatte. Belting macht sich radikale Fragen zu eigen: ob die Kunst noch autonom sei und sich nicht bereits imitierend und nachvollziehend an die Phänomene der Trivialkultur, an die Medien, an Werbung und Design anhänge, ob sie künftig einen Platz in der Massenkultur behaupten werde oder ob sie "mit der abbröckelnden historischen Kultur vergeht".

Belting denkt auf weiten Strecken in Spiralen. Er operiert mit einem Kunstgeschichtsbegriff, der die traditionelle Kunstgeschichte hinter sich läßt, der sich mit einem Zukunftsbegriff von Kunst verbinden möchte und daher schemenhaft und unausgefüllt bleibt. Es ist ein Fortschritt, daß die Kunstwissenschaft die kritische Wahrnehmung und das Theoriebewußtsein der Kunstkritik nachzuvollziehen beginnt. Der Akademiker Belting hat sich mit größter Neugier und Gelehrsamkeit in den zeitgenössischen Kunstbetrieb vertieft. Er verarbeitet in seinem Essay alle neuen Namen, Ideen und Trends. In seinem kreisenden Panorama ergeben sich freilich Schwankungen und Widersprüche. Seitdem Belting den Lehrstuhl der Münchner Universität mit dem der Karlsruher Medienhochschule vertauscht hat, nimmt er sich auch der Apparate-Ästhetik und Medienkunst an. Wird in seinem Text die klassische Moderne ziemlich energisch zum alten Eisen getan, richten sich Aufmerksamkeit und Hoffnung um so emphatischer auf die neuen, unausgegorenen Mischkünste. Doch ein bloßer Pferdewechsel, räumt Belting ein, neue Techniken und Inszenierungen erzeugen noch keine neue Kunst.

Die "Maschinenkunst" ist seit der Romantik immer wieder als Variante im Repertoire der Moderne aufgetaucht. Sie erweitert und vervielfältigt das Angebot, hat es aber bisher nicht kategorial verändert. Zu warnen ist vor Hoffnungen auf elektronische "Interaktivität" und auf die Spiele im "Regelkreis", welche Wahlfreiheit vorgaukeln, dabei aber die reale Freiheit programmieren und einschränken. Alles spitzt sich heute auf die Frage zu, wozu künftig die letzte abendländische Fiktion noch taugt: ob das Individuum mit seiner Freiheit weiter eigene Welt- und Geschichtsbilder entwerfen kann und Gegenwelten erfinden darf oder ob die Medien- und Massengesellschaft nur interaktiv kontrollierbare Rollen erlaubt. Mit dieser Frage steht und fällt die Zukunft der Kunst.

Hans Belting: "Das Ende der Kunstgeschichte". C. H. Beck Verlag, München 1995. 233 S., 48 Abb., br., 34,-DM.

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