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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.1997

Hilflose Helferin
Nach zwanzig Jahren wieder angeknipst: Günter Herburgers Birne

Zähne geputzt, Schlafanzug gefunden, ein letzter Toilettenbesuch, und dann ab ins Bett. Welche Geschichte lesen wir heute abend? Vor vielen Jahren kratzten sich in dieser Phase des abendlichen Rituals nicht wenige Eltern ratlos am Kopf. Was sie im Bücherregal des Kinderzimmers finden konnten, handelte von idyllischen Landschaften, frommen Kinderseelen, putzigen Lausbübereien: viel Natur und Hokuspokus. Nein, das wollten sie ihren Kindern nicht bieten. Die Welt der Kinderbücher sollte nicht heil, sondern hell erscheinen. So dachte auch Günter Herburger und erfand gemeinsam mit seinem Sohn Daniel die patent agierende Glühlampe mit Namen Birne. Ihr heller Schein sollte schwarze Nachtgedanken verjagen und Kindern Ein- und Durchblick in die dunkle Erwachsenenwelt verschaffen. In kurzer Zeit erschienen drei schmale Erzählbände mit Szenen aus dem abenteuerlichen Leben der Technik-Heldin. Der assistierende Sohn sorgte dafür, daß Birne stets gerecht und mutig auftrat, immer siegte und vor allem unsterblich blieb.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten verläßt Birne noch einmal ihren nächtlichen Arbeitsplatz in einer Straßenlampe und durchleuchtet eine komplizierte Welt, in der "die Erwachsenen kindischer und die Kinder erwachsener" geworden sind. Offensichtlich ist das Generationenverhältnis für die ehemals so helle Birne jetzt so undurchschaubar, daß sie Kinder und deren Bedürfnisse kaum noch erkennt. Zwar tritt Birne immer noch als Anwältin der Kinderrechte auf und verhilft beispielsweise verletzten Kinderseelen zu einem coming out in Wolfsgestalt. Doch man merkt es: Dem tüftelnden Autor Herburger fehlt das wachsame kindliche Auge seines längst erwachsen gewordenen Assistenten.

Birne taumelt etwas behäbig durch das Weltgeschehen. Ihre Unterhaltungen mit Zuckerstückchen, Mauersteinen, Elefanten, dem Teufel oder der Mutter Gottes sind weitschweifig-räsonierend und passen nicht so recht zur notwendigen Sprödigkeit erhellender Dichtkunst. Wacker hält sie sich an ihren Grundsatz, mittels einfacher Technik rettend einzugreifen. Kommt ihr ein Zauberkraut in die Quere oder wollen gar ihre Hilfsobjekte, verständlicherweise, den dunklen Zauberwald nicht mit der drögen Birne-Wirklichkeit tauschen, wendet sie sich verärgert ab. Ähnlich Frustrierendes erlebt die Samariterin, wenn sie ihre Heimat, das Hochhausgebirge, verläßt und in der beschädigten Natur auf bedürftige Tiere trifft. Nur unter Mühe kann die hilflose Helferin sie in ein besseres Leben führen. Stets als leuchtendes Vorbild aktive Sozialarbeit zu bieten kostet viel Energie.

Langweilige Geschichten aber tun das auch, stöhnt der erschöpfte Vor-Leser, dem überdies manch unklarer Geschehensablauf in den Geschichten eine intensive Deutungsarbeit abforderte. Glücklicherweise besinnt sich Birne wieder auf ihre eigentliche Funktion als Lichtquelle und dreht sich pflichtbewußt in die Lampenfassung. Denn eine gute Beleuchtung wird jetzt gebraucht, um endlich ein anderes Buch zu lesen. Die neue Birne ist wohl doch nur etwas für ältere Birnen-Freunde. MYRIAM MIELES.

Günter Herburger: "Birne kehrt zurück". Luchterhand Literaturverlag, München 1996. 143 S., 29,80 DM.

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