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Alles Einhorn? Vom Wunderallheilmittel der Antike bis zum Symbol der Queer-Bewegung in der Moderne - eine spannende Reise durch die Kulturgeschichte
Aus der Wunderkammer ins Kinderzimmer, vom christlichen Motiv zum Symbol der Queer-Bewegung: Das Einhorn fasziniert die Menschen seit jeher. Während es sich heute als fantastisches Motiv auf T-Shirts tummelt, bestand in der Antike und im Mittelalter kein Zweifel an seiner Existenz. Erst im 17. Jahrhundert wiesen es Naturforscher dem Reich der Fabeltiere zu. Bernd Roling und Julia Weitbrecht erzählen von der bewegten Geschichte des Einhorns. Sie…mehr

Produktbeschreibung
Alles Einhorn? Vom Wunderallheilmittel der Antike bis zum Symbol der Queer-Bewegung in der Moderne - eine spannende Reise durch die Kulturgeschichte

Aus der Wunderkammer ins Kinderzimmer, vom christlichen Motiv zum Symbol der Queer-Bewegung: Das Einhorn fasziniert die Menschen seit jeher. Während es sich heute als fantastisches Motiv auf T-Shirts tummelt, bestand in der Antike und im Mittelalter kein Zweifel an seiner Existenz. Erst im 17. Jahrhundert wiesen es Naturforscher dem Reich der Fabeltiere zu. Bernd Roling und Julia Weitbrecht erzählen von der bewegten Geschichte des Einhorns. Sie führen uns durch Naturgeschichte und Medizin, Literatur und Kunst, aber auch durch die Medienlandschaft der Gegenwart. Auf unterhaltsame Art zeigen sie: Aus unserer Vorstellungswelt ist das Einhorn nicht wegzudenken - und seine Bedeutung erschöpft sich nicht in dem flauschigen Bild, das die Popkultur heute von ihm entwirft.
Autorenporträt
Bernd Roling ist Professor für Mittel- und Neulatein an der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsinteressen gehören die Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, unter anderem hat er sich mit Drachen und Sirenen in der Frühen Neuzeit beschäftigt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2023

Vom Ende des Regenbogens im Galopp über die ganze Welt

Einhörner sind seit

Tausenden von Jahren

angesagt: Bernd Roling und Julia Weitbrecht rekapitulieren die Geschichte der Faszination für

das Fabelwesen.

Von Ursula Scheer

Kinderzimmer unserer Tage hat es mit einer solchen Penetranz seiner Herrschaft unterworfen, dass selbst das Aufbegehren gegen seine allgegenwärtige, regenbogenfarben glitzernde Putzigkeit zum Hit wurde: Marc-Uwe Klings "Neinhorn" weigert sich im gleichnamigen Bilderbuch hartnäckig, ewig glücklich durch einen Zauberwald zu traben, wie es Einhörner in der kollektiven Vorstellung tun. Wie weit diese kommerziell immer noch trägt, lässt sich beim Gang durch jede beliebige Fußgängerzone oder Online-Shoppingmeile beglaubigen: Einhörner prangen auf Turnschuhen und Rucksäcken, zieren mit verträumten Sprüchen Kalender oder Kaffeebecher und zeigen auf Kondomverpackungen frech ihr Profil. Selbst wenn der Hype um das Fabelwesen, der in Deutschland vor einigen Jahren mit einer praktisch über Nacht zum Verkaufsschlager avancierenden Einhorn-Schokolade ihren Höhepunkt erreichte, schon abgeebbt ist: Die weißen Pferdchen mit dem Horn auf der Stirn sind immer noch überall. Mehr Mainstream kann eine phantastische Kreatur kaum werden. Grund genug zu fragen: Wie konnte es so weit kommen?

Bernd Roling, Professor für Latein des Mittelalters und der frühen Neuzeit an der FU Berlin, und Julia Weitbrecht, Professorin für ältere deutsche Sprache und Literatur an der Universität in Köln, gehen der Frage mit geisteswissenschaftlichem Handwerkszeug nach und graben tief: In ihrem Band "Das Einhorn" erzählen sie die "Geschichte einer Faszination" von den Anfängen an. Mag es auch ein chinesisches Einhorn geben, die Autoren konzentrieren sich auf den europäischen Kulturkreis, beginnend mit der antiken Zoologie. Bereits dort nämlich war das Einhorn nicht bloß ein fremdartiges Wesen, von dessen realer Existenz man jahrhundertelang überzeugt war, sondern eine Projektionsfigur.

Märchenhafte Farbigkeit, die Fähigkeit, vor allerlei Übel zu schützen, und die charakteristische Kopfzier zeichneten schon im fünften vorchristlichen Jahrhundert ein schwer zu fangendes einhörniges Wesen aus, das der griechische Arzt Ktesias von Knidos - selbstverständlich ohne persönliche Anschauung - in seinem Traktat über Indien beschrieb. Spätere Autoren kolportierten das nur zu gerne, Einhorn und Nashorn zuweilen in eins setzend, bis im zweiten Jahrhundert nach Christus der unbekannte Verfasser des weithin rezipierten "Physiologus" dem Einhorn eine wirkmächtige Charakteristik andichtete: Nur eine Jungfrau sei imstande, das Tier zu zähmen oder zu fangen. Isidor von Sevilla bekräftigte das, und was ein Kirchenvater glaubte, musste stimmen: Der Weg des Einhorns ins christliche Mittelalter war gebahnt.

Nach der auf Aktualität gebürsteten allzu knappen Einleitung, in der es schlaglichtartig um das mädchenhaft konnotierte Einhorn in "Harry Potter", Vorwürfe der Transphobie gegen die Autorin J. K. Rowling sowie die Anschlussfähigkeit des Regenbogentiers an die LGBTQ-Bewegung geht, kommt der Band mit den historischen Kapiteln zu sich - und in den Teilen über das Einhorn als religiöses Symbol und Liebessymbol erst richtig ins Erzählen. Wir erfahren, wie ein Übersetzungsfehler das Tier in die Bibel holte und folglich auf ungezählte bildliche Darstellungen der Arche Noahs.

Zwischen christologischer Theologie und Minnesang steigt das Einhorn, das sein Haupt in den Schoß einer Jungfrau bettend von einem Jäger mit der Lanze durchbohrt wird, zum schillernden Sinnbild auf. Aus ihm lassen sich die Menschwerdung und der Opfertod Christi ebenso herauslesen wie die Jagd als Metapher höfischer Liebe oder Tücke der Frau. Mann, Frau, Einhorn: Das Wechselspiel der Trias zeigen Roling und Weitbrecht erfrischenderweise nicht an jenen Tapisserien auf, die Rilke zu seinen Betrachtungen über die Teppiche mit diesen Motiven im Musée de Cluny inspirierten, sondern an denjenigen, die sich im Metropolitan Museum of Art in New York befinden.

Mit wissenschaftlicher Detailfreude schöpfen die Autoren aus den Quellen, fördern Meereseinhörner und Wappentiere zutage, galoppieren vom späten Mittelalter dann aber schon hurtig Richtung Gegenwart. Der Mythos von der tatsächlichen Existenz des Tieres bröckelte in der Frühen Neuzeit, als seine Hörner als die des Narwals enttarnt werden. Dennoch zerfällt er erstaunlich lange nicht: Man baute in Quedlinburg aus alten Knochen eine Art Einhorn-Wolpertinger zusammen, vermutete, Einhörner seien, wie Saurier, längst ausgestorben, oder meinte, sie gar auf dem Mond gesichtet zu haben. Erst im neunzehnten Jahrhundert wird aus dem Einhorn endgültig ein Fabelwesen - und das Buch von Roling und Weitbrecht ist schon zu Ende.

Das ist in sich schlüssig, fasst man den Begriff der Geschichte im Titel als Historie von Zauber und Entzauberung auf, wirkt aber dennoch ein wenig abrupt. Denn die Geschichte der zeitgenössischen Einhornfaszination geht, wo die Autoren enden, ja gerade erst los. Es wäre noch so viel zu erzählen und deuten gewesen über das Einhorn als Symptom für die Sehnsucht nach ewiger Kindlichkeit, nach Kitsch oder einer utopischen Anderwelt. Wie steht es um das Einhorn im Roman, Zeichentrickfilm oder in der Literatur. Rolings und Weitbrechts Buch weist indes kenntnisreich zurück auf die Grundlagen all dessen, versammelt das Bekannte und lässt ahnen: Mögen sich Flamingo oder Alpakas als angeblich neue Trendtiere ruhig warmlaufen, das Einhorn war schon so lange da, es wird uns auch noch lange erhalten bleiben.

Bernd Roling und Julia Weitbrecht: "Das Einhorn". Geschichte einer Faszination.

Carl Hanser Verlag, München 2023. 160 S., Abb., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einhörner haben den Mainstream nicht nur erreicht, sondern quasi durchschlagen, stellt Rezensentin Ursula Scheer fest. Naheliegend also, dass die beiden Sprach- und Literaturwissenschaftler Bernd Roling und Julia Weitbrecht nun ein Buch zur Rezeptionsgeschichte des Einhorns vorgelegt haben, findet sie: So ist zu lernen, dass das Einhorn als Mythos und Fabelwesen schon in der Antike Projektionsfläche menschlicher Hoffnungen und Wünsche nach Schutz war, später hat es dann als Symbol für Religion und Liebe fungiert. Das findet die Kritikerin in den historischen Kapiteln vor, die von einer für ihren Geschmack doch zu gezwungenen Einleitung begleitet werden und zwar interessante Ergebnisse liefern, wie, dass Isidor von Sevilla davon ausging, nur Jungfrauen könnten Einhörner überhaupt fangen, die aber mit dem 19. Jahrhundert allzu plötzlich aufhören. Scheer hätte sich mehr Erklärungen zur aktuellen Rezeption in verschiedensten Medienformaten gewünscht, aber trotzdem ein kenntnisreiches Buch, schließt sie.

© Perlentaucher Medien GmbH