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Manfreds Welt ist das Berlin der ersten Nachkriegsjahre. Eine karge, oftmals bedrückende Welt voller Aufregungen und Abenteuer. In Erinnerung an seine eigene Kindheit erzählt Horst Bosetzky von Ängsten und Nöten, den kleinen Freuden, dem Einfallsreichtum und familiären Zusammenhalt in einer Zeit mit Lebensmittelkarten und Stromsperren, in der ein Fußball eine ungeahnte Kostbarkeit war und man Brennholz für Kartoffelschalen eintauschen konnte.

Produktbeschreibung
Manfreds Welt ist das Berlin der ersten Nachkriegsjahre. Eine karge, oftmals bedrückende Welt voller Aufregungen und Abenteuer. In Erinnerung an seine eigene Kindheit erzählt Horst Bosetzky von Ängsten und Nöten, den kleinen Freuden, dem Einfallsreichtum und familiären Zusammenhalt in einer Zeit mit Lebensmittelkarten und Stromsperren, in der ein Fußball eine ungeahnte Kostbarkeit war und man Brennholz für Kartoffelschalen eintauschen konnte.
Autorenporträt
Bosetzky, Horst
Horst Bosetzky, 1938 in Berlin geboren und unter dem Namen -ky einer der erfolgreichsten deutschen Krimiautoren, ist emeritierter Soziologieprofessor in Berlin. Neben Kriminalromanen schreibt er Jugendbücher, Hör- und Fernsehspiele, historische Romane sowie eine mehrteilige Familiensaga.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.1995

Gullitaucher und Menschenfresser
Horst Bosetzkys Kindheit ist kein Schirm

Jedem Versuch, einem Roman ein Etikett anzuheften, das ihn über das Literarische hinaus zum gesellschaftspolitischen Ereignis erhebt, sollte man mit Mißtrauen begegnen. An dem von Kritikern geforderten "deutschen Gegenwartsroman" etwa, dem "Buch zur Wiedervereinigung", mag mancher Autor gescheitert sein, der ihn vielleicht nie schreiben wollte. Daß in reizüberfluteten Zeiten ausgerechnet vom altehrwürdigen Buch, das nur in Ausnahmefällen zum Massenmedium wird, immer wieder verlangt wird, den Geist ganzer Epochen für die Nachwelt festzuhalten, hat etwas Anachronistisches.

Wird nun auf einem Klappentext behauptet, der Verfasser habe "den Roman der Nachkriegszeit geschrieben", so schenken wir dem lieber keine Beachtung, wollen wir uns vor Enttäuschung und den Autor vor zu hohen Ansprüchen seines Lesers bewahren. "Brennholz für Kartoffelschalen", das neue Werk des schriftstellernden Soziologieprofessors Horst Bosetzky, ist der "Roman eines Schlüsselkindes", dessen Erlebnisse zwischen dem Winter 1946/47 und dem Sommer 1950 geschildert werden. Bosetzky greift auf eigene Kindheitserinnerungen zurück und verleiht der Hauptfigur autobiographische Züge.

Der Autor würde seinem Ruf nicht gerecht, tauchten nicht auch diesmal jene finsteren Figuren auf, mit deren Hilfe er sich unter dem Pseudonym "-ky" Ruhm als Krimi-Autor erschrieb: der S-Bahn-Mörder etwa aus "Wie ein Tier" oder die fremden Onkel, die kleine Jungs in die Wohnung locken, um sie - Nachkriegszeiten sind Elendszeiten - aufzuessen. Natürlich begegnen sie dem Protagonisten nicht leibhaftig; sie sind gegenwärtig als Schwarze Männer, als Gespenster im Keller oder im dunklen Hausflur, dessen Durchquerung vom Vorder- zum Hinterhaus, über Höfe und Treppen hinweg, für einen Neunjährigen die bedrohlichen Ausmaße einer Amazonas-Expedition einnehmen kann.

Doch die Welt besteht nicht nur aus Bösem und Schlechtem, und es sind häufig die Kinder, die sich in schwierigen Situationen als widerstandsfähiger und flexibler erweisen als die Erwachsenen. Für Manfred, das Kind aus dem Berliner Arbeiterbezirk Neukölln, liegen die glücklichen Tage vor dem Krieg außerhalb der Erinnerung. Er kennt nichts anderes als das karge Leben in der zerbombten Stadt, hält es für normal, daß das Brot erst auf der Herdplatte geröstet wird, um es überhaupt genießbar zu machen, daß aus den Ledersitzen der U-Bahn Material für Schuhe geschnitten wird, daß es Stromsperren gibt und "Kälteferien" und daß man auf die Straße zu laufen hat, wenn der Ruf ertönt: "Brennholz für Kartoffelschalen!" Berlin, und dies kann man nur in jungen Jahren ermessen, ist zu dieser Zeit "der schönste Spielplatz, den es gibt: eine Riesenruine", in der kaum Autos unterwegs und der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind. Da werden kahle Flächen im Straßenpflaster, wo sich einst stolze Akazien erhoben, zu Eckpunkten fürs Schlagballfeld, wird das Radrennen Berlin-Cottbus nachgespielt, obwohl keiner der Beteiligten Besitzer eines Fahrrads ist.

Bosetzky begeht jedoch nicht den Fehler, die "gute alte Zeit" zu glorifizieren. Daß die Kindheit Manfreds alles andere als leicht ist, merkt man nicht nur an den vielen kleinen und großen Katastrophen, die der Junge magisch anzuziehen scheint - von der Nähnadel in der Kniescheibe bis zum Beinahe-Ertrinken im Landwehrkanal -, sondern vor allem an seiner überforderten Mutter, die mit dem Schicksal hadert und ständig mit der "Erziehungsanstalt" droht. Die alles beherrschende Figur der Familie ist jedoch ein Abwesender: An die Rückkehr des Vaters aus russischer Kriegsgefangenschaft knüpft seine Frau all ihre Hoffnungen auf bessere Zeiten.

"Die meisten vergessen ihre Kindheit wie einen Schirm und lassen sie irgendwo in der Vergangenheit stehen. Und doch können nicht vierzig, nicht fünfzig spätere Jahre des Lernens und Erfahrens den seelischen Feingehalt des ersten Jahrzehnts aufwiegen", formulierte Erich Kästner einen seiner "archimedischen Punkte". Bosetzky hat seine Kindheit nicht vergessen. Er hat sich erinnert, und er beweist es, wenn er den Alltag der vierziger Jahre beschreibt, Berufe wie Ritzenschieber und Gullitaucher, die mit dem Wirtschaftswunder ausstarben, ebenso wieder zum Leben erweckt wie die feiertäglichen Familientreffen, bei denen es - wir befinden uns im Arbeitermilieu - mitunter recht deftig zugeht. Von einigen etwas unglaubwürdigen philosophischen Ausflügen abgesehen, hält er dabei geschickt die Balance zwischen der kindlichen Wahrnehmung und Erklärungen, die nur ein zurückblickender Erwachsener beisteuern kann.

"Brennholz für Kartoffelschalen" ist ein zu persönliches Buch, um "der Roman der Nachkriegszeit" zu sein. Wie die im Buch erwähnten Zigaretten-Sammelbildchen mit sonderbaren Motiven ("Brennmaterial in fremden Ländern", "Fruchternte in den Tropen") bietet Bosetzky dem Leser eine Vielzahl von Eindrücken einer Welt, die so lange noch nicht zurückliegt. Mit einer unerschöpflichen Detailfülle versucht er, das Leben nach dem Kriege auch für Jüngere anschaulich zu machen; hierin liegt jedoch auch die Gefahr, daß Überflüssiges geschildert wird. Wenn die Leser etwa die Namenslisten kompletter Fußballmannschaften und mehr über Straßenbahnen der Typen T 24 oder TM 36 erfahren, als sie jemals wissen wollten, dann mag mancher in Versuchung geraten, an der nächsten Station einfach auszusteigen. JÖRG THOMANN

Horst Bosetzky: "Brennholz für Kartoffelschalen. Roman eines Schlüsselkindes". Argon Verlag, Berlin 1995. 380 Seiten, geb., 38,- DM.

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