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Die Helden dieses Romans bilden ein ungleiches Paar: Florian König, 25 Jahre alt, und Pierre Cohn, der als Kind mit seinen jüdischen Eltern nach Amerika fliehen mußte und während der McCarthy-Ära, seiner Homosexualität wegen, ein zweites Mal, diesmal nach Frankreich, emigrierte. Cohn, der gebildete Kosmopolit, gibt seine Lebenserfahrung an den viel jüngeren Geliebten weiter. Ein mit Raffinesse und Witz erzählter "Bildungsroman der anderen Art".

Produktbeschreibung
Die Helden dieses Romans bilden ein ungleiches Paar: Florian König, 25 Jahre alt, und Pierre Cohn, der als Kind mit seinen jüdischen Eltern nach Amerika fliehen mußte und während der McCarthy-Ära, seiner Homosexualität wegen, ein zweites Mal, diesmal nach Frankreich, emigrierte. Cohn, der gebildete Kosmopolit, gibt seine Lebenserfahrung an den viel jüngeren Geliebten weiter. Ein mit Raffinesse und Witz erzählter "Bildungsroman der anderen Art".
Autorenporträt
Joachim Helfer, geboren 1964 in Bonn, aufgewachsen bei Frankfurt, dort 1984 Abitur. Studium (Hauptfach Anglistik) in Hamburg, vor allem aber ausgedehnte Reisen und Aufenthalte in Europa, Afrika, USA. Joachim Helfer lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.1998

Der große Peter und sein Idiot
Joachim Helfer erzählt von einem, der auszog, erwachsen zu werden / Von Eberhard Rathgeb

Auch im Taunus besteht die Freiheit darin, abhängig sein zu können, und das muß man lernen. Wie das gehen kann, das versucht der gerade vierundzwanzigjährige Autor Joachim Helfer zu beschreiben. Florian König, sein Held, achtzehn Jahre jung und aus dem Hessischen, nimmt seinen Weg von dieser Erfahrung aus, als er sich nach Südfrankreich und in den Rest der Welt aufmacht, um dort sich selbst zu finden und erwachsen zu werden. Wer ihm folgen möchte, muß sich einem schrillen Subjektivismus überlassen, der im hinteren Winkel eines Eigensinns den Pflock einschlägt, von dem aus die weite Welt kleinmütig vermessen wird.

Florian König ist ein junger Mensch. Er sucht, was nicht schon ein Ausweis von Originalität ist, sein Ich. Deswegen begibt er sich in Abhängigkeiten, statt sie zu fliehen. Seine Eltern haben sich getrennt, sein Vater lebt in Amerika, die Mutter arbeitet als Psychologin, die beiden Geschwister, ein Bruder und eine Schwester, sind älter, und der Kleine schlägt aus der Reihe.

Alles wird schlimmer und komplizierter, wenn einer sehr empfindsam ist. Helfer stattet seinen Helden mit einer großen Unsicherheit über seinen Platz in der Welt aus. Irritiert bis zum Verlust der eigenen Mitte, liegt die Hoffnung, einen persönlichen Kern zu finden, offensichtlich allein darin, Irritationen zu suchen und dadurch den Reiz zu verschärfen, der ein Ich aus dem Schlummer wecken könnte. Florian verläßt das Familiennest, um woanders eine Kontur zu erhalten, die ihn für das Leben tauglich macht.

Joachim Helfer erzählt die Geschichte einer Selbstfindung durch Abhängigkeit. Sein jugendlicher Protagonist findet in einem Galeristen namens Peter Cohn sein Vorbild, das den Jungen in die Welt der schönen Dinge und Wörter einweist. Die beiden treffen sich in einer der Städte Südfrankreichs, wo das Leben seine Reize zu offenbaren ohne Unterlaß verspricht. Der Ältere ist ein erfolgreicher Kunsthändler und ein weltläufiger Kunstkenner. Er nimmt den Jungen unter seine Fittiche und seine Decke, reist mit ihm durch die Gegend und führt ihn, der die Arroganz der zartbesaiteten Ausnahme mitbringt, in die schönen Künste fern den Niederungen des Alltags ein. Die Kultur ist, aus der Hand eines Meisters empfangen, mehr als Wissen; sie ist Kultivierung, Formung des Schülers.

Reize unterliegen, wenn ihnen die Funktion zufällt, ein Ich an den Tag zu bringen, keinem wirklichen moralischen Einhalt, sondern ästhetischen Kategorien. Die Schönheit des Reizes ist seine Intensität, einen Unterschied zu markieren. Wo die Grenzen verlaufen, das regelt nicht ein moralisches Vorgreifen auf das, was dem Zusammenleben kontinuierlich zuträglich ist und was nicht. Entscheidend ist das ästhetische Sondieren augenblicklicher Empfindlichkeitsschwellen. Unter solchen Bedingungen ein Ich zu suchen ist mehr als ein schwieriges Unterfangen; es ist hoffnungslos. Das geht nur in der Fiktion, als ästhetische Konstruktion. In diesem Widerspruch bleibt der Roman stecken.

Joachim Helfer ist stilsicher, formuliert intelligent und arrogant, urteilt manchmal böse und ist um kein Wort verlegen. Man folgt der Geschichte von Florian König und Peter Cohn, die auch eine Geschichte über die Sexualität und das Begehren des Jungen ist, aufmerksam. Joachim Helfer läßt eine Nähe zu seinen Figuren nur als erkennende, nicht als einfühlende zu. Helfer schreibt Sätze, deren Eleganz ohne Schwierigkeit nicht zu haben ist. Man liest also dieses Buch nicht leicht weg. Joachim Helfer möchte verhindern, daß sich der Leser Stimmungen oder Eindrücken überläßt; er möchte, daß der Leser über Erfahrungen nachdenkt.

Die Ich-Findung des Heranwachsenden duch eine "éducation sentimentale" flirrt am Körper Florians entlang, der größten Reizfläche des Helden, der die Nähe von Berührungen in die Distanz der Arroganz übersetzt und ebenso umgekehrt. Daß der junge Held des Buches sein Ich sucht, während der Autor eben als dieses Ich spricht, läßt beides, Nähe und Distanz, zusammenfallen. Der Autor tastet sich mit seinem Helden voran.

Nur im Sprechen, Schreiben vermag dieses Ich sich zu deuten. Wer als Dritter, als Autor, über ein solches Ich erzählt, der hat es schon fertig in der Hand und berichtet von der Warte des Erfolgs oder Mißerfolgs der "éducation sentimentale". Davon findet man in dem Buch nichts, weil Autor und Ich als eine Person in der Geschichte auftauchen. Sie teilen Erfahrungen, kein Wissen. Zwar verläßt Florian nach sieben Jahren über Nacht den schlafenden Peter. Doch er kehrt unmittelbar darauf wieder zu ihm zurück. Auf dem Weg nach Südfrankreich, wo alles begann und das Leben immer noch alles verspricht, löst sich seine Angst davor, ein Leben lang in der Abhängigkeit vom großen Peter zu verbringen, in die vage Einsicht auf, daß nicht nur er, der Schwache, sondern auch der Starke von der Furcht vor dem Alleinsein gepackt ist. Und er lernt, daß der beiderseitige Wille zum Aufeinanderangewiesensein mit dem Wörtchen Liebe benannt werden kann.

". . . du Idiot - ich liebe dich!" behauptet Peter abschließend; es ist der letzte Satz des Erfahrungsbuches, das den Helden dort verläßt, wo die Folgen einer "éducation sentimentale", ein Ich, auftauchen müßten. Hier steht aber nur ein Idiot, jemand also, der nichts oder wenig versteht, sich selbst nicht und auch nicht den anderen ganz; ein Idiot, den die Liebe des anderen erhalten wird; mehr Ahnung als Wissen; mehr Anmutung als Gedanke; mehr Selbstgefühl als Selbsterkenntnis. Ungewiß bleibt, zu welchem Ich diese flackernde Einsicht über die Liebe Florian hat bestimmen können.

Es lassen sich aus den sinnlichen Erfahrungen nicht die Erkenntnisse gewinnen, die aus einer ästhetischen eine moralische Haltung machen. Ob die flüchtige Einsicht in die Liebe eine wirkliche Erkenntnis mit Folgen ist, das bleibt im dunkeln. So schließt sich der Kreis der sogenannten sinnlichen Erfahrungen um den Helden, der auf der letzten Seite in Südfrankreich nur noch auf dem Wörtchen Liebe steht. Joachim Helfer weiß wahrscheinlich, seinem fiktiven Ich zum Trotz, daß die sinnliche Erfahrung ihre Grenzen hat. Deswegen läßt er die Geschichte mit einem nun fünfundzwanzigjährigen "Idioten" enden. Der wird sie einst vielleicht schreibend, aber eben nur ästhetisch wiederholen. Das ist für das gesuchte Leben als Ich zu wenig.

Joachim Helfer: "Cohn & König". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 232 S., geb., 34,- DM.

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"Joachim Helfer ist stilsicher, formuliert intelligent und arrogant, urteilt manchmal böse und ist um kein Wort verlegen. Man folgt der Geschichte von Florian König, die auch eine Geschichte über die Sexualität und das Begehren ist, aufmerksam." Eberhard Rathgeb Frankfurter Allgemeine Zeitung