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Produktdetails
  • Verlag: Schirmer/Mosel
  • Seitenzahl: 398
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 1340g
  • ISBN-13: 9783888146466
  • Artikelnr.: 25532866
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2002

Das Neue macht mich vor Freude ganz verrückt
Wie ein Monolith stand die Stadt New York an der Hudson Bay. Die aufstrebende Skyline war wie ein Leitstern für die millionenfachen Hoffnungen der Einwanderer, die von den Decks der Schiffe auf die gewaltigen Steinnadeln eines Stadtpanoramas blickten, das bis weit ins 20. Jahrhundert einzigartig bleiben sollte. Als Berenice Abbott im Januar 1929 von Paris zurückkehrte, packte auch sie die Begeisterung für ihre ehemalige Wahlheimat. Hier hatte sie sich nach dem Abbruch der Universität als Mitglied der „Lost Generation” durch die Boheme des Greenwich Village treiben lassen. Und von hier war sie vor der zunehmenden Kommerzialisierung der Stadt und der Ziellosigkeit ihres Lebens nach Europa geflüchtet, wo sie als Assistentin von Man Ray in Paris zur Fotografie fand.
In ihrer Abwesenheit hatte der Wolkenkratzerboom im südlichen Bankenviertel New York in das faszinierende Symbol für das angehende amerikanische Jahrhundert und die Moderne verwandelt. „Das Neue, das in acht Jahren aus dem Boden geschossen war, das Bild der Stadt, die menschliche Geste hier machte mich vor Freude ganz verrückt und ich beschloß, für immer nach Amerika zurückzukehren”, sagte sie damals.
In den folgenden Jahren fotografierte Berenice Abbott jeden nur erdenklichen Winkel Stadt. Mit präzisem Blick sezierte sie den Monolith und dokumentierte die bis heute radikalste Veränderung einer Stadt durch die gewaltigen Fortschritte der Architektur. Da verfolgte sie die kühnen Linien des oben abgebildeten Starrett-Lehigh Buildings oder des neuen Busbahnhofes beim Hauptpostamt.
Die Arbeit war nicht leicht. Berenice Abbott arbeitete mit einer 18 × 24 cm Fachkamera. Sie beschäftigte einen ganzen Stab von Assistenten. Ein teures Unternehmen während der Weltwirtschaftskrise. Erst als Präsident Roosevelt 1935 die Works Progress Administration gründet und ihr das Federal Art Project angliedert, das Künstler förderte, um zu beweisen, dass die Kunst genauso zum Allgemeinwohl gehörte wie das Schulwesen oder das öffentliche Verkehrsnetz, hatte sie Mittel genug, um das Kernstück ihres Lebenswerks zu vollenden.
„Changing New York” heißt die Ausstellung, in der sie im Oktober 1937 einen ersten Teil ihres Projekts im Museum of the City of New York ausstellt. „Meine Fotos sollen Dokumentation und Kunst zugleich sein”, beschrieb sie ihre Arbeit damals. „Sie verwenden Mittel der abstrakten Kunst, wenn dies dem Objekt angemessen ist. Und sie sind dem Realismus verpflichtet, doch nicht um den Preis sämtlicher ästhetischer Aspekte.”
Abbotts Ausstellung soll den Grundstein für die so genannte New Yorker Schule der Fotografie legen. Beaumont Newhalls historische Fotoausstellung im Museum of Modern Art und Walker Evans „American Photographs”-Retrospektive etablierten die Fotografie 1938 als Kunst. Im gleichen Jahr gründet Henry Luce das Life Magazine, das erstmals Geschichten mit Foto-Essays erzählt. Und in Washington beauftragt Ron Stryker von der Farm Security Administration einen Stab New Yorker Fotografen wie Dorothea Lange und Walker Evans, die Folgen der Depression auf dem Land zu dokumentieren.
Bis heute gilt Berenice Abbotts 1939 erschienenes „Changing New York”- Buch als Grundlagenwerk der Dokumentarfotografie. Der Schirmer und Mosel Verlag hat den Band nun neu aufgelegt (Berenice Abbott: Changing New York. Schirmer und Mosel, München 2002. 400 Seiten, 39,80 Euro). Und bis heute heute zeigt kaum ein anderes Buch so eindrücklich, wie sich New York vom Hafen der Einwanderer zum Archetyp der Metropolis verwandelte.
ANDRIAN KREYE
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.1998

Stille Stadt - Berenice Abbotts New York

Man muß lange suchen, bevor man auf einer Fotografie Berenice Abbotts einen Kran, einen Bagger oder auch nur einen Bauzaun entdeckt. Mitte der dreißiger Jahre, zwischen dem Höhepunkt der Depression und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, herrschte Stillstand in New York. Für einige Jahre begegneten sich in den Straßen der Stadt deshalb nahtlos zwei grundverschiedene Epochen. Hier noch die Pferdefuhrwerke, dort schon Schnellbahnen und bullige Limousinen. Hier noch die Häuserfronten des viktorianischen Erbes, dort schon die schnörkellosen Fassaden einer himmelwärtsstrebenden Moderne. Damals schien es nur eine Frage von Tagen, bis sich die Zukunft Block für Block über die Vergangenheit stülpen würde. Berenice Abbott blieb nicht viel Zeit, den Augenblick vor dem Umbruch zu dokumentieren.

Durch Zufall war sie zur Fotografie gekommen, Anfang der zwanziger Jahre in Paris, wohin sie ausgewandert war und wo Man Ray sie als seine Assistentin eingestellt hatte. Doch dessen Lust an künstlerischen Verfremdungen widersprach ihrem distanzierten Blick. In Atget, der während des Fin de siècle mit seinen Aufnahmen versuchte, das alte Paris zu bewahren, fand sie ihren Mentor und Freund. Als sie 1929 nach Atgets Tod mit Tausenden seiner Fotos zurück nach New York reist, um dort sein Werk zu publizieren, erkennt sie, daß der absehbare Wandel der Stadt nach einem vergleichbaren Konzept verlangt.

Mit finanzieller Unterstützung des Federal Art Project beginnt Berenice Abbott Straßenzüge zu dokumentieren, die bald für immer verschwunden sein werden. Daß sie sich dabei nur selten von Nostalgie geprägten Sehnsüchten hingibt, sorgt für die Spannung ihrer Aufnahmen. Aus den Motiven spricht vielmehr ein ambivalentes Gefühl, sie gleichen einem Balanceakt zwischen Schrecken und Faszination. In mehreren Ausstellungen zeigt Berenice Abbott schon bald ihre jeweils jüngsten Bilder, und 1939 faßt sie 97 Aufnahmen zu dem Fotoband "Changing New York" zusammen, dem auf Anhieb der Rang eines Klassikers attestiert wird. Danach verschwindet das viel umfangreichere Material in Archiven.

Erst jetzt, sechs Jahre nach dem Tod der Fotografin und rechtzeitig zu ihrem hundertsten Geburtstag im kommenden Sommer, wurde es aufgearbeitet. Unter dem alten Titel "Changing New York" ist dabei ein prachtvolles Buch von imposantem Format und stattlichem Umfang entstanden. Die nach Stadtbezirken geordneten Kapitel samt ihrer detaillierten Stadtpläne greifen den dokumentarischen Ansatz des ursprünglichen Vorhabens auf. Tatsächlich aber handelt es sich um ein Künstlerbuch. Mit ihrer Liebe für das Spiel von Licht und Schatten, ungewöhnliche Perspektiven und überraschende Kompositionen wies Berenice Abbott den Weg für den fotografischen Blick der Moderne. - Unsere Abbildung zeigt eine Aufnahme aus dem Wall Street District: die Hochhäuser 111 John Street, 116 John Street und 60 Wall Tower, von der Kreuzung Cliff und Ferry Street aus aufgenommen. (Berenice Abbott: "Changing New York". Mit Texten von Bonnie Yochelson. Schirmer/Mosel Verlag, München 1997. 400 S., 413 Abb., geb., 148,- DM.)

FREDDY LANGER

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