Marktplatzangebote
13 Angebote ab € 1,01 €
  • Broschiertes Buch

Aus seinem Hotelzimmer in Venedig schreibt ein Reisender Briefe an seinen Freund in Australien. Sein Reisebegleiter ist der Tod. In Betrachtungen über Kunst und Literatur, in Geschichten umschreibt er Lebenssinn, Zeit, Glück und Liebe. Die Briefe sind Abschied vom Freund und vom Leben und zugleich eine Suche nach Erlösung in einer Welt ohne Erlöser.

Produktbeschreibung
Aus seinem Hotelzimmer in Venedig schreibt ein Reisender Briefe an seinen Freund in Australien. Sein Reisebegleiter ist der Tod. In Betrachtungen über Kunst und Literatur, in Geschichten umschreibt er Lebenssinn, Zeit, Glück und Liebe. Die Briefe sind Abschied vom Freund und vom Leben und zugleich eine Suche nach Erlösung in einer Welt ohne Erlöser.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.1997

Auf der Nachtseite des Lebens
Robert Dessaix schreibt die Reisebriefe eines Sterbenden

Die Liebe und der Tod sind große Zungenlöser. Das ist zwar seit alters bekannt, aber die Natur sorgt ab und an für neue Variationen, wie der Fall des Melbourner Journalisten Robert Dessaix zeigt. Dessaix ist in seinem Land ein bekannter Mann, der seit Jahren im staatlichen Rundfunk eine populäre Bücherschau leitet. Eine Anthologie von homosexueller Literatur in Australien erregte Aufmerksamkeit und ebenso der Bericht über die Suche nach seiner leiblichen Mutter, denn er wurde als Kind adoptiert. Nun hat er, kein junger Mann mehr, seinen ersten Roman geschrieben, der rasch die Bestsellerliste erklomm: "Briefe aus der Nacht" der Liebe und des Todes.

Briefromane spielen gern mit Identitäten, und dieser ist in ein ganzes Netz davon eingehüllt. Briefe über eine "Reise durch die Schweiz und Italien" verspricht der Untertitel. Herausgegeben, "redigiert und mit Anmerkungen versehen" seien sie von einem gewissen Igor Miasmow, gefunden wurden sie angeblich in einem venezianischen Hotel namens "Arcadia", gerichtet sind sie an einen namenlosen Partner in Melbourne und verfaßt schließlich von einem ebenso namenlos bleibenden Schreiber, der am Ende nur ein einziges Mal mit "R." unterzeichnet. Über sein weiteres Schicksal erfahren wir nichts. Deutlicher kann sich ein Autor kaum hinter seinem Buch verbergen und zugleich enthüllen wollen, denn dieses Buch ist für Dessaix Literatur und unbarmherzige Wirklichkeit zugleich.

Vom ersten bis zum zwanzigsten April reist dieser Briefschreiber durch Italien, von Locarno aus über Vicenza und Padua nach Venedig, das jedoch im Hintergrund des Buches von Anfang an präsent ist. Touristisch Interessantes ist in diesen Briefen reichlich enthalten, möge das nun die zerstörte italienische Landschaft, die miesen Restaurants oder die reiche Kultur der Städte betreffen. Aber der tatsächliche Beginn dieser Reise liegt in Melbourne: Es ist jener Moment, da der chinesische Arzt dem Briefschreiber verkündet, er habe "es", die Krankheit, gegen die es noch immer kein Mittel gibt. "Ich erinnere mich, nach einer Weile davon gesprochen zu haben, daß ich das alles nicht durchmachen wolle - wie viele andere von uns hatte ich den langsamen Verfall und das Dahinschwinden gesehen, beobachtet, wie das Gesicht zum Totenschädel wurde und der Verstand sich verwirrte und schlimmer." Meditationen über den Liebestod nicht von Tristan und Isolde, sondern von Robert und Peter.

Aber zwischen Kämpfen und Aufgeben gibt es, so findet der Schreiber allmählich heraus, "noch einen weiteren Weg". "Krankheit ist die Nachtseite des Lebens", lautet eines der Mottos des Buches. Es ist Susan Sontags "Krankheit als Metapher" entnommen. Aus dieser "Nacht" entstehen die Briefe, und aus der Perspektive des nunmehr greifbar gewordenen Todes betrachtet der Reisende die Welt als Metapher des Lebens. Dieses Leben wird zu seinem Versuch, des Todes Herr zu werden, ein neues Verhältnis zur Zeit zu finden und "den Dingen etwas abzugewinnen, so wie sie sich jetzt gerade darbieten, ohne darüber nachzudenken, wohin sie führen könnten". Denn dergleichen tut man nicht, solange man sich das Leben "als ein unendlich langes Kontinuum" vorstellt.

Dessaix' Roman läßt sich durchaus als lebendiges Reisebuch lesen, das italienische Zustände aufmerksam und kritisch betrachtet. Es zeigt ein Land, das "im großen ganzen asphaltiert und zubetoniert, umgepflügt und abgeerntet, bebaut, besprüht, verpestet und vergiftet" wurde "bis zu dem Punkt, wo die Natur völlig ausgelöscht ist", ein Land zugleich voll unendlicher Erinnerungen an große Vergangenheit. Davon zeugen insbesondere zwei eingelegte Erzählungen. Die eine handelt von einem goldenen Amulett, das eine Kopulation darstellt, die andere von einer venezianischen Kurtisane, die beträchtliche Verheerungen in der Männerwelt anrichtet, aber dann auch dafür büßen muß. Es sind faszinierend erzählte Geschichten, die scheinbar um ihrer selbst willen dargeboten werden und tatsächlich auch um ihrer selbst willen gelesen werden können. Aber unübersehbar bleibt, daß in ihnen von Spielarten jener Liebe die Rede ist, in der das Buch als Ganzes den einen seiner beiden Angelpunkte hat.

Die Hörer der Sendungen von Dessaix werden vielfach die Spuren seiner Journalistentätigkeit wiederfinden, seine Interviews mit Patricia Highsmith oder Salman Rushdie zum Beispiel. Aber Literatur hat zugleich auf sehr viel tiefere und entschiedenere Weise ihre Hand im Spiel dieser Briefe. In Venedig nämlich begegnet dem Schreiber ein deutscher Professor namens Eschenbaum von der Universität Münster, der diese Zeitung liest und Bücher über "psychosexuelle Stereotypen" sowie über Pädophilie verfaßt hat. Daß er ein jüngerer Bruder von Thomas Manns Aschenbach ist, läßt sich mit Händen greifen, und Dessaix verweist denn auch ausdrücklich auf die Figur aus Manns Erzählung. Eschenbaum verschwindet später aus der Geschichte, nachdem ihn Hotelangestellte, denen er offenbar geneigt war, zusammengeschlagen und beraubt haben.

Ist dergleichen Parallele zu aufdringlich? Am Ende wird das wohl eine Geschmacksfrage bleiben, aber im Titel von Thomas Manns Novelle über den homoerotischen "Tod in Venedig" ist bereits die große Verführung zu diesem ganzen Roman enthalten. Das von Visconti auch filmisch verklärte Sterben des deutschen Künstlers in der "sterbenden" schönen Stadt, vor Dessaix bereits in vergleichbarer Situation von Harold Brodkey genutzt, ist letztlich der dritte Weg jenseits von Kämpfen und Aufgeben. Er führt zur Hingabe an einen Ästhetizismus, der aus dem Blickwinkel des nahen Todes nichts Eskapistisches mehr an sich hat. In einer säkularisierten Welt entspricht er eher dem Bedürfnis, angesichts des körperliches Endes Transzendenz zu erreichen in bezug auf das vom Menschen Geschaffene, das ihn dennoch überdauert, sei es nun als Gemälde, Bauwerk oder eben als ein Roman von Liebe und Tod, als Reisebrief "aus der Nacht". GERHARD SCHULZ

Robert Dessaix: "Briefe aus der Nacht. Eine Reise durch die Schweiz und Italien". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Wolf Koehler. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1997. 304 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr