Produktdetails
  • Philipp Buttmei Bd.1
  • Verlag: Naumann Oberhaching
  • Seitenzahl: 200
  • Erscheinungstermin: 2. Quartal 2014
  • Deutsch
  • Gewicht: 332g
  • ISBN-13: 9783940168047
  • ISBN-10: 3940168041
  • Artikelnr.: 23088201
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2007

Der "Provinz" stets freundlich-skeptisch zugewandt

Die Stadt Darmstadt ehrt den Lyriker und Schriftsteller Fritz Deppert kurz vor dem 75. Geburtstag mit einer Büste und einem Buch.

h.r. DARMSTADT. Philipp Buttmei ist das Produkt einer Krise. Der verschrobene Kriminalkommissar im Ruhestand, der im Örtchen Hinterhimmelbach den Mord an einem Freund aufzuklären sucht, ist eine literarische Figur, die auf Umwegen geboren wurde. Eigentlich arbeitete Fritz Deppert an einer ganz anderen Geschichte, einem Roman über einen Menschen, der sich in Darmstadt vom Kind zum jungen Mann wandelt. "Irgendwann bin ich aber einfach rausgeflogen und fand nicht mehr in die Arbeit zurück", sagt Deppert und fügt zur Unterstreichung der Dramatik dieses Vorgangs an: "Ich bin ein Mensch, der nicht zufrieden ist, wenn er nicht schreiben kann."

Im Falle des Darmstädter Lyrikers und Schriftstellers, den die Stadt jetzt kurz vor seinem 75. Geburtstag mit einer Porträtbüste des Bildhauers Thomas Duttenhoefer und der Herausgabe eines Bandes der "Darmstädter Schriften" geehrt hat, dauerte der unproduktive Zustand glücklicherweise nicht sehr lange. An einer Ampel in Darmstadt fand Deppert den Ausweg aus seiner Schaffenskrise - ihm kann die Idee zu einem perfekten Mord. "Wenn mich zuvor jemand gefragt hätte, was ich von Kriminalromanen halte, ich hätte gesagt, das ist nicht mein Metier. Aber ein Krimi hat immer eine klare Handlung. Wenn man das Handwerkszeug beherrscht, dann kann man das auch schreiben, wenn es sonst nicht klappt." Und so hat Deppert Buttmei erfunden, dessen Hund Theo, ein fiktives Hinterhimmelbach in Südhessen, einen Unfall an der Dorfampel und die quälende Frage, ob der Freund des Kommissars das Opfer eines Verkehrsunfalls wurde oder das eines heimtückischen Mordes.

Fritz Deppert, der bis 1996 die Bertolt-Brecht-Schule in Darmstadt leitete, ist ein produktiver Schriftsteller und Lyriker. Er hat mehrere Gedichtbände veröffentlicht, einen Essay, Aphorismen, Kurzgeschichten, Bücher zu historischen Themen, er ist Herausgeber mehrerer literarischer und stadtgeschichtlicher Anthologien, Mitglied des Pen-Clubs, Ehrenpräsident des Autorenverbandes Kogge, Mitglied in der Jury des "Literarischen März" und Träger der Johann-Heinrich-Merck-Ehrung. Sprache ist ihm ein Wesenselement, ebenso die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und die skeptisch-melancholische Selbstbetrachtung. In Band 92 der Schriftenreihe mit dem Titel "Gut gebrüllt, Löwe" kommt dieser ganze Fritz Deppert wunderbar zur Sprache in der Kombination von Essays, Vorträgen über Personen wie Lichtenberg, Johann Heinrich Merck oder Niebergall, Aufsätzen zur Zeitgeschichte und Aphorismen in der Tradition der "Suddelbücher". Weil Deppert ein richtiges Christkind ist, sah sich die Stadt veranlasst, die Ehrung zum 75. Geburtstag vorzuziehen. In der Galerie Netuschil, wo Duttenhoefers Porträt auf seine Enthüllung wartete, ergriffen bei der Buchpräsentation gleich zwei Oberbürgermeister das Wort, der amtierende Walter Hoffmann (SPD) und sein Vorgänger Peter Benz (SPD). Hoffmann würdigte den Lyriker, Schriftsteller, Kulturmenschen und "Heiner", Benz den "Stadtdichter", der aus dem Darmstädter Boden seine Kraft ziehe, ohne provinzlerisch zu sein: "Deppert verklärt die Provinz nicht, obwohl er sie liebt."

Der Darmstädter Deppert kann Geschichten aus der "Provinz" erzählen, weil er Geschichte erlebt hat, zum Beispiel die Brandnacht von 1944, die die Altstadt in Schutt und Asche legte und Tausende das Leben kostete. Diese Bilder haben ihn geprägt und nie losgelassen. Das zeigt sein liebevoll-melancholischer Text über die untergegangene Altstadt, in der nur einige "Insulaner des Dialekts" die Darmstädter Mundart bewahrt hätten, und der im gleichen Band abgedruckte Aufsatz über Darmstadt am Ende des Zweiten Weltkrieges. Überall spricht da der Zeitzeuge. Das gilt sogar für die originelle Figur des Kommissars Buttmei. Hinterhimmelbach existiert in Südhessen zwar nicht, aber wer weiß, dass Deppert als kleiner Junge fünf Jahre im Odenwald als "Ausgebombter" mit seinen Eltern lebte, kann an vielen Stellen des Krimis nachlesen, was dem Buben damals widerfahren ist: misstrauische Bauern, die ohne Gegengabe nichts rausrückten, Anfeindungen, dumpfer Klatsch und Tratsch, harte Arbeit beim Kartoffelausmachen und Ährenlesen, die Verhaftung einer Frau, die als Einzige im Dorf zur Nazi-Zeit einer jüdischen Familie beistand, und die schlagartige Metamorphose einer fremdenfeindlichen Dorfbevölkerung zu waschechten Demokraten, ausgelöst durch den Einzug der Amerikaner.

Es ist diese Vergangenheit, die Buttmei bei seinem Besuch wieder zu Bewusstsein kommt und die sich, je tiefer er in den Mordfall eindringt, als nicht vergangen erweist, sondern als gefährlich gegenwärtig. Insofern ist auch die Notgeburt eines Kommissars, der sich der dunklen Macht eines Dorfs nicht beugt, nur die Verwirklichung von Depperts Credo, das sich in einem Aphorismus von "Gut gebrüllt, Löwe" so anhört: "Die Zukunft verlangt den wandlungsfähigen und zivilcouragierten Menschen stärker als je und den Fachidioten, Scheuklappendenker und Manager des Bestehenden ebenso wenig wie eine entfesselte Selbstverwirklichung." Dass Humor dafür nicht abträglich ist, hat Deppert bei der Enthüllung seines Porträts hinzugefügt, als er Duttenhoefer zitierte, der gesagt habe: "An Ihrem Kopf ist alles schräg, daraus kann man was machen."

"Gut gebrüllt, Löwe" von Fritz Deppert ist im Justus von Liebig Verlag als Band 92 der "Darmstädter Schriften" erschienen, 191 Seiten, 9,90 Euro.

Den Kriminalroman "Buttmei" von Fritz Deppert hat der Verlag M. Naumann herausgegeben, 200 Seiten, 14 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr