anderes zu tun." Das Gespräch war ein würdiger, melancholisch-heiterer medialer Schlussakt einer großen Karriere, eines jener Interviews, bei denen man sich als Journalist ärgern darf, es nicht selbst geführt zu haben. Zumal es das letzte sein sollte: Auf Loriots Wort konnte und musste man sich ja verlassen.
Hätte man es doch nicht getan! Schon im darauffolgenden Jahr meldete Loriot sich wieder zu Wort, ausgerechnet im "Darmstädter Echo". Und weil Vicco von Bülow Humorist war, darf man getrost unterstellen, dass er selbst sie als Running Gag betrachtet hat, die letzten und allerletzten Interviews, die er im Laufe der Jahre immer mal gab, bis hin zum vermutlich wirklich allerallerletzten 2009 im "Stern". Und natürlich war es immer wieder ein Grund zur Freude, wenn Loriot etwas von sich hören ließ - wie es nun auch einer ist, einen Band in den Händen zu halten, der 17 Gespräche mit Loriot versammelt; wobei es strenggenommen 15 Gespräche und zwei Fragebögen sind.
Auch wenn die Interviews zum Teil leicht gekürzt wurden, bleiben vereinzelte Wiederholungen nicht aus, was den Reiz für Loriot-Verehrer durchaus noch erhöht - lässt sich doch prüfen, ob der Meister über die Zeit seine Ansichten möglicherweise revidiert hat. 1973 etwa ist Loriot ein Optimist (mit Ausrufezeichen); was die "Erziehbarkeit der Menschen" anbetrifft, aber ein Pessimist. 1986 ist er "im Kleinen Pessimist", "im Großen Optimist", 1988 schließlich: Realist. Und alles in allem doch jemand, der sich treu bleibt: ein "Ordnungsmensch" (1973), der die Ordnung liebt, "weil es ungeheuer reizvoll ist, sie zu unterlaufen" (1986); ein konzentrierter Humorarbeiter, der bei der Arbeit den Intellekt der Intuition vorzieht (1988) und seine berühmte Penibilität tiefstapelnd mit dem mangelnden Talent erklärt, perfekt zu schreiben: "Dieses Unvermögen zwingt mich zur Genauigkeit."
Natürlich wandelt sich auch die Haltung, mit der Interviewer Loriot gegenübertreten. Den Reporter, der 1968 noch Kritik an den "entsetzlichen Knollennasen" übt, entwaffnet deren Schöpfer galant mit einem kleinen Exkurs: "Die Nase war bei den ersten Menschen dieser Art spitz. Und nur durch das viele Zeichnen im Laufe der zwanzig Jahre ist die Nase wie ein Stein im Gebirgsbach durch Jahrmillionen abgeschliffen und rund geworden. Das ist keine Absicht. Das ist eine natürliche Erscheinung, die gewachsen ist." 2002 scheint Loriot längst unangreifbar; die jungen Interviewer wissen längst alles über sein Werk und wagen nur zarteste Provokation in der Hoffnung auf eine Pointe. Sie wird prompt erfüllt: "War Wendelin schwul?" - "Ach nein, er sprach nur so nasal, weil er einen Rüssel hatte."
Das Interview-Buch ist noch ein Wunsch von Loriot selbst gewesen; nach seinem Tod hat Diogenes den Band einige Wochen früher herausgebracht als geplant. Mit ausgewählt hat die Interviews der Verleger Daniel Keel, der inzwischen auch gestorben ist, womit das Büchlein ein wenig zum Vermächtnis beider geworden ist. Wehmut ist ohnehin nicht fern in einem Band, in dem ein alternder Künstler auf sein kürzer werdendes Leben blickt. 1998 etwa sprach Loriot mit dem Regisseur August Everding auch über den Tod - was sich heute noch einmal anders liest, wenn man weiß, dass Everding, der schon lange schwer krank war, nur wenige Monate später starb.
Hochkomisch ist das Buch trotzdem - und damit eine Widerlegung Vicco von Bülows, der eben doch nicht nur nach akribischer Vorarbeit, sondern auch im schnellen Schlagabtausch seinen Witz demonstrierte. Zudem bietet es seltene Einblicke ins Bülowsche Familienleben. Am stärksten geprägt hat ihn offenbar sein Vater, auf den er in fast allen Gesprächen Bezug nimmt. Was seine Arbeit und die damit verbundene häufige Abwesenheit betraf, so trugen diese "nicht gerade zum häuslichen Frieden bei", räumt Loriot ein; es sei auf Kosten seiner Kinder gegangen. "Ein bisschen betreten" habe er einmal aber auch seine Schwiegermutter gemacht - mit jener Sendung, "in der ich als ältlicher Firmenchef meine ebenso ältliche Sekretärin zu verführen versuche. Das war ihr doch für mich peinlich." Abendfüllend? Vielleicht nicht für Loriot selbst, für den Leser aber unbedingt.
JÖRG THOMANN
Loriot: "Bitte sagen Sie jetzt nichts". Gespräche.
Diogenes-Verlag, Zürich 2011. 256 Seiten, geb., 21,90 [Euro].
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