Produktdetails
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.12.2009

In der lyrischen Hafenbar
Der Dichter Johannes Schenk wollte die Welt nur ein wenig schöner machen
Was passt alles in einen Koffer? Nicht viel, würden die sagen, die auch im Sommer den Extra-Pulli einpacken, um für den Kälteeinbruch gerüstet zu sein. Mein Leben, hätte Johannes Schenk gesagt. Der 2006 verstorbene Dichter hat fünf Jahre vor seinem Tod in Kreuzberg einen alten Überseekoffer – aus Holz und Segeltuch gefertigt, mit Messingverschlüssen versehen – mit seinen Manuskripten, Handschriften und Fotos vollgepackt und ihn mit einer Sackkarre zur Berliner Akademie der Künste gezogen. Ein Leben konserviert in einem Koffer, der die Welt und vor allem die Meere gesehen hat, ein schönes Bild für einen Seefahrer wie Johannes Schenk – auch wenn seine Boote eher in seinen Büchern als im wirklichen Leben das Wasser berührt haben.
Wer sich auf die Spurensuche des 1941 in Berlin geborenen Autors macht, dessen gesammelten Gedichte (und den im Nachlass aufgefundenen Roman) nun der Wallstein Verlag herausgebracht hat, entdeckt dabei Orte, die in den vergangenen 20 Jahre durch den Trubel um Berlin Mitte von vielen vergessen worden sind. Der „Zwiebelfisch” am Savigny Platz in Charlottenburg etwa, eine Künstlerkneipe wie aus einem vergilbten Fotoband mit Bildern und Gedichten der Stammgäste an der Wand, oder das Antiquariat in der Oranienstraße, in dem zahlreiche Bücher bis heute noch mit DM-Preisen ausgezeichnet sind. An diesen zeitverlorenen Orten bekommt man dann von jemanden erzählt, der schon vor 30 Jahren aus der Zeit gefallen war. So erinnert sich Udo Koch, der Besitzer des Kreuzberger Antiquariats, an Johannes Schenk als einen, der stets mit Hut und schwarzem Seemannsmantel gekleidet war – auch bei 30 Grad im Schatten. Das fiel selbst in Kreuzberg auf, schon damals ein Sammelbecken für Künstler und kuriose Gestalten. Während die Stadtväter Bezirke wie Charlottenburg und Wilmersdorf zum Schaufenster des Westens aufhübschten, lag Kreuzberg im toten Winkel der Mauer, dank der billigen Mieten zogen die Kreativen dorthin.
Johannes Schenk, rundes Gesicht, verträumte Augen und meist ein Lächeln um die Lippen, war einer von ihnen und dann auch wieder nicht, denn seine Welt war die der Seefahrer. „Die Schiffe, das Meer und die Häfen am Rande haben mir die Bilder geschenkt, die ich beim Schreiben brauche. Es sind manchmal etwas nasse Metaphern, aber ich nehme es hin. Hab sie ja erfahren”, schreibt er in seiner Gedichtsammlung „Überseekoffer”. Das Buch verlegte er 2000 im Eigenverlag, doch die Figuren seiner farbenfrohen und tatsächlich etwas arg durchnässten Gedichte scheinen aus dem 19. Jahrhundert zu stammen: Piraten und Zirkusakrobaten tummeln sich in den balladenartigen Gedichten, vor allem aber Matrosen, Kapitäne und schöne Frauen, die in den fremden Häfen auf Seefahrer warten. Schenks Sehnsucht glich damit nicht der seiner Generation, die lieber als herumschweifende Haschrebellen Goa, Kathmandu oder Afghanistan anpeilten. Sie schien vielmehr aus einer Zeit zu stammen, als die weißen Flecken auf der Landkarte noch zahlreich waren.
Die Faszination für Boote entwickelte Schenk schon früh. Bereits als Kind baute er in der niedersächsischen Künstlerkolonie Worpswede, wohin seine Familie 1942 vor den Nazis geflüchtet war, Schiffe. Erst kleinere für die Pfützen, dann immer größere, damit seine Träume darin Platz fanden. Mit 14 Jahren heuerte er als Matrose auf echten Booten an. Doch die hierarchischen Strukturen waren nichts für einen Jungen aus einem Künstlerhaus, er kehrte zurück, nur um kurz darauf einen zweiten Versuch zu wagen: In einem umgebauten Rettungsboot – eine Ausgabe von „Moby Dick” an den Mast genagelt – kam Schenk bis Casablanca. Eine Szene wie aus seinen Büchern. In Marokko beendete er dann zwar seine Karriere als Seemann, doch: „Die Sehnsucht nach einem verborgenen Ort für ein paradiesisches Leben hat ihn nie losgelassen”, sagt Natascha Ungeheuer heute in ihrer Kreuzberger Wohnung.
42 Jahre hat die Malerin mit Johannes Schenk zusammen gelebt. Häufig taucht die immer noch schöne Frau mit den dunkel geschminkten Augen und den langen schwarzen Haaren in seinen Gedichten auf. Dem Autor wiederum begegnet man in Ungeheuers Atelierwohnung ständig – sie hat ihn in unzähligen Bildern verewigt, die an den Wänden hängen. Schenk wohnte im selben Haus. Seine Lebensgefährtin hat die Wohnung bis heute nicht aufgelöst. Ein Tintenfass steht da auf einem schmalen Schreibtisch und eine alte Öllampe daneben. Man kann sich gut vorstellen wie der Autor hier den Roman „Jo Schattig” geschrieben hat. Wahrscheinlich sprach er seine etwas grellschillernden Satzkapriolen sogar laut mit, während er die eigenen Seefahrtsträume aufschrieb. Denn die Hauptfigur Jo Schattig trägt nicht nur Johannes Schenks Initiale, sondern teilt auch seine Sehnsüchte: „Ich, Jo Schattig, glaubte mit einem Schiff der Enge meiner Seele zu entkommen. Ich glaubte es, bis ich das erste gebaut hatte und mit ihm gescheitert war, und ich wurde noch durstiger und das nicht nur auf Schiffe.”
Ungeheuers Wohnung quillt fast über von Erinnerungsstücken an die Landgänge ihres Lebensgefährten, an der Wand hängen neben ihren Bildern die Masken vom „Kreuzberger Straßentheater”. Schenk hatte das Theater 1969 mit Freunden gegründet und die Stücke dafür geschrieben. Die Not der einfachen Menschen interessierte ihn, die der Arbeiter und ersten türkischen Einwanderer. Das war zwar politisch, aber im Vergleich zu dem, was um ihn herum passierte, doch von stillerer Art. „Es ist der Traum von der Utopie des Lebens ohne Unterdrückung, der Traum von der Gerechtigkeit, der von einem Leben mit weniger Angst”, heißt es im „Überseekoffer”.
In Schenks Berlin begnügte man sich dagegen nicht mit Träumen: In Kreuzberg wehrten sich die Bewohner in den siebziger Jahren heftig gegen das Vorhaben, eine Autobahn quer durch ihr Viertel zu legen, bald darauf gab es die ersten Krawalle am 1. Mai. Dem friedlichen Schriftsteller, der in den sechziger Jahren seine ersten Gedichtbände „Bilanzen und Ziegenkäse” und „Zwiebeln und Präsidenten” veröffentlichte, war das zu gewalttätig. „Er war nicht politisch, er wollte die Welt nur ein wenig schöner machen”, sagt Natascha Ungeheuer und erzählt vom Schenkschen Sonntagscafé, das er 1986 sieben Jahre lang in einer alten Fabrik in Kreuzberg betrieb. Schriftstellerfreunde wie Kurt Mühlenhaupt oder Jurek Becker lasen dort, der Maler A.R. Penck trat mit seiner Penck Band auf und immer wieder der Hausherr selbst. „Johannes war eine Lokomotive beim Lesen, er hat die Leute warm gelesen”, sagt Ungeheuer und springt auf, um einen alten Radiomitschnitt vorzuspielen. Schenks Stimme hat darin zwar nichts von einer Maschine, dafür fließt sie dunkel und samten wie ein Fluss durch das Erzählgedicht. Die klassischen Regeln der Dichtung sind Schenk dabei egal, auch haben seine Verse wenig mit moderner Lyrik gemeinsam, der Verfasser erlaubt sich vielmehr einen sehr persönlichen Stil: „Meine Grammatik ist das Leben, das ich sehe, fühle, rieche und schmecke”, schreibt er einmal. Wer das nicht mag, wird mit den Schenk’schen Versen nichts anfangen können.
Das wahre Leben war weniger nahrhaft, die eigenen Gedichte und Romane zu verlegen wurde für das P.E.N.-Mitglied im Zeitalter „der Maschinerie aus Quarz”, wie er den Computer abfällig nannte, immer schwieriger. Die letzten Bücher erschienen nur im Eigenverlag. Nicht nur seine Person, auch seine Sprache gehörte der Vergangenheit an. Worpswede wurde da für ihn zum Fluchtpunkt. Im Sechsmonatsrhythmus pendelte er mit seiner Lebensgefährtin zwischen der Hauptstadt und seiner alten Heimat. Die Unterkunft dort passte zu Schenks Poesie: drei buntbemalte Zirkuswagen und mittendrin ein großes Boot für Lesungen. Dieses Boot steht heute als Erinnerung an Johannes Schenk im Ort. Vielleicht genügt ein Koffer doch nicht, um ein Leben darin zu verwahren, aber ein Boot ganz gewiss. LAURA WEISSMÜLLER
JOHANNES SCHENK: Die Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 3 Bände, 1386 Seiten, 59,90 Euro. Der Roman Jo Schattig ist ebenfalls im Wallstein Verlag erschienen, 220 Seiten, 19,90 Euro.
„Bilanzen und Ziegenkäse”: Johannes Schenk (1941-2006) Foto: Wallstein Verlag
Berlin-Kreuzberg: die Adalbertstraße in den siebziger Jahren. Foto: akg
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr