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Der Bild-Anthropologie geht es darum, das Bild/Artefakt als kulturelles Modell zu untersuchen, das im sozialen Raum Weltwahrnehmung ebenso wie Selbstwahrnehmung programmiert. Der Bildbegriff, der hier zur Sprache kommt, ist aus dem Wechselverhältnis zwischen mentalen und physischen Bildern entwickelt. Er ist ebenso auf die Trägermedien bezogen, in welchen sich die Bilder verkörpern und dabei die Körpererfahrung der zeitgenössischen Betrachter steuern. In diesem Sinne ist jede Bildgeschichte nur die andere Seite einer Kulturgeschichte des Körpers. Die heutige Bilddiskussion bedarf endlich einer…mehr

Produktbeschreibung
Der Bild-Anthropologie geht es darum, das Bild/Artefakt als kulturelles Modell zu untersuchen, das im sozialen Raum Weltwahrnehmung ebenso wie Selbstwahrnehmung programmiert. Der Bildbegriff, der hier zur Sprache kommt, ist aus dem Wechselverhältnis zwischen mentalen und physischen Bildern entwickelt. Er ist ebenso auf die Trägermedien bezogen, in welchen sich die Bilder verkörpern und dabei die Körpererfahrung der zeitgenössischen Betrachter steuern. In diesem Sinne ist jede Bildgeschichte nur die andere Seite einer Kulturgeschichte des Körpers. Die heutige Bilddiskussion bedarf endlich einer Erweiterung ihres Blickfelds auf die Bildproduktion anderer Zeiten und ihre anthropologischen Grenzen.
'Beltings Analysen zum Verhältnis von Körper, Bild und Tod - sie werden bereichert durch Studien zu Dantes Bildtheorie, zum Verhältnis von Wappen und Portrait sowie zum fotografischen Bild - beeindrucken nicht nur durch ihr Material und ihre ebenso sensiblen wie gelegentlich überraschenden Interpretationsperspektiven, sondern auch durch methodische Reflexivität.'

Eine Bildwissenschaft, die es noch nicht gibt, bereitet sich derzeit in verschiedenen Disziplinen vor. Der Verfasser, von Hause aus Kunstwissenschaftler, geht der Bilderfrage in zehn Essays nach, die erste Versuche mit einem anthropologischen Diskurs darstellen. Anthropologie ist dabei nicht im Sinne einer der bekannten Disziplinen dieses Namens verstanden, sondern kündigt eine Fragestellung an, die sich von einer historischen Betrachtung im engeren Sinne unterscheidet. Ihr Thema ist die menschliche Bildproduktion in einem Rahmen, der weiter gefaßt ist als die geschichtlichen Epochen und die einzelnen Kulturen. Es geht darum, das Bild/Artefakt als kulturelles Modell zu untersuchen, das im sozialen Raum Weltwahrnehmung ebenso wie Selbstwahrnehmung programmiert. Der Bildbegriff, der hier zur Sprache kommt, ist aus dem Wechselverhältnis zwischen mentalen und physischen Bildern entwickelt. Er ist ebenso auf die Trägermedien bezogen, in welchen sich die Bilder verkörpern und dabei die Körpererfahrung der zeitgenössischen Betrachter steuern. In diesem Sinne ist jede Bildgeschichte nur die andere Seite einer Kulturgeschichte des Körpers. Das Medium, in dem die Bilder unsere körperliche Wahrnehmung erreichen, ist bisher in der Bilderfrage zu kurz gekommen. Die heutige Bilddiskussion bedarf endlich einer Erweiterung ihres Blickfelds auf die Bildproduktion anderer Zeiten und ihre anthropologischen Grenzen.

Aus dem Inhalt:
- Bildgeschichte und Mediengeschichte
- Der Ort der Bilder
- Warum Bilder?
- Körperbild und Menschenbild
- Bild und Tod
- Bild und Schatten bei Dante
- Wappen und Gesicht
- Corpus Christi
- Buddhas Spiegel
- Das Technische Bild: Die Photoggrapie
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.09.2001

Wir, Gefangene der Bilder
Hans Belting entwirft eine neue Kunstwissenschaft
Von der byzantinischen Ikone bis zur zeitgenössischen Foto- und Videokunst, vom Bild „vor dem Zeitalter der Kunst” bis zum „Ende der Kunstgeschichte” reicht das Forschungsgebiet Hans Beltings. Er hat sich einen breiteren Horizont erarbeitet als die meisten seiner Fachkollegen. Seit 1993 lehrt Belting an der neu gegründeten Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und hat damit dem traditionellen Fach Kunstgeschichte demonstrativ den Rücken gekehrt. Die Auseinandersetzung mit den Produzenten und der zeitgenössischen Kunst interessieren ihn seither mehr als die Sicherheit des historischen Rückblicks.
Aus dieser Position heraus erlaubt er sich auch, die Legitimation der Kunstwissenschaft auf den Prüfstand zu stellen, wie er dies bereits mit der Schrift „Das Ende der Kunstgeschichte?” getan hat, seiner Antrittsvorlesung an der Münchner Universität aus dem Jahr 1983. Für eine Neuauflage zehn Jahre später verzichtete er auf das Fragezeichen, wobei mit Kunstgeschichte das eigene Fach angesprochen war, nicht die Kunst selbst, die entgegen mancher Voraussagen und Erwartungen immer noch lebt.
Mit der Löschung des Fragezeichens nach zehn Jahren sollte jedoch nicht resignativ das Ende des eigenen Berufes ausgerufen werden. Mit seinem neuen Buch über die Bild-Anthropologie bietet Belting vielmehr einen ersten Entwurf dessen, was er von einer neuen oder zumindest erneuerten Kunstwissenschaft erwartet.
Das Spektrum der behandelten Gegenstände ist nun noch vielfältiger: Es reicht von prähistorischen Totenkulten bis zu den Fenstern der Benutzeroberflächen unserer Computer, vom religiösen Bild über das autonom verstandene Kunstwerk bis zum öffentlichen Bild der Nachrichtenmagazine und der Werbung. Einzelne Kapitel des Buches bestehen aus eigenständigen Vorträgen und zum Teil bereits publizierten Essays, die leider nicht so bearbeitet wurden, dass Überschneidungen und Wiederholungen vermieden worden wären. Die Argumentation bleibt dadurch etwas disparat und an den Steckenpferden des Autors orientiert, wenn er etwa die Entstehung der Portraitmalerei in den Niederlanden und das Kunstverständnis im „Zeitalter Dantes” in Italien ausführlich resümiert.
Man begegnet in diesem Buch noch einmal den Diskursen der letzten zwanzig Jahre, etwa dem über das Körperverständnis. Doch im Gegensatz zu manchem schnell auf die neuesten Entwicklungen reagierenden Sprachwissenschaftler, kann Belting mit seinem profunden Sach- und Faktenwissen voreilige Schlussfolgerungen vermeiden oder gar relativieren, mögen sie auch so banal wie treffend sein, wenn er etwa schreibt: „Wir sind Gefangene der Bilder geworden, mit denen wir uns umgeben. Deshalb verwechseln wir die Krise des Bildes, die von der technologischen Expansion der Bildmedien beschleunigt wird, mit einer Krise des Körpers, den wir in den Bildern nicht mehr wiederfinden oder nicht mehr wieder finden wollen. Daraus schließen wir dann auf eine Krise des Menschen.”
Die Referenz zwischen Körper und Bild sei immer wieder revidiert worden, um sie einer veränderten Wahrnehmung der Welt und der eigenen Präsenz anzupassen. Dies wird anhand der Frage nach dem Abbild, das der Menschen von sich macht, durch die Jahrtausende verfolgt. Nebenbei bietet er einen Vorschlag, die anhaltende Debatte um Kolonialismus und Eurozentrismus in der Kunstwissenschaft zu beenden, indem man den Arbeitsbereich einfach ausweitet.
Gewagter Spagat
Belting startet also den Versuch, die Diskurshoheit über die Bilderwelten zurück zu erobern, die von der Sprachwissenschaft bereits beansprucht wurde. Wie die Philologen die Medientheorie für sich entdeckt haben, so soll sich die Kunstwissenschaft das Bildermachen und das Denken in Bildern weltweit und epochenübergreifend zum Gegenstand nehmen. Die Kunstwissenschaft soll sich nach Belting zu einer Wissenschaft vom Menschen reformieren, einer human sience wie sie im englischsprachigen Raum gepflegt wird.
Die „Entwürfe” erheben nicht den Endgültigkeitsanspruch einer Methodik, mit der man sich bequem in die Geschichte des eigenen Faches einschreibt. Belting wagt dabei den Spagat zwischen konkreter Fallanalyse sowie Jahr tausende und Kulturen übergreifender Synthese, mit dem er sich beim Detail bewussten Fachpublikum nur angreifbar machen kann. Gerade deswegen gebührt ihm das Verdienst, als einer der wenigen seines Faches die Herausforderungen erkannt zu haben und zu versuchen, es in einer Welt, die angeblich immer stärker von Bildern dominiert wird, als Schlüsselwissenschaft zu positionieren.
ANDREAS STROBL
HANS BELTING: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. Wilhelm Fink Verlag, München 2001. 278 Seiten, Abb., 48 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2001

Dies Bildnis ist bezaubernd fremd
Man sieht immer noch, daß es Menschen sind: Zweifelnd verwandelt Hans Belting die Gegenstände der Kunstgeschichte in ethnographische Objekte

Als Hans Belting 1983 seine zunächst befremdende, vielfach vordergründig mißverstandene Münchner Antrittsvorlesung "Ende der Kunstgeschichte?" hielt, leitete er eine langfristige wissenschaftliche Operation ein, welche nicht das Begräbnis einer paralysierten akademischen Disziplin, sondern eher deren Wiedererweckung durch Grenzerweiterung zum Ziel hatte. Die Frage nach der Geschichtlichkeit der Kunst, die seit dem achtzehnten Jahrhundert vor einem spezifisch europäischen Horizont entfaltet worden war und das Paradigma des an den deutschen Universitäten so blendend verkündeten Faches Kunstgeschichte gebildet hatte, soll überwölbt werden durch eine ohne zeitliche und räumliche Begrenzung, vor allem aber auch ohne ästhetischen Vorbehalt gestellte Frage nach dem Bild. In dem erweiterten, ja schließlich grenzenlosen Raum einer erst zu erfindenden Bildwissenschaft würde die traditionelle Kunstgeschichte keineswegs untergehen, wohl aber als ein an ganz bestimmte historische und kulturelle Bedingungen geknüpfter Spezialfall der allgemeinen Geschichte des Bildes relativiert werden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es sich bei diesem Versuch um eine ungemein folgenreiche, auch mutige Operation handelt, der mindestens in Deutschland kaum Vergleichliches an die Seite zu stellen ist und welche gegen die Vorbehalte der "Beati Possidentes" der Fachbeschränktheit allemal in Schutz genommen werden sollte.

Die Stationen des Weges, auf denen Belting diesen Diskurs über das Bild jenseits der Grenzen der Kunst vorangetrieben hat, bezeichnen seine wichtigsten Bücher. 1990 erschien "Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst". Hier hat Belting, der als ehemaliger Byzantinist mit dem theologischen Bildgebrauch der Ostkirche und dessen Palladium der Ikone vertraut war, sich mit den kultischen Bildern aus dem Mittelalter beschäftigt. Bilder, daran wollte er seine Leser erinnern, sind älter, wurzeln tiefer als ihre erst in der Neuzeit einsetzende ästhetische Verklärung zur Kunst. Stufenweise hat Belting diese Dialektik von Bild und Kunst als einen historischen Prozeß dargestellt. In einem nächsten Buch, "Die Erfindung des Gemäldes", ist von der Herauslösung des neuzeitlichen Tafelbildes aus überkommenen Bindungen die Rede: das erzählende altniederländische Gemälde als historischer Gegenpol der Ikone. Der dritte Schritt war "Das unsichtbare Meisterwerk", ein voluminöser Band, in dem die "modernen Mythen der Kunst" bis zu ihrer Auflösung in der Gegenwart nacherzählt werden.

Die Materialfülle, die Vielfalt bibliographischer Aphorismen, welche in diesen Büchern kaleidoskopisch ausgestreut werden, lassen leicht übersehen, daß sich die drei genannten Untersuchungen um die Pole "Bild" und "Kunst" zu einer Hegelschen Sequenz zusammenschließen. Sie sind wie ein buntes Gewebe mit achtsam verborgenen, aber fest gezogenen Kettfäden. Beltings neues Buch erweitert dieses System. Er sieht sich mit seinem Projekt an einer weiteren Wegscheide. Vor dem eingeengten Horizont der europäischen Kunstgeschichte läßt sich die fundamentalistische Frage nach dem Bild nicht mehr vertiefen. Folglich wird das Untersuchungsfeld nach drei Seiten entgrenzt: zu den neuen Medien, welche Bilder nach der Kunst anbieten, zur Frühgeschichte, welche an die Anfänge des Bildes erinnert, und zu den außereuropäischen Kulturen, deren bislang als ethnographisch ausgesonderte Artefakte integriert werden.

Nur im Spiegelkabinett der Menschheitsgeschichte, zu deren Zeugnissen die neolithischen Schädel von Jericho ebenso zählen wie die Windows der elektronischen Geräte, lassen sich die diachronen Strukturen des Bildes reflektieren: Es ist ein Schritt von bewundernswerter Kühnheit, ja Waghalsigkeit. Der universale Ausgriff eröffnet unbegrenzte komparatistische Perspektiven, stellt aber die kritische Analyse vor rational fast uneinlösbare Ansprüche. Er ist wie Blitz und Nebel zugleich. Als vorläufiger Name - alles in diesem Buch ist erklärtermaßen Versuch, Abtasten, Verdunkeln und Entdunkeln - für das transästhetische "Musée Imaginaire", in welches Belting seinen erstaunten Leser lockt, wird der vagierende Begriff "Bild-Anthropologie" eingeführt.

In sieben Essays - Nummer eins ist nur ein Vorwort - schweift Belting um sein unendlich dehnbares Thema. Gleich zu Beginn des ersten Essays mit dem Titel "Medium - Bild - Körper" liest man: "Alles, was in den Blick oder vor das innere Auge tritt, läßt sich zu einem Bild klären oder in ein Bild verwandeln. Deshalb kann der Bildbegriff, wenn man ihn ernst nimmt, letztlich nur ein anthropologischer sein." Mit dieser Umschreibung - von einer Definition wird man angesichts der Allgemeinheit der beiden Sätze nicht reden wollen - ist die Entgrenzung des Untersuchungsfeldes als visionärer Anspruch gegen alle nur ästhetische, nur kunstgeschichtliche, nur medientechnische Beschäftigung mit dem Bild eingeklagt. Der Entwurf einer Bild-Anthropologie versteht und versteigt sich als Teil der Menschheitsgeschichte.

"Die Frage nach den Bildern sprengt die Grenzen, welche die Epochen und Kulturen voneinander trennen, weil sie nur jenseits solcher Grenzen Antwort finden kann." Sie macht daher auch nicht vor den technischen Trennwänden zwischen den diversen Medien halt, integriert nicht nur Fotografie und Film, sondern auch die digitalen und virtuellen Bilder. Ja, sie ist vielleicht überhaupt ausgelöst durch die aktuelle Erfahrung mit den heute um den ganzen Globus geisternden Bildern. Die diachronen Achsen dieser nicht ohne fundamentalistischen Klang beschworenen Bild-Anthropologie sind "Tod, Körper und Zeit". Die anthropologische Generalisierung sieht sich auf Grundbegriffe verwiesen, die das mythische Dunkel streifen, jedenfalls jenseits der von kritischer Vernunft und Raisonnement erhellten Zonen liegen.

Diese Trias von Themen erkundet Belting in einigen der weiteren Essays. So fragt er nach den "Orten" der Bilder, womit weniger physische Lozierungen als innere Orte wie Erinnerungen, Visionen und Träume gemeint sind. Ein eindringlicher Text wendet sich "Bild und Tod in frühen Kulturen" zu, springt von dort über zur Fotografie. Auch eine Fotografie erscheint als ein Medium, das Bilder von Zeit und Tod festhält. Fast möchte man sagen, daß diesem Entwurf einer Bild-Anthropologie eine sehr heutige Melancholie der Erinnerung eingeschrieben sei. Gewiß aber ist Beltings Buch ein Indikator für die Zivilisationsbrüche, die kulturelle Schwindsucht, die wir erleben und erleiden. Wo die Codes der vernünftigen kulturellen Verständigung sich auflösen oder nichts mehr besagen, öffnet sich der dunkle Schoß der diachronen und globalisierenden Verallgemeinerungen.

Beltings neue Publikation ist kein einfaches Buch. Sein Aufbau, aber auch die sprachliche Fassung machen dem Leser das Verständnis des vorgetragenen Arguments nicht immer leicht. Trotz eines gemeinsamen Anliegens hängen die einzelnen Versuche doch nur lose untereinander zusammen. Zwei Essays, "Wappen und Porträt. Zwei Medien des Körpers" und "Bild und Schatten. Dantes Bildtheorie im Wandel zur Kunsttheorie", stecken ersichtlich noch im Übergang von der traditionellen europäischen Kunstgeschichte, aus der Belting ja selbst kommt, zu der ersehnten Bildwissenschaft. Das Bestreben, die Trennscheiben zwischen Zeiten, Räumen, Medien und wissenschaftlichen Disziplinen einzuschmelzen, verführt zu einem chamäleonhaften Stil der Darlegung, welcher gelegentlich bis in den Satzbau hinein der diskursiven Vernunft aus dem Wege geht. Belting ist viel zu klug und viel zu sensibel, um diesen schwankenden Charakter seiner Ausführungen nicht selbst zu spüren. "Hier geraten wir an ein anthropologisches Material, dessen Beschreibung uns in Probleme mit geeigneten Begriffen verwickelt", schreibt er in dem Essay über "Verkörperung in frühen Kulturen".

Aber an einzelnen Stellen verliert sich der Wunsch nach anthropologischer Erweiterung dann doch in die Mystifikation von Trivialitäten. So etwa wenn es über die Todesnähe in der beginnenden neuzeitlichen Malerei heißt: "Auch die Porträts der Lebenden wurden vom Tod eingeholt, wenn jene starben, die sie darstellten", oder über fotografische Gedenkbilder: "Ein Bild kann nicht sterben und leiht deswegen seine Existenz als Medium einem sterblichen Körper." Das hätte einfacher und klarer gesagt werden können, denn die referierten Sachverhalte sind so geheimnisvoll ja nicht. Der gequälte Leser fragt sich: Warum muß der Text nur unbedingt orakeln?

Doch nichts wäre ungerechter, als wegen solcher Vorbehalte verkennen zu wollen, wie intensiv und impulsiv Belting das Nachdenken über Perspektiven, Chancen, aber auch Gefahren einer entstehenden Bildwissenschaft in der Nachbarschaft der digitalen und virtuellen Bilder vorantreibt. Seit er ein renommiertes kunsthistorisches Katheder verließ, um eine Professur an dem neugegründeten Medienzentrum in Karlsruhe anzunehmen, hat er mit erstaunlicher Neugier anthropologische, ethnographische, medientheoretische Literatur durchstreift und rezipiert, das Gespräch mit Künstlern gesucht, die experimentelle Erfahrungen mit Medien gesammelt hatten.

Und an dieser Stelle ist einem verbreiteten Mißverständnis entgegenzutreten. Weit davon entfernt, die Kunstgeschichte an die Medientheorie zu verraten, wünscht Belting im Gegenteil, daß "geborene Bildwissenschaften wie Kunstgeschichte und Archäologie mehr Präsenz im Mediendiskurs gewinnen". Er erinnert seine die Medien oft als banal verachtenden Kollegen daran: "Neue Medien schärfen erst den Blick für solche Eigenschaften der alten Medien, die man an ihnen bisher nicht wahrgenommen hat." Die Bildwissenschaften breiten sich ringsum aus. Wenn die Kunstwissenschaft sich in diesem Szenario intellektuell behaupten will, so muß sie in einen Dialog mit den Medien und der Medientheorie eintreten. Beltings Buch trägt dieser Notwendigkeit Rechnung.

Umgekehrt aber hält er den technisch orientierten Medientheoretikern entgegen: "Die anthropologische Frage nach dem Bild läßt sich nicht allein mit dem medialen Thema beantworten", und hofft, daß sein Leser bemerkt, "daß die digitalen Bilder ... als integraler Bestandteil der Bildtradition eingeführt werden". "Oft sind die neuen Medien", so erinnert er die von deren Neuheit Berauschten, "nichts anderes als neu geputzte Spiegel, in denen die alten Bilder auf andere Weise überleben als in den Museen." Der transversale Blick des Bild-Anthropologen überfliegt Räume und Zeiten und erschaut im Neuesten die Wiederkehr des Uralten. "Wenn dort (in der Cyberspace-Utopie) von einer ,digitalen Ewigkeit' die Rede ist, so ähnelt dieser Wunsch dem Austausch zwischen Körper und Bild, wie er im Totenkult schon in den frühesten Kulturen stattgefunden hat." Mit solchen faszinierenden Spiegelungen über die Jahrtausende hinweg scheint die angekündigte Bildanthropologie etwas von jenem mächtigen Atem zu gewinnen, der einst James George Frazers berühmtes Buch "The Golden Bough" erfüllt hatte.

Aber hier ist nun ein prinzipielles Bedenken gegen den grenzenlosen Ausgriff von Beltings Entwurf einer universalen Bildwissenschaft anzumelden. Dabei geht es keineswegs darum, die gewohnten stilkritischen, kennerischen oder ikonographischen Ordnungsmuster der Kunsthistoriker gegen ihre Auflösung durch die Bild-Anthropologie in Schutz zu nehmen. Vielmehr ist Belting darin zuzustimmen, daß diese Ordnungsmuster, die "ad usum scholarum" weiter in Gebrauch bleiben mögen, die fundamentale Frage nach dem Bild heute nicht mehr erreichen. Auch braucht nicht mehr die bürgerliche Ehrfurcht vor der Kunst gegen die Banalisierung der Bilder durch die Massenmedien geschützt zu werden. Dieses altjüngferliche Phänomen ist ohnedies passé. Wohl aber ist daran zu erinnern, daß die Produktion von Bildern in der westlichen Zivilisation, seit sie im Florentiner Humanismus bei Alberti oder Leonardo Züge eines wissenschaftlichen Verfahrens annahm, unumkehrbar selbstreflexiv geworden ist.

Fortan waren Bilder Erkundungen, und selbst dort, wo sie weiter in den Dienst des Glaubens traten, den Mächtigen den Mantel des Gottesgnadentums liehen, an allgemein menschliche Themen wie den Tod rührten, konnten sie nie mehr hinter diesen Stand der Selbstreflexion zurückfallen. Hier geht es um mehr als nur um die Entstehung des modernen Kunstbewußtseins. Natürlich ist Belting viel zu sehr Historiker, um sich dieser Tatsache nicht bewußt zu sein. "Der Schein im Bild war der Eindruck, kein Bild oder mehr als ein Bild zu sehen, den es im Betrachter hinterließ. Die Ästhetik wurde eine Strategie, diesen Schein offenzulegen und als Selbstreflexion auszugeben", schreibt er - leider nicht ganz klar - über ein Bild der Renaissance wie Masaccios "Vertreibung aus dem Paradies" in der Florentiner Brancacci-Kapelle. Aber man wird den Eindruck nicht recht los, er wünsche sich hinter diese ästhetische Veräußerlichung zurück zur alten Ontologie des Bildes. Es klingt wie melancholisches Bedauern, wenn er konstatiert: "Ähnlichkeit besaß im Totenkult eine ontologische Referenz, die in der technologischen Bewunderung des Kunstprodukts ausgefallen ist." Im Ruf nach der Bild-Anthropologie schwingt der Zweifel an der Moderne mit.

Aber die wissenschaftliche Wende in der Geschichte der Bilder läßt sich nicht durch retrospektive anthropologische Einnebelung retuschieren. Auch die virtuellen und digitalen Bilder von heute stehen in der Nachfolge jener forschenden Reflexion, die mit den Theoretikern der frühen Neuzeit eingesetzt hat. Wie allein ihre Manipulierbarkeit verrät, sind sie von den an Ritus und Kult gebundenen Bildern in den frühen Kulturen eben doch grundverschieden. Keine scheinbare Verwandtschaft der Themen kann darüber hinwegtäuschen. Die List der Vernunft ist immer mit im Spiel. Sosehr man Belting zustimmen wird, daß die Kunstgeschichte sich mit den neuen Medien und den jenseits ihrer bisherigen Grenzen entstehenden Bildwissenschaften auseinandersetzen muß, wenn sie nicht völlig diskurslos werden will, so sehr möchte man für dieses Engagement einen anderen Weg vorschlagen. Aufgrund ihrer langen Erfahrung mit alten Bildern und deren Geschichte sind "geborene Bildwissenschaften" wie Archäologie und Kunstgeschichte dazu aufgerufen, sich an einer kritischen Analyse der neuen Bildmedien und ihrer öffentlichen Wirkung, ihrer Suggestivkraft, zu beteiligen. Mit anderen Worten: Nicht eine ontologisierende Bild-Anthropologie, sondern eine historische Bild-Kritik wäre im Angesicht der Medien von einer sich der Aktualität öffnenden Kunstwissenschaft zu fordern.

WILLIBALD SAUERLÄNDER.

Hans Belting: "Bild-Anthropologie". Entwürfe für eine Bildwissenschaft. Wilhelm Fink Verlag, München 2001. 278 S., 182 S/W-Abb., br., 48,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Als begrüßenswerten Beitrag zur aktuellen Debatte um interdisziplinäre Bild-Wissenschaften sieht der Rezensent Rüdiger Zill diesen Band. Er betont, dass Belting, obwohl Kunsthistoriker, auf den kontextuellen Bezügen des Bildes besteht: er sieht sie "im Spannungsfeld von Körpern und Medien." Historisch greife Belting weit aus und methodisch versuche er, über bloße semiotische Bildbeschreibung hinauszugehen. Über die Körperlichkeit des Bildes wie des Betrachters kommen soziale und mediale Bezüge in den Blick. Rüdiger Zill findet das Buch wichtig und schätzt, wie es scheint, auch die vom Autor selbst konstatierte Vorläufigkeit des Ansatzes, die essayistische Herangehensweise. "Wichtig", so Zill, ist es als Debattenbeitrag, dem weitere folgen sollten.

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