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Wilhelm Lehmanns Skizzen und Miniaturen, ursprünglich für die Sonntagszeitung 'Die Grüne Post' geschrieben und dort tagebuchartig in Einzelbeiträgen publiziert, geben minutiöse und subtile Schilderungen der Vorgänge in der Natur, der Landschaft um Eckernförde; sie sind nicht Ausdruck eskapistischer Naturschwärmerei, sondern unermüdlichen Bemühens um Vertrautheit und Verbundenheit mit dem kreatürlichen und vegetativen Dasein aus einem zutiefst humanistischen Interesse heraus: Die "grüne Einsamkeit" gewährt Teilnahme an ihren Gewißheiten.

Produktbeschreibung
Wilhelm Lehmanns Skizzen und Miniaturen, ursprünglich für die Sonntagszeitung 'Die Grüne Post' geschrieben und dort tagebuchartig in Einzelbeiträgen publiziert, geben minutiöse und subtile Schilderungen der Vorgänge in der Natur, der Landschaft um Eckernförde; sie sind nicht Ausdruck eskapistischer Naturschwärmerei, sondern unermüdlichen Bemühens um Vertrautheit und Verbundenheit mit dem kreatürlichen und vegetativen Dasein aus einem zutiefst humanistischen Interesse heraus: Die "grüne Einsamkeit" gewährt Teilnahme an ihren Gewißheiten.
Autorenporträt
Wilhelm Lehmann (1882-1968) gehört zu den großen deutschsprachigen Lyrikern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für sein umfangreiches Werk erhielt er zahlreiche Preise.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.07.2017

NEUE TASCHENBÜCHER
Heidnische
Schönheit
„Alles existiert, weil es wunderbar ist.“ Wilhelm Lehmann war einer der Hauptvertreter der naturmagischen Schule, Günter Eich und Karl Krolow schätzten ihn. In der jungen BRD erlangte Lehmann Berühmtheit, ehe ihm vermehrt Weltflucht vorgeworfen wurde. „Ich weiß nicht, ob ich mir ein Verdienst daraus machen darf, daß ich niemals irgendeinem Zeitgeist gedient habe“, schrieb er hingegen über sich selbst. Lehmann, 1882 in Venezuela geboren und Ende des Ersten Weltkriegs desertiert – sein Roman „Der Überläufer“ handelt davon – lebte ab 1923 bis zum Tod 1968 in Eckernförde. Das „Bukolische Tagebuch“, 1927 begonnen, erzählt vom einsamen kargen Leben an der Ostsee. Die Protagonisten sind das Wetter, Fauna und Flora, eingefangen in sublimen Naturbeschreibungen: „Am frühen Nachmittag verschwimmen Himmel und Erde ineinander. Zwischen ihnen steht das Meer, ein Nebelgebilde, ohne Grenzen. Barsch tönen Entenrufe aus der fernen Tiefe.“ Das Tagebuch, das als Liebeserklärung an Schleswig-Holstein gelesen werden kann, ergänzen Skizzen: „Mit seiner heidnischen Schönheit wurde dieses Land die Mutter meiner Dichtung.“ FLORIAN WELLE
Wilhelm Lehmann: Bukolisches Tagebuch. Hrsg. von Judith Schalanski. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2017. 292 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2017

Ein Wind erschreckt die Himbeerbüsche

Geisterstimmenchorgesang in einer Zeit, als die Welt aus den Fugen geriet: Wilhelm Lehmanns "Bukolisches Tagebuch" interessierte sich in den späten zwanziger Jahren nicht für Politik, sondern für den Zauber der Natur.

In den letzten Jahren der Weimarer Republik braute sich die Katastrophe des alten Europas zusammen. Der kommende Untergang jener "Welt von Gestern", die in Stefan Zweigs Autobiographie als verlorenes Paradies geschildert wird, war in jeder Regung des Gemeinwesens zu spüren. Kommunisten und Nazis lieferten sich Schlachten auf den Straßen von Berlin. Die Weltwirtschaftskrise brach aus. Reichskanzler Papen setzte in Preußen die sozialdemokratische Regierung ab. Die NSDAP wurde stärkste Partei im Reichstag, und hinter den Kulissen gingen beim Reichspräsidenten Hindenburg die Protagonisten einer autoritären "Überwindung" der ungeliebten Republik ein und aus.

Aus diesen unheilschwangeren Jahren berichtet der Schriftsteller Wilhelm Lehmann - damals Lehrer im Ostseestädtchen Eckernförde bei Kiel - in seinem "Bukolischen Tagebuch aus den Jahren 1927 - 1932" ganz andere Vorkommnisse. "17. Dezember 1928. So wie der rotgelbe Dotter des Wendehalseis durch seine dünne Schale scheint, so leuchtet um halb neun Uhr die Sonne durch den weißgrauen Dezemberdunst." Und am 10. Oktober notiert Lehmann: "Ein Wind erschreckt die Himbeerbüsche, so daß sie die weiße Unterseite ihrer Blätter nach oben kehren. Die Häuser versinken abendlich in Traurigkeit. Aber um sechs Uhr flammt der Horizont. Dunstfrei erhebt sich die Sonne. Der Tau zeigt alle Spinnengewebe. Die Brombeeren dunkeln schwarz wie Kaviar. Um die Mittagsstunde weht der Wind abessinisch warm. Grashüpfer schrillen. Es sind die Geisterstimmen des entschwundenen Sommers."

Der Lehrer Lehmann musste sich in jener Zeit in seiner Schriftstellerkarriere als gescheitert betrachten. Er war in den frühen zwanziger Jahren mit Prosaarbeiten bekanntgeworden, in denen jedes Detail wie gesondert auf Hochglanz poliert, jede Metapher vollkommen fremd und zugleich in augenöffnender Weise evident ist und in denen ein selten vorher oder später gesehenes Niveau der sprachlichen Durcharbeitung, der Originalität und der Seltsamkeit erreicht war. Es werden eigenartig schwache, zugleich unauffällige und eigensinnige Menschen geschildert in diesen Büchern, kompliziert Gebrochene, die in ihrer Gesellschaft nicht zu Hause sind. 1923 hatte Lehmann - zusammen mit Robert Musil - den Kleistpreis bekommen. "Seither druckt mich niemand mehr", schrieb er 1932. "Zwei Romane erfahren schon lange Jahre die Ablehnung aller Verleger. Die Neinsagebriefe bläht meist nichtssagendes Lob."

Geboren war er als Sohn eines Lübecker Kaufmanns in Venezuela, die Familiengeschichte war kompliziert und unerfreulich, die Einberufung zum Ersten Weltkrieg endete mit Lehmanns Desertion. Als Lehrer war er geprägt durch die Reformpädagogik der Jugendbewegung, mit dessen Repräsentanten Gustav Wyneken er sich jedoch verkrachte. Die Beamtenexistenz in Eckernförde war schon vor der Nazizeit Schauplatz einer inneren Emigration. Es würde noch zwei Jahrzehnte dauern, bis er (dann vor allem aufgrund seiner Lyrik) in der Bundesrepublik Konrad Adenauers als bedeutender Schriftsteller zu gelten begann. Um dann bereits in den späteren sechziger Jahren wieder vergessen zu werden, bis heute.

Es scheint, dass die zögernde Wiederentdeckung dieses klandestinen Klassikers unserer Literatur damit zusammenhängt, dass die angelsächsische Tradition des nature writing (die der sehr belesene Anglist Lehmann, der mit T. S. Eliot Briefe gewechselt hat, detailliert kannte) derzeit eine Renaissance erlebt. Natur kommt in Mode. Was sich nicht nur in der festen Integration einer linksökologischen Partei in die politische Klasse zeigt, sondern auch in Details wie dem enormen Erfolg der Zeitschrift "Landlust", während die Auflagen vieler anderer Magazine sinken. "Naturkunden" heißt die Reihe des Matthes und Seitz Verlags, in dem, herausgeberisch betreut von Judith Schalansky, Bücher über Schafe, Brennesseln oder den "Heimatinstinkt" erscheinen - und jetzt eben Lehmanns "Bukolisches Tagebuch aus den Jahren 1927-1932".

Es gibt wenige vergleichbare Bücher auf Deutsch. Ernst Jüngers "Subtile Jagden" könnte einem einfallen und manche Tagebücher Peter Handkes. Im Grunde hat Lehmann nicht anderes getan, als sechs Jahre hindurch aufzuschreiben, was ihm auf seinen Spaziergängen in der Landschaft Eckernfördes zwischen Meer und Binnensee aufgefallen ist: der Wechsel der Jahreszeiten, die Ankunft der Zugvögel, das frühe oder späte Erscheinen bestimmter Pflanzen (die er allesamt genau kennt und benennt). Es müsste durchaus möglich sein, die Meteorologie und die Vegetationszyklen in der Gegend um Eckernförde in jenen Jahren anhand seiner Aufzeichnungen wissenschaftlich präzise zu rekonstruieren.

Das Besondere aber ist die Prosa, in die er seine ursprünglichen Notizen (die an manchen Stellen des Textgewebes noch durchscheinen) umgearbeitet hat. Lehmann gelingt es, die Landschaft und ihre Jahreszeiten, Tiere und Pflanzen so zu beschreiben, wie man sie noch nie gesehen und darüber so noch nie gelesen hat - und dabei trotzdem nirgends gesucht zu wirken. Es kommt einem dann plötzlich ganz unglaubwürdig vor, dass noch niemandem vor Wilhelm Lehmann aufgefallen ist, dass all das ja tatsächlich genauso aussieht, klingt oder riecht, wie er es in seinen Texten beschreibt und wie es vor ihm noch nie jemand beschrieben hat. "Der kleine Bach ist über die Ufer getreten, und die Vereisung umhüllt ihn wie das farblose Fleisch einer kandierten Birne." Vieles, worauf ein zerstreuter oder ermüdeter Blick während langer Spaziergänge fällt und worüber man sich gewöhnlich weiter keine Rechenschaft gibt, sieht man nach der Lektüre seines Tagebuchs geleitet von seinen Sätzen. Oder besser: man sieht es überhaupt erst jetzt, während man es vorher nur halb bewusst irgendwie zur Kenntnis genommen hatte.

Es ist erstaunlich, dass eine so idiosynkratische Beschreibungs- und Benennungsarbeit nicht langweilig oder ermüdend wirkt. Sie ist es keinen Abschnitt lang. Einerseits liegt das daran, dass soziologisch genaue Berichte über die Menschen dieser Landschaft (Bauern, Förster, Waldarbeiter) in sie eingearbeitet sind, aus denen man etwas darüber erfährt, wie die Lage dieser Berufsstände in den letzten Jahren der Weimarer Republik wirklich aussah. Vor allem aber scheint das Spannende dieser Seiten dadurch zustande zu kommen, dass sie die Stimmungen, Beobachtungen, körperlichen Erschöpfungen, Gedankenfluchten und Verlorenheiten, die wir selbst auf unseren Gängen in die Natur schon erlebt haben, beim Lesen aufrührt und uns wieder nahebringt.

Der auf elegant unprätententiöse Weise bibliophil gesetzte und gedruckte Band ist ergänzt durch autobiographische Miszellen, Texte aus dem gedanklichen und thematischen Umkreis des Tagebuchs, ein Register der vorkommenden Tier- und Pflanzennamen und ein erhellendes Nachwort von Hanns Zischler, der Lehmanns Naturtagebuch als missing link deutet: Es schreibt Lehmanns Romane in einem neuen (eigentlich für diesen Zweck erfundenen) Genre fort und führt ihn zu der Lyrik, für die er nach dem Krieg berühmt geworden ist.

Lehmanns "Bukolisches Tagebuch" ist ein hervorragendes Beispiel für die Bezeichnungs- und vielleicht Beschwörungskraft, die einer Literatur zuwächst, die sich ganz auf ihre eigenen Mittel verlässt. Und ein Bericht aus schlimm bewegten Jahren, der eindringlich beweist, dass "das Leise stärker als das Laute, das Zarte als das Grobe, das Weiche als das Harte ist".

STEPHAN WACKWITZ

Wilhelm Lehmann: "Bukolisches Tagebuch".

Hrsg. von Judith Schalansky.

Matthes & Seitz, Berlin 2017. 200 S., geb., 20,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Paul Jandl erlaubt sich den Eskapismus hinein in Wilhelm Lehmanns Naturbeschwörungen, die "provokant" wenig mit den aktuellen Weltgeschehnissen zu tun hätten. Durch den ersten Weltkrieg traumatisiert und abgeschreckt vom Fortschrittsglauben flüchtete der deutsche Schriftsteller einst selbst in eine wenig bevölkerte Gegend Schleswig-Holsteins, weiß der Kritiker, um sich ganz der Naturbeobachtung hinzugeben. Faszinierend findet der Kritiker die damals zwischen 1927 und 1932 entstandenen Aufzeichnungen, die er irgendwo zwischen Naturmythologie, expressionistischem Realismus und konkreter Poesie verortet - so klar festlegen lässt sich das anscheinend nicht, immer beeindruckend findet er aber die "wollüstige Bereitschaft zu forcierten Bildern", die nicht zuletzt Peter Handke inspiriert habe. Eine "leuchtende" Passage aus Lehmanns weitgehend vergessenem Werk, die mit "leisem Furor" eine Warnung vor dem "Unheil der Rationalität" ausspreche, schließt Jandl anerkennend.

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