Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 5,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Oberbaum
  • Seitenzahl: 201
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 324g
  • ISBN-13: 9783928254250
  • ISBN-10: 3928254251
  • Artikelnr.: 09901627
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

So kommt nur das Meer
Marina Zwetajewa in ihren Briefen / Von Ralph Dutli

Nachdem sie Rußland im Mai 1922 verlassen hatte (ihr Mann Sergej Efron hatte in der "weißen" Freiwilligenarmee gegen die Bolschewiken gekämpft), gelangte Marina Zwetajewa nach Zwischenhalten in Berlin und Prag Ende 1925 nach Paris. In der dortigen Emigrantenszene eckte die vehement ihre geistige Autonomie wahrende Dichterin schon sehr bald an. Ihre Kunst, sich immer wieder auf die "falsche" Seite zu schlagen, war vielleicht ein intimer Zug ihrer Poetik. Als 1928 Wladimir Majakowskij, der "Trommler der Revolution", in Paris auftrat, veröffentlichte Marina Zwetajewa eine Hommage an ihn und schrieb den fatalen Satz: "Die Kraft liegt dort." Da begann ihr Exil im Exil. Von den russischen Emigranten und deren Publikationsorganen zunehmend gemieden, ging sie Jahren der Armut und der Einsamkeit entgegen.

Lebenszeugnisse der letzten Pariser Jahre Marina Zwetajewas sind nicht sehr zahlreich. Daß man ihre Briefe an die russisch-belgische Emigrantin Ariadna Berg aus den schwierigen Jahren 1934 bis 1939 nun auch auf deutsch lesen kann, ist sehr zu begrüßen. Der lobenswerten Sorgfalt der Übersetzerin steht die Schludrigkeit des Verlags gegenüber: Auf diversen Umschlägen von Zwetajewa-Büchern des Oberbaum Verlags stehen die immergleichen falschen biographischen Daten (richtig ist: der erste Gedichtband erschien 1910, die Heirat mit Sergej Efron erfolgte 1912). Marina Zwetajewas Vernachlässigung von Daten war eine poetische Protestgeste gegen eine unannehmbare Wirklichkeit - Verlage sollten sich solcher Gesten enthalten und sich daran erinnern, daß die Zwetajewa immer wieder gern zwei Verse Boris Pasternaks leicht verändert zitierte: "Allmächtiger Gott des Details / Allmächtiger Gott der Liebe . . ." Auch würde man gern erfahren, worin denn Siegfried Heinrichs' "Herausgeberschaft" besteht, wenn der fünfzigseitige Kommentarteil schlicht aus der 1990 bei YMCA-Press in Paris erschienenen, vorzüglichen russischen Ausgabe Nikita Struves abgekupfert wurde und jeder Hinweis auf Verlag und Erscheinungsjahr der russischen Erstpublikation unterbleibt.

Die Korrespondenz mit Ariadna Berg zeigt gewiß nicht jene atemraubende Abgehobenheit ihrer Briefwechsel mit Dichtern und Literaten wie Rilke, Boris Pasternak oder Alexander Bachrach, die ihren Ruhm mitbegründeten. Sie ist aber andererseits, gerade weil sie in den "Niederungen des Alltags" angesiedelt ist (als ob es die Zwetajewa da lange aushielte!), ein unverzichtbares, zuweilen bewegendes Dokument. Sie ist ein Muster jenes Austauschs mit weiblichen Briefpartnern, der eine so verletzliche wie kühne Zwetajewa zeigt, aber auch eine komplizenhaft vertrauensvolle, für jedes Zeichen des Verständnisses dankbare Dichterin. Da gibt es Zeugnisse bitterer Geldnot - das Betteln (mit welcher Würde!) um eine Fahrkarte, um eine Aluminiumpfanne oder ähnlichen Kram -, aber auch Trost für die Freundin und bezaubernde Momente von Humor. In Ariadna Bergs schwierigem Leben findet die Zwetajewa Ähnlichkeiten zu ihrem eigenen Schicksal ("Wir sind Tiere in der Gefangenschaft") und spricht sie am 2. November 1937 gar als "Schwester" an ("dieses Wort habe ich noch zu keiner Frau gesagt").

Auch in diesem Briefwechsel gibt es Bekenntnisse von entwaffnend rückhaltloser Offenheit. Etwa zur erotischen Ambivalenz ihrer zahlreichen gelebten und geträumten Beziehungen (zu Frauen wie zu Männern) schreibt sie im Brief vom 17. November 1937: "Ariadna! Meine Mutter wollte einen Sohn Alexander, da wurde ich geboren, aber mit der Seele (und auch dem Kopf) ihres Sohnes Alexander, das heißt verurteilt zur - sagen wir es ehrlich - Nicht-Liebe der Männer - und zur weiblichen Liebe, denn Männer konnten mich nicht lieben - vielleicht auch ich sie nicht: Ich liebte Engel und Dämonen." Die Zwetajewa war bekanntlich in amourösen wie in religiösen Dingen eine Häretikerin und kühn Hinterfragende, und im selben Brief schreibt sie auch: "Mit Gott habe ich meine eigene Abmachung, zu ihm meinen eigenen Zugang, an ihm vorbei und durch ihn hindurch."

Marina Zwetajewas letztes Jahr in Paris, vor ihrer tragischen Rückkehr im Juni 1939 ins stalinistische Rußland, wäre noch rätselhafter ohne den erhellenden Briefwechsel mit Ariadna Berg. Ihr Ehemann Sergej Efron mußte 1937 fluchtartig Paris verlassen, nachdem er jahrelang für den sowjetischen Geheimdienst gearbeitet hatte, um sich als ehemaliger Angehöriger der "weißen" Armee die Rückkehr zu erkaufen, und in das Attentat auf den abgesprungenen GPU-Agenten Ignaz Reiß in Lausanne verwickelt war. Nach den Verhören durch die Pariser Polizei schreibt Marina Zwetajewa, die nicht in die politischen Machenschaften ihres Mannes eingeweiht war, im Brief vom 2. November 1937 über ihre "tiefste Abneigung gegen die Politik, die ich insgesamt - mit sehr seltenen Ausnahmen - für Schmutz halte".

Eher in ihrem Element war die Dichterin von Juli 1936 bis Januar 1937 in dem Briefwechsel mit ihrer "letzten Liebe" der Pariser Zeit, einem fünfzehn Jahre jüngeren lungenkranken Dichter russisch-schweizerischer Abstammung, Anatolij Steiger. Hier entfaltet sich noch einmal - in furioser Mütterlichkeit wie in weiblicher Leidenschaft - die ganze Palette ihrer poetisch-erotischen Ausdruckskraft. Am 9. August 1936 schreibt sie an Steiger: "Niemals ist jemand so mit seinem ganzen Wesen zu Ihnen gekommen wie jetzt ich. So kommt nur das Meer - mit seinem ganzen Selbst (Flut)." Die vereinnahmende, geradezu erstickende Fürsorge wie Umwerbung war dem jungen homosexuellen Dichter zuviel, er wandte sich, wie so manche vor ihm, von der bitter enttäuschten Zwetajewa ab. Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, warf er sich jener russischen Bohème des Pariser Montparnasse in die Arme, für die Marina Zwetajewa nichts als Verachtung übrighatte.

In diesen späten Briefen an einen jungen Dichter ist zuweilen ein gebrochenes Echo auf ihre berühmten Briefwechsel mit Rilke und Pasternak wahrnehmbar. Die fünfundzwanzig Briefe sind aber auch ein Abgesang, die Litanei ewigen Scheiternmüssens in der Liebe klingt darin schon fast wie eine Parodie. Marina Zwetajewa war in mehr als einer Hinsicht bereits ihrem Ende nahe.

Im Juni 1939 kehrt sie in die Sowjetunion zurück, im August wird ihre Tochter abgeholt und für viele Jahre ins Lager geschickt, im Oktober wird ihr Mann verhaftet (1941 erfolgte seine Erschießung). Nicht erst am 31. August 1941, als sie im tatarischen Jelabuga Selbstmord beging, suchte Marina Zwetajewa dringend nach einem Ausweg in die Schmerzfreiheit. Drei Jahre zuvor schon, im Brief vom 3. September 1938 an Ariadna Berg, hatte sie geschrieben: "Ich bin schon lange nicht mehr am Leben - denn so ein Leben - ist kein Leben, sondern ein endloser Aufschub." Und auch in den Briefen an Steiger gibt es das versteckte Selbstmordmotiv, am 15. September 1936, in dem Abschnitt, der ihrem "liebsten deutschen Zeitgenossen" ("gleich nach Rilke") gewidmet ist, Hugo von Hofmannsthal: "Er erschoß sich nach dem Tod seines einzigen Sohnes. Ich denke, er schoß auf seinen unerträglichen Schmerz - damit er aufhöre."

Marina Zwetajewa: "Briefe an Ariadna Berg." Aus dem Russischen übersetzt von Bettina Eberspächer. Herausgegeben von Siegfried Heinrichs. Oberbaum Verlag, Berlin 1996. 205 S., geb., 44,- DM.

Marina Zwetajewa: "Briefe an Anatolij Steiger." Aus dem Russischen übersetzt von Bettina Eberspächer. Herausgegeben von Siegfried Heinrichs. Oberbaum Verlag, Berlin 1996. 173 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr