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Steinerne Zeugnisse erinnern heute zwar noch an das "Goldene Zeitalter" der k.u.k. Monarchie, als Czernowitz die pulsierende Hauptstadt des Kronlandes Bukowina war und stolz die östlichste Universität des Westens vorwies. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg war die Vielvölkermetropole eine menschenleere Stadt. Die Deutschen hatte man "heim ins Reich" geholt, die Juden ausgerottet, die Polen, Ungarn, Armenier waren während des Krieges geflohen, und die Rumänen gingen, als die UdSSR die nördliche Bukowina annektierte.
Das Buch zeigt in vielen Bildern das alte Czernowitz und stellt ihm das heutige
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Produktbeschreibung
Steinerne Zeugnisse erinnern heute zwar noch an das "Goldene Zeitalter" der k.u.k. Monarchie, als Czernowitz die pulsierende Hauptstadt des Kronlandes Bukowina war und stolz die östlichste Universität des Westens vorwies. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg war die Vielvölkermetropole eine menschenleere Stadt. Die Deutschen hatte man "heim ins Reich" geholt, die Juden ausgerottet, die Polen, Ungarn, Armenier waren während des Krieges geflohen, und die Rumänen gingen, als die UdSSR die nördliche Bukowina annektierte.

Das Buch zeigt in vielen Bildern das alte Czernowitz und stellt ihm das heutige Tschernivzy gegenüber. Die Autoren erzählen von der Vergangenheit und Gegenwart der Stadt und beleuchten die besondere Rolle, die die Literatur hier spielte. So ersteht vor dem Auge des Lesers eine untergegangene Kulturmetropole, die es verdient hat, wieder entdeckt zu werden.
Autorenporträt
Braun, Helmut
Jahrgang 1948, Verleger und Autor, konzipierte zahlreiche Ausstellungen, u.a. "Ich reise mit meinem Seidenkoffer in die Welt - Rose Ausländer zum 100. Geburtstag" und "Viersprachenlieder erfüllen die Luft - Die Literaturstadt Czernowitz". 1996 erster Besuch in Tschernivzy, seither jährliche Aufenthalte dort, während derer er die Zeitzeugen des alten Czernowitz interviewte.

Herausgeber zahlreicher Publikationen, u.a. der Gesamtwerke von Rose Ausländer und Edgar Hilsenrath.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2005

Der Traum einer Stadt
Helmut Braun läßt das untergegangene Czernowitz auferstehen

Traum und Wirklichkeit teilen sich in Czernowitz ein gemeinsames Schneckenhaus. Czernowitz, zweiundzwanzig Poststationen von Lemberg entfernt, dieser kosmopolitische Traum im kleinen, in dem Juden, Ruthenen - so bezeichnete man in der Habsburger Monarchie die Ukrainer -, Deutsche, Griechen, Armenier und Rumänen in Harmonie miteinander lebten, war alles andere als das naturwüchsige Produkt einer günstigen welthistorischen Stunde. Das Gegenteil ist der Fall. Als im Jahr 1774 österreichisches Militär den kleinen Marktflecken besetzte, weil er mitsamt seiner Umgebung die strategisch wichtige Verbindung zwischen Nordsiebenbürgen und dem 1772 annektierten Galizien schuf, lebten dort gerade noch 338 Familien. Die Stadt Czernowitz, deren Anfänge im fünfzehnten Jahrhundert lagen, ist nicht zuletzt eine Kriegsgewinnlerin, denn die Auseinandersetzungen zwischen dem Russischen und dem Osmanischen Reich öffneten Österreich einen wichtigen Spalt in die vielumkämpfte Region. Karl Schlögel hat Czernowitz zu Recht die Großzügigkeit einer Kolonialstadt bescheinigt, die mit Bedacht alles Mittelalterlich-Winklige vermeidet und die gebaute Demonstration eines entwickelten Selbstbewußtseins ist.

Seit 1782 förderten die österreichischen Behörden die Ansiedlungen insbesondere von deutschsprachigen Kolonisten, denen Bodenparzellen überschrieben und günstige Darlehen für den Ankauf von Saatgut, Geräten und Vieh gewährt wurden. Wenige Jahre später trat das sogenannte Judenordnungspatent in Kraft, das den Juden die freie Berufswahl und die Pacht von Ackerboden erlaubte. Überdies gestattete man ihnen, deutsche Familiennamen anzunehmen. Von Bedeutung war nicht zuletzt auch, daß die Stadt im neunzehnten Jahrhundert das Recht auf vollständige Selbstverwaltung erhielt. Freilich war diese Stadt mit ihrem ganzen kulturellen Reichtum und ihrer Mehrsprachigkeit im Zeitalter des großen Eindeutigkeitsstrebens vielen ein Dorn im Auge: erst den Nationalisten und später dann den deutschen Vernichtungsrassisten. Kein Wunder, daß die Bukowina, daß Czernowitz nach 1989 einen fernen Glanz der gelebten Utopie einer multireligiösen und multikulturellen Gemeinschaft zurückerhielten. Diesem historischen Zusammenleben und seiner kulturellen Produktivität als auch der Gegenwart der Stadt ist der liebevoll gestaltete und aufschlußreiche Band über Czernowitz und die "Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole" gewidmet.

Es war einmal möglich: Zwischen 1864 und 1914 hatten das Amt des Bürgermeisters je ein Armenier und ein Pole, zwei Deutsche und zwei Juden inne. Hier, unter dem Schirm des Habsburger-Reichs, schien sich im Selbstverständnis der Bürger von Czernowitz die Nation doch einmal im Lebensalltag und nicht nur im philosophischen Konzept zum Universellen hin zu öffnen. Czernowitz war wirklich eine universelle Stadt. Das war ihr Wunder, und das wurde ihr Verhängnis. Es begann schon in der Zwischenkriegszeit, als Czernowitz rumänisch wurde. Insbesondere die Bürgerrechte der Juden, die bis zum Ersten Weltkrieg oft zwischen den nationalen Gruppen vermitteln konnten, wurden nach und nach eingeschränkt.

Welche Geisteshaltung unter der rumänischen Bevölkerung Czernowitz' herrschte, macht ein Zwischenfall augenfällig: Im Januar 1922 stürmte eine Gruppe rumänischer Studenten die Aufführung von Schillers "Räuber" im Stadttheater, weil sie Alexander Moissi, den Hauptdarsteller, für einen Juden hielten. Man wollte ein rein rumänisches Volkstheater und hatte wegen Publikumsmangels am Ende - gar keins mehr. Mit dem Theater sollte auch das bürgerliche Czernowitz an sein Ende kommen. Nahezu sämtliche Juden der Stadt wurden durch rumänische und deutsche Einheiten deportiert, ermordet oder durch Arbeit ums Leben gebracht. Das Czernowitz von Paul Celan, Erwin Chargaff, Gregor Rezzori oder Rose Ausländer gab es nicht mehr.

Nach 1945 siedelte die Sowjetunion Menschen aus Sibirien und anderen Teilen der Sowjetunion zwangsweise in Czernowitz an, aber zuvor wurden Tausende von Czernowitzer Bürgern in einer Nacht in die Sowjetunion deportiert. Die neu angesiedelten Bürger wiederum, so bunt sie auch zusammengewürfelt sein mochten, konnten unter den Bedingungen des sowjetischen Regimes den Geist der Stadt, der nur noch als architektonisches Gespenst in der Stadt lebte, nicht wiederbeleben.

Und heute? Geht man über die Flaniermeile von Czernowitz, die Olga-Kobyljanska-Straße (früher Herrengasse genannt), bemerkt man nicht nur die enormen Renovierungsanstrengungen, die hier unternommen wurden. Vielmehr glaubt man für Augenblicke, daß trotz aller sozialen Probleme durch den sowjetischen Muff wieder etwas zum Vorschein kommt, was den Anfang einer neuen kulturgeschichtlichen Epoche der Stadt bezeichnen könnte: urbane Weltläufigkeit und Gelassenheit, verbunden mit wacher Neugier. Und das alles in einem charmanten Gemisch aus Klein-Österreich und ukrainischem Lokalstolz. Es ist in jedem Fall lohnend und viel unkomplizierter, als man meint, diesem Geheimnis von Traum und Wirklichkeit vor Ort auf die Spur zu kommen.

MICHAEL JEISMANN

Helmut Braun (Hrsg.): "Czernowitz". Die Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole. Ch. Links Verlag, Berlin 2005. 184 S., 52 Farb- und 92 S/W-Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "liebevoll gestaltet und aufschlussreich" lobt Rezensent Michael Jeismann dieses Buch über die einst multikulturelle k.u.k. Stadt Czernowitz in der heutigen Ukraine. Seinen Informationen zufolge ist der Band dem "historischen Zusammenleben und seiner kulturellen Produktivität" gewidmet, deren Zerstörung und schließlich der Gegenwart der Stadt, seit sie nach dem Zweiten Weltkrieg von den Sowjets neu besiedelt wurde. Jeismann zufolge ist von den Anfängen der Czernowitz' im 15. Jahrhundert ebenso die Rede, wie von ihrem 1774 begonnenen Ausbau zur österreichischer Militär- und Kolonialstadt im besetzten Galizien. Ausführlich thematisiert der Rezensent, wie das multikulturelle Czernowitz, wo Deutsche, Juden, Griechen, Armenier, Ukrainer und Rumänen lange friedlich miteinander lebten, samt seines "ganzen kulturellen Reichtums" und seiner Mehrsprachigkeit" im 19. und 20.Jahrhundert "vielen ein Dorn im Auge" wird: erst den Nationalisten und später dann "den deutschen Vernichtungsrassisten". Gelegentlich bleibt unklar, an welcher Stelle sich Jeismann auf das Buch und wo auf eigene Czernowitz-Kenntnisse bezieht.

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