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"Adorno war 21 Jahre alt, als er Anfang März 1925 nach Wien fuhr, um bei Alban Berg seine kompositorischen Studien fortzusetzen, die er vor dem Universitätsstudium und der Promotion bei Bernhard Sekles begonnen hatte. Das Wissen, was er komponieren wollte, war Adornos Ausgangspunkt, bevor er zu Berg kam; es auch kompositorisch realisieren zu lernen war das Ziel seines Wiener Aufenthaltes und der Jahre danach. So ist denn auch sein Briefwechsel mit dem bald weltberühmten Komponisten zu einem Teil geprägt von der Auseinandersetzung mit den kompositorischen Problemen, die die Schönbergsche…mehr

Produktbeschreibung
"Adorno war 21 Jahre alt, als er Anfang März 1925 nach Wien fuhr, um bei Alban Berg seine kompositorischen Studien fortzusetzen, die er vor dem Universitätsstudium und der Promotion bei Bernhard Sekles begonnen hatte. Das Wissen, was er komponieren wollte, war Adornos Ausgangspunkt, bevor er zu Berg kam; es auch kompositorisch realisieren zu lernen war das Ziel seines Wiener Aufenthaltes und der Jahre danach. So ist denn auch sein Briefwechsel mit dem bald weltberühmten Komponisten zu einem Teil geprägt von der Auseinandersetzung mit den kompositorischen Problemen, die die Schönbergsche Entdeckung der Zwölftontechnik der musikalischen Avantgarde stellte, zu deren Propagandisten Adorno nicht zuletzt in Wien und durch Berg wurde. Nicht allein, daß er in den Jahren des Briefwechsels zahlreiche Aufsätze über Berg, Webern und Schönberg schrieb und in der Zeitschrift »Der Anbruch«, in deren Redaktion er seit Anfang 1929 bestimmenden Einfluß hatte, vergeblich eine Plattform für die Wiener Schule und gegen die »gemäßigte Moderne« zu errichten trachtete, dokumentiert dieser Briefwechsel, sondern auch, wie sehr Adorno - von Berg immer wieder zum Komponieren gedrängt - versuchte, seine literarischen und musikschriftstellerischen Arbeiten mit dem unablässigen Wunsch in Einklang zu bringen, zu komponieren, nichts als zu komponieren."
Autorenporträt
Adorno, Theodor W.Theodor W. Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren und starb am 06. August 1969 während eines Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen eines Herzinfarkts. Von 1921 bis 1923 studierte er in Frankfurt Philosophie, Soziologie, Psychologie und Musikwissenschaft und promovierte 1924 über Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie. Bereits während seiner Schulzeit schloss er Freundschaft mit Siegfried Kracauer und während seines Studiums mit Max Horkheimer und Walter Benjamin. Mit ihnen zählt Adorno zu den wichtigsten Vertretern der »Frankfurter Schule«, die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hervorging. Sämtliche Werke Adornos sind im Suhrkamp Verlag erschienen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998

Der Prophet bei Berg
Adornos Wortschwall hielt ihn schließlich über Wasser: Im Briefwechsel tauschten sie Sturmwarnungen vor der Zukunft aus / Von Wolfgang Rihm

Im Jahr 1925 kommt der 21 Jahre alte Theodor W. Adorno nach Wien, um als Privatschüler Alban Bergs Kompositionsunterricht zu nehmen. Berg ist fast vierzig Jahre alt und steht vor dem Welterfolg seines "Wozzeck". Zu Adornos erstem Abend in Wien existiert eine Quelle: Bergs enger Freund Soma Morgenstern beschreibt in seinen postum erschienenen Erinnerungen an Alban Berg, wie er "eines milden Abends" ins Wiener Konzerthaus kommt und sich ihm folgendes Bild bietet: "In der Loge . . . stand Alban, vor ihm eine schmale, neben Alban sehr kleine Gestalt, und sie redete . . . auf ihn ein. Als Alban mich erblickte, hob er beide Arme hoch, aber nicht wie ein Grüßender, sondern wie ein Ertrinkender." Der liebenswürdig schwankend ertrinkende Berg "im Gespräch" mit seinem damals schon genauesten Kenner und leidenschaftlichsten Verehrer. Eine Urszene, deren visuell eindringliche Figur ebenfalls die schrift- und sprachliche Dramaturgie des Briefwechsels der beiden zu rhythmisieren scheint. Zumindest zu Anfang.

Bergs Briefe sind meist wesentlich knapper als die Adornos. In der Diktion oft sehr gehetzt, kurzatmig, im Schriftbild voller Abkürzungen, gelegentlich in einer Art Telegrammstil, der die abgerungene Zeit deutlich vorstellt. Der sonst in seinen Äußerungen so Skrupulöse schert sich manchmal kaum um Satzzeichen und Syntax, und dennoch ist jedes Wort Teil einer Fülle, die dem Gegenüber alles gewährt, es beschenkt und es dabei dennoch zart in die Pflicht nimmt.

Berg äußert sich kaum zu Problemen der Kompositionstechnik oder Ästhetik. Dafür nehmen breiten Raum die Strategien des alltäglichen Kunstkampfes ein: Welcher Aufsatz in welcher Fachzeitschrift unterzubringen, welchen Eingriffen welchen Redakteurs auf welche Weise entgegenzuwirken sei. Man erfährt viele Interna jener naturgemäßen Zermürbung, der ein Komponist vom Range Bergs im Wien der zwanziger Jahre ausgesetzt war. Niemals jedoch wird Berg ungeduldig; allenfalls zeigt er sich atemlos und erschöpft, nie aber wehleidig. Rührend erkundigt er sich nach den Arbeiten seines Schülers, motiviert ihn, wo er kann. Obwohl die von außen an ihn selbst gestellten Ansprüche - alte Anfeindungen ebenso wie zunehmende Erfolge - den Rhythmus seines inneren Produzierens täglich bedrohen, entstehen in jenen Jahren in für Berg ungewöhnlich kurzer Zeit komplexe Hauptwerke wie das "Kammerkonzert" oder die "Lyrische Suite". Adorno ist eine große Hilfe für ihn als sein sprachmächtiger Interpret in der Öffentlichkeit. Diskret mahnt Berg aber von Zeit zu Zeit - eigene Begriffsstutzigkeit vorschiebend -, die geplanten Aufsätze und Vorträge doch bitte "gemeinverständlich abzufassen".

Adornos Briefe an Berg bewegen sich durchweg auf hohem sprachlichen Niveau. Selbst wenn alltägliche Gegenstände verhandelt werden, ist alles ausformuliert und in jenem wunderbar artikulierten Deutsch abgefaßt, das Adornos Schriften so anschaulich durchmusikalisiert. Es finden sich Stücke, die ohne größere redaktionelle Umarbeitung in Adornos Hauptschriften übertragen werden könnten.

In seinem Brief vom 19. August 1926 kritisiert Adorno das damals noch sehr junge "Komponieren mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen" als "Erleichterung" des Komponierens, da "nämlich die Möglichkeit der Fortsetzung jedesmal durch den Bestand der Reihe garantiert wird"; und er macht diese "Erleichterung" treffend als "die Gefahr der Zwölftönigkeit" aus. Der Grund: "Der Prozeß des originären Hörens wird zu früh abgestoppt." Zwar erkennt er in jener sogenannten Zwölftönigkeit ein "Regulativ zur Fernhaltung tonaler" Klischeebildungen und empfindet sie "in ihrer erhellten Rationalität notwendig und zu ihrer Stunde erschienen. Aber einen positiven Kanon des Komponierens kann, darf sie nicht abgeben."

Der zweiundzwanzigjährige Adorno formuliert hier die entscheidende Kritik an jeglicher systematischer Hervorbringung von Musik: Positive Technik "als Garantie der Fortsetzbarkeit von Musik in Objektivität gibt es nicht". Er fügt seiner radikalen Modernekritik aus dem Zentrum der Moderne die hellsichtige Bitte hinzu: "nicht für die Öffentlichkeit, die die reinigende Gewalt der Zwölftönigkeit erst einmal erfahren soll". Und weiter: "und beileibe nicht für Schönberg". Beileibe - hier wird eine Wunde gezeigt: Denn der verehrte Schönberg war gegen Adorno mißtrauisch bis zur schroffen Ablehnung. Berg mußte oft vermitteln.

Adorno war als Komponist bedeutend mehr als eine bloße Auch-Begabung. Einige seiner wenigen Werke gehören zum Besten aus der Schülergruppe des Schönberg-Kreises. Tiefenscharfes Musikdenken war bei ihm am Ernstfall erhärtet, und er wußte aus eigener Anschauung, wovon er schrieb, wenn er über "Schwierigkeiten des Komponierens" sich äußerte. Dieter Schnebel hat 1969 in einer wichtigen Studie über Adornos Sprache und Musik darauf hingewiesen, daß Adornos Kompositionen das Verdienst gebühre, "in der Musik zwischen 1925 und 1945 - vielleicht singulär - ungebundene Sprache und freie Form zu präsentieren". Anknüpfend an die nervlichen Gestaltungsprinzipien bei Schönberg und dem frühen Webern, blieb Adorno zeitlebens dem Ideal einer völlig frei aus sich selbst generierten - informellen - Musik verpflichtet. Systembildungen lehnte er zu allen Zeiten ab. Bergs Musik war für ihn in gewissem Sinne wohl die menschenmöglich reichste, weil dort freies Wachstum und verbindliche Strenge der Artikulation auseinander hervorgehen.

Als publizistisches Anliegen wurde es für Adorno daher immer dringlicher, Berg aus dem Schatten des Lehrers Schönberg zu lösen und ihn als die freistehende große Komponistenpersönlichkeit zu präsentieren, als die er ihn erkannte. Dabei erwiesen sich Bergs Selbstverständnis als treuer Schönbergschüler und seine übervorsichtige Einschätzung der eigenen Arbeiten fast als größere Hindernisse als irgendein unqualifizierter öffentlicher Widerstand. Mit großem Enthusiasmus nimmt Adorno daher am wachsenden internationalen Erfolg seines Lehrers Anteil. Der Tonfall des Briefwechsels wird zusehends vertrauter, fast schon freundschaftlich. In den nahezu regelmäßigen Grüßen und Postscripta an Helene Berg läßt Adorno zudem Untertöne leichter Verliebtheit mitschwingen, was vor dem Hintergrund unseres heutigen Wissens um Adornos Dienste für Berg als Überbringer von Liebesbriefen an Hanna Fuchs nach Prag das subtile Bezugsnetz der beteiligten Personen in seiner höchst ambivalenten Schwebung deutlich macht.

Berg zog Adorno früh in manches Vertrauen. Die Abwägungen, welchen Opernstoff er nach "Wozzeck" in Angriff nehmen solle (Adorno riet zur "Lulu"), können wir im Briefwechsel detailliert verfolgen. Das sind auch die Augenblicke, in denen Berg als Briefpartner "ganz da" ist, während er sonst nicht unbedingt "ertrinkend", wohl aber versunken und (nach Adornos Formulierung aus seiner Berg-Monographie) "als empirische Person nicht ganz dabei war, nicht ganz mitspielte". Um so auffälliger dann die Momente, in denen er als Teilnehmender aus der ansonsten eher Distanz wahrenden freundlichen Zugewandtheit hervortritt. Nach einem Unfall Adornos erweist sich der Diskrete als intimer Kenner seines Gegenübers und konfrontiert den Rekonvaleszenten mit der Feststellung: "Ist es nicht eigentümlich: Sie, der Sie immer neben Ihrem Körper dahin-lebten, müssen nun an allen seinen Ecken und Enden verspüren, daß Sie einen haben!" Das trifft und tröstet.

Ab 1933 verdüstern sich die Themen des Briefwechsels. Beklommen liest man den Vorschlag Adornos, an die "Reichsmusikkammer" schreiben zu wollen, um festzustellen, "daß Sie, entgegen Behauptungen, die in Deutschland immer wieder auftauchen, rein arischer Abkunft sind". Wir erfahren, daß Berg die Tatsache, kein Jude zu sein und dennoch in Deutschland nicht mehr aufgeführt zu werden, als "Verschärfung des Unglücks" empfand. Mit einem Mal dringt ein verletzter, gekränkter Ton bei ihm durch. Er läßt sich über die Wiener aus, die "sich in halbstündigen Applaus-salven nicht genugtun können die ,Märtyrer' Bruno Walter, Hubermann et cetera, et cetera zu feiern" - und für "uns (außer mir: ebenso Webern, Hindemith, Krenek, von denen kein Ton in Deutschland erklingt!) . . . keinen Finger" rühren.

Wenn nicht nachträgliches Besserwissen oder Heiligsprechungen den Einblick trüben, wird in solchen Dokumenten die damalige Situation in ihrer je individuell erfahrenen Ambivalenz überdeutlich und legt schockhaft die Frage nahe: Wie hätte man selbst reagiert? Relativ einfach dürfte die Antwort als Verdikt fallen, wo Indifferenz sich behaglich im Recht weiß: So zeitigten Adornos Versuche, in England Fuß zu fassen und Bergs Vermittlungsversuche hierbei, einen gespenstischen Brief des damaligen Präsidenten der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik, Edward Dent, der im Plauderton zunächst seine rechtschaffene Ablehnung der Nazis absolviert, um danach geradezu "selbstverständlich" seine offen antisemitische Einstellung zu bekunden. Dieser Brief ist vollständig im Anhang mitgeteilt.

In seinem letzten Brief an Adorno, knapp zwei Monate vor seinem Tod, muß Berg mitteilen, daß es ihm "materiell miserabel" geht - "ich weiß mir für die nächsten Monate keinen Rat". Am 24. Dezember 1935 stirbt Alban Berg. Adorno wird zeitlebens seinem "Meister des kleinsten Übergangs" die Treue halten. Auch Helene wird er treu sein und sie nicht wie Soma Morgenstern mit dem Vorwurf konfrontieren, sie frage an Bergs Tod Mitschuld, weil sie, um das Geld einer ärztlichen Behandlung zu sparen, das eitrige Geschwür mit einer Schere selbst "behandelt" habe, woraus sich erst die zu Bergs Tod führende Blutvergiftung habe entwickeln können.

Der von Henri Lonitz hervorragend edierte Briefband ermöglicht es auch dem nicht in die physischen und spirituellen Verwandtschaftsverhältnisse der damaligen musikalischen Avantgarde eingeweihten Leser, ein Stück aufregender Kulturgeschichte zu lesen. Die Entscheidung des Herausgebers, die Anmerkungen nach dem jeweiligen Brief in kleinerer Type zu bringen, erleichtert - obwohl das Schriftbild dadurch nervöser wird - die durchgängige Lektüre dieser Doppelbiographie. In den Anmerkungen spüren wir den Rat Rudolf Stephans, des großen Kenners der Wiener Moderne, dem der Herausgeber in seiner Nachbemerkung besonders dankt.

Theodor W. Adorno / Alban Berg: "Briefwechsel 1925-1935". Briefe und Briefwechsel, Band 2. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 384 S., geb., 56,- DM.

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