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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2018

Sanddornsaft für Schmidt-Rottluff
Eine neue Biographie würdigt Hanna Bekker vom Rath

Die Zigarette, die Hanna Bekker vom Rath auf vielen Fotos in der Hand hält und mit der sie Künstler auch oft gemalt haben, ist eine filterlose Chesterfield. Das erfahren Leser der Biographie, die anlässlich des 125. Geburtstages der Kunsthändlerin, Sammlerin, Mäzenin und Malerin am Freitag erscheint. Verfasst hat das Buch ihre Enkelin Marian Stein-Steinfeld. Sie ist im Hofheimer "Blauen Haus" ihrer Großmutter aufgewachsen, wo Künstler wie Alexej Jawlensky, Paul Klee oder Ida Kerkovius ein und aus gingen, und verwaltet außerdem den Nachlass. Neben dem reichen Kunstbesitz hatte sie damit direkten Zugriff auf einen offenbar immensen Fundus an Fotografien, Briefen, Gästebüchern und ähnlichen Dokumenten, die sie akribisch ausgewertet hat und von denen zahlreiche Beispiele nun auch das Buch illustrieren. Aus erster Hand weiß die Autorin also auch, dass etwa das Ehepaar Schmidt-Rottluff morgens Müsli mit Sanddornsaft zu sich nahm, dass Ernst Barlachs Skulptur "Der Rächer" während der Weihnachtsfeiertage für den Christbaum zur Seite rücken musste und neben Wachhund Knopf von 1963 an auch ein Pferd zu den Bewohnern des Anwesens gehörte. Die Dame des Hauses indes transportierte Bilder gern im offenen Cabrio.

Stein-Steinfeld berichtet freilich nicht allein "aus persönlichem Blickwinkel" über eine ungewöhnlich moderne und souveräne Frau, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfemte Künstler beherbergte, deren Werke heimlich in ihrer Berliner Atelierwohnung ausstellte und von 1947 an auch in ihrem Frankfurter Kunstkabinett an der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts mitschrieb. Die privaten Erinnerungen beschränken sich nur auf die ersten 20 Seiten. Aus beinahe wissenschaftlicher Distanz blättern die mehr als 350 folgenden Seiten Hanna Bekker vom Raths Leben und Wirken auf.

Zur Welt kam sie 1893 in Frankfurt als Tochter eines Juristen, der im Aufsichtsrat der Farbwerke Hoechst saß, sich für die Jagd und Autos interessierte, aber auch das Senckenberg- und das Historische Museum unterstützte. Wie es damals in besseren Kreisen üblich war, erlernte sie keinen Beruf, wohl aber gepflegte Konversation auf Englisch und Französisch. Hessisch konnte sie auch. Malstunden nahm sie bei Ottilie Roederstein in Hofheim und legte bald einen solchen Ernst an den Tag, dass sie mitten im Ersten Weltkrieg bis nach Stuttgart fuhr, wo Ida Kerkovius und Adolf Hölzel sie unterrichteten.

Stein-Steinfelds minutiöse, in zehn Kapitel gegliederte Schilderung lässt Bekker vom Raths Entschlossenheit, ihre aufrechte Haltung und auch ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein als folgerichtige Entwicklung erscheinen. Das dafür nötige Selbstbewusstsein und der Drang nach einer - auch ihrem Umfeld stets gewährten - Freiheit war in ihr angelegt. So setzte sie sich schon bei der Wahl ihres Ehemanns Paul Bekker, den sie 1919 bei der Maifeier des SPD-Vereins "Groß-Frankfurt" in der Festhalle kennenlernte, gegen ihre Eltern durch: Ein verheirateter Musikkritiker und noch dazu Vater eines Sohnes war nicht das, was ihnen als Schwiegersohn vorgeschwebt hatte.

Auch daraus, dass sie neben dem Ehemann, der es erst in Kassel und dann in Wiesbaden zum Theaterintendanten gebracht hatte, auf das "Dekor" reduziert war, zog sie später die Konsequenz. Nach der Trennung von Paul Bekker wurde sie Weltreisende. Das Hofheimer Anwesen, welches das Ehepaar 1921 gekauft hatte, blieb jedoch bis zu ihrem Tod 1983 der Lebensmittelpunkt und Ort wechselseitiger Befruchtung zwischen der Gastgeberin und ihren Gästen. So gehörten etwa Karl Schmidt-Rottluff und Alexej Jawlensky zu den von Hanna Bekker vom Rath Porträtierten, sie wurde wiederum von Künstlern wie Wilhelm Haerlin, Roederstein oder Benno Walldorf gemalt, während das Blaue Haus unter anderen für Kerkovius und Hans Fähnle zum Bildmotiv wurde.

Die Biographie kommt gerade im Hinblick auf das umfangreiche erstmals veröffentlichte Material einer Dissertation gleich. Sie enthält wesentliche Einsichten über eine nicht nur im Rhein-Main-Gebiet, sondern auch für die jüngere Kunstgeschichte bedeutungsvolle Persönlichkeit.

KATINKA FISCHER

Marian Stein-Steinfeld, Hanna Bekker vom Rath. Handelnde für Kunst und Künstler, 383 Seiten, Verlag der Frankfurter Bürgerstiftung, 25 Euro. Am 13. September von 19 Uhr an liest die Autorin im Museum Wiesbaden aus ihrem Buch.

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