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Das Pendant zum großen Bildatlas: Stimmen zu Entwendungen, Translokationen und Rückgaben in berühmten und unbekannten Texten von der Antike bis in die Gegenwart.Die Frage der Restitution geraubter und enteigneter Kulturgüter ist nicht neu, es handelt sich vielmehr um eine Frage, die unweigerlich mit allen Kriegen in der Menschheitsgeschichte und den damit einhergehenden wechselnden Herrschafts- und Besitzverhältnissen verknüpft ist - und über die sich Intellektuelle und Autoren aller Zeiten und Kulturen den Kopf zerbrochen haben. Schon der antike Geschichtsschreiber Polybios tritt vehement…mehr

Produktbeschreibung
Das Pendant zum großen Bildatlas: Stimmen zu Entwendungen, Translokationen und Rückgaben in berühmten und unbekannten Texten von der Antike bis in die Gegenwart.Die Frage der Restitution geraubter und enteigneter Kulturgüter ist nicht neu, es handelt sich vielmehr um eine Frage, die unweigerlich mit allen Kriegen in der Menschheitsgeschichte und den damit einhergehenden wechselnden Herrschafts- und Besitzverhältnissen verknüpft ist - und über die sich Intellektuelle und Autoren aller Zeiten und Kulturen den Kopf zerbrochen haben. Schon der antike Geschichtsschreiber Polybios tritt vehement gegen die Zurschaustellung erbeuteter griechischer Kunst in Rom auf, Cicero stellt die Frage, ob die Ankäufe eines sizilianischen Statthalters ohne Zwang vonstattengegangen seien. Auch Petrarca und Goethe haben zu dieser Frage Stellung bezogen, ebenso wie Victor Hugo und Emil Nolde. Bis hinein in die Gegenwart, über Aimé Césaire und François Mitterrand zu Aminata Traoré reichen die rund sechzigQuellen, die in diesem Band abgedruckt, kontextualisiert und analysiert werden. Sie machen deutlich: Europas Kunstsammlungen müssen sich der Frage der Provenienz stellen, wenn sie weiterhin als Stätten des Kulturtransfers und der Wissensvermittlung gelten wollen - und nicht als Orte der hegemonialen Machtdemonstration.
Autorenporträt
Bénédicte Savoy, 1972 in Paris geboren, lehrt Kunstgeschichte an der TU Berlin. Ihre Forschungsinteressen sind Kunst und Kulturtransfer in Europa, Museumsgeschichte sowie Kunstraub und Beutekunst. 2016 erhielt sie den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Zusammen mit Felwine Sarr wurde Bénédicte Savoy vom Time Magazin zu den 100 einflussreichsten Menschen 2021 gewählt.  Robert Skwirblies ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Kunstgeschichte der Moderne der TU Berlin und forscht zu Kunsthandel, Sammlungs- und Museumsgeschichte im 18. und 19. Jahrhundert. Er ist PostDoc Fellow im Forschungscluster translocations. Isabelle Dolezalek ist Kunsthistorikerin mit einem Schwerpunkt in der Kunst des Mittelalters. Seit 2019 forscht und lehrt sie an der Universität Greifswald. Sie ist assoziiertes Mitglied des Forschungsclusters translocations.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Andreas Kilb rät, genau hinzuschauen bei der Betrachtung postkolonialer Diskurse im Zusammenhang mit Beutekunst und auch bei der Lektüre der von Benedicte Savoy u. a. herausgegebenen doppelbändigen Anthologie über Kunstraub und kulturelles Erbe. Dem Leser könnte ansonsten laut Kilb entgehen, dass die Autoren feine Unterschiede machen zwischen "guter" und "böser" Archäologie, etwa zwischen "osmanischer Archäologie" und "Aneignung" (im Fall der Ausgrabung des Alexandersarkophags und seiner Verbringung nach Istanbul) und "Entzug" (im Fall von Teilen des jordanischen Schlosses Mschatta und ihres Transports nach Berlin). Unparteilichkeit sieht anders aus, findet der Rezensent. Den "Anschein von Objektivität" wahren Herausgeber und Autoren für Kilb immerhin, indem sie die Missetaten der Kreuzfahrer neben die arabischer Schatzjäger in Ktesiphon stellen. Wieso das Narrativ der Errettung von Kunstschätzen nicht mehr gelten soll, können die Autoren Kilb allerdings nicht vermitteln. Ein Kapitel zur "Geschichte der Kulturzerstörungen" enthalten die Bände leider nicht, bedauert der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2022

Von guten und bösen Imperialisten

Ein Bildatlas und eine Anthologie zur Geschichte des Kunstraubs geben sich enzyklopädisch unparteiisch. Doch tatsächlich haben in ihnen allzu oft Ideologen das Wort.

Das Osmanische Reich spielt in der Diskussion um koloniale Verbrechen und postkoloniale Gerechtigkeit eine Schlüsselrolle. Denn einerseits war es ein Imperium, das sich wie andere Imperien verhielt und fremde Territorien unterwarf und ausbeutete, Aufstände unterdrückte und Handelsprivilegien militärisch sicherte. Andererseits geriet es im neunzehnten Jahrhundert zunehmend unter den Einfluss der westeuropäischen Großmächte. Deshalb sprechen manche Vordenker des Postkolonialismus dem Reich der Hohen Pforte eine Opferrolle in der Kolonialgeschichte zu.

Die Zuschreibung hat auch eine strategische Funktion, denn sie macht es leichter, eine Verbindung zwischen heutiger Islamkritik und dem westlichen Imperialismus der Neuzeit herzustellen und zugleich die dreizehn Jahrhunderte umspannende Praxis des Sklavenhandels und -imports in muslimischen Reichen und Staaten hinter einem Dunstschleier verschwinden zu lassen. Der Leitfaden des Deutschen Museumsbundes zum Umgang mit kolonialem Sammlungsgut, in dem die nordafrikanischen Stützpunkte Spaniens im Krieg gegen die Osmanen als "formale Kolonialherrschaften" bezeichnet werden, leistet dieser tendenziösen Deutung Vorschub.

In einem "Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe", der die illustrierte Hälfte einer Doppelpublikation mit dem Obertitel "Beute" bildet, wird die Ausgrabung des sogenannten Alexandersarkophags durch Osman Hamdi Bey im Frühjahr 1887 jetzt als "Geburtsmoment der osmanischen Archäologie" bezeichnet. Der Autor des Beitrags, Sebastian Willert, beschreibt die Bergung des Sarkophags, der heute die Ikone des Archäologischen Museums in Istanbul ist, zutreffend als gewaltsame "Extraktion" mittels "invasiver Methoden", grenzt sie aber gleichwohl von "häufig illegalen und zerstörerischen" Ausgrabungen westlicher Staaten und Privatleute auf dem Territorium des Osmanischen Reiches ab. Die Veröffentlichung der Funde von Sidon habe dagegen "den wissenschaftlichen Beitrag" des Reichs demonstriert.

Ein anderer Beitrag, der von zwei Autoren signiert ist, handelt unter der Überschrift "Mschatta - ein Plan fürs Wegnehmen" vom Transport der Fassade des jordanischen Wüstenschlosses Mschatta in das wilhelminische Berlin. Hier ist es "die koloniale Infrastruktur" (sprich: die vom Deutschen Reich gebaute Hedschas-Bahn), die den reibungslosen Ortswechsel des Objekts garantiert, und sein Erwerb ist nicht, wie beim Alexandersarkophag, eine "Aneignung", sondern ein "Entzug". Das Gleiche gilt für die Verbringung eines Kalksteinreliefs aus der Königsstadt Nimrud im heutigen Nordirak ins British Museum, die in einem weiteren Essay als "Ausdruck der kolonialistischen Erforschung des Großraums Mittlerer Osten" bezeichnet wird.

Für die Autoren des "Beute"-Bildatlas gibt es, anders gesagt, eine gute und eine böse Archäologie, so wie es einen guten und einen schlechten Imperialismus gibt, und das Gute liegt in beiden Fällen auf der Seite der Osmanen. Sowohl der Nordirak als auch das heutige Libanon, in dem die Stadt Sidon liegt, waren bis 1918 Provinzen des Osmanischen Reiches. Nach den Kriterien der Herausgeber zählen alle zuvor von dort erworbenen Artefakte als Beutekunst, weil sie, wie es im Vorwort heißt, "unter asymmetrischen Machtverhältnissen verlagert" worden sind. Im Fall des Alexandersarkophags erweckt der Band indes den Eindruck, seine Verlagerung nach Istanbul sei ein legitimer Akt der Wissenschaftspolitik gewesen. Man würde zu gerne wissen, was heutige libanesische Kulturpolitiker dazu sagen.

Die Ungleichbehandlung von osmanischem und europäischem Kulturimperialismus ist ein kleiner, aber entscheidender Riss in der Fassade der enzyklopädischen Unparteilichkeit, welche die beiden "Beute"-Bände vor ihren Lesern errichten. Dass die Doppelveröffentlichung, die eine Art Abschlussbilanz des von Bénédicte Savoy mit dem Preisgeld ihres Leibniz-Preises finanzierten Projektclusters "translocations" an der TU Berlin darstellt, kein Handbuch für konservative Museumsleute sein würde, war klar. Dennoch bemühen sich die Herausgeber sowohl im Ton ihrer eigenen als auch in der Text- und Bildauswahl der übrigen Beiträge um einen Anschein von Objektivität. So werden die Räubereien der Kreuzfahrer in Konstantinopel ebenso gewürdigt wie das Beutemachen ihrer arabischen Vorgänger in der persischen Metropole Ktesiphon. Der zweite Band, der eine Anthologie von Texten zum Kunstraub enthält, öffnet ein breites Panorama, das von den Tatenberichten der Assyrer bis zu den Anleitungen japanischer Kulturbürokraten zur Ausplünderung Koreas und Ostchinas reicht. Dabei widerlegen viele Fundstücke die postkoloniale Legende von der Gier "der" Europäer nach fremdem Kulturgut.

So hat Byron schon 1812 in seinem Langgedicht "Childe Harolds Pilgerfahrt" den Diebstahl der Parthenon-Skulpturen durch Lord Elgin angeprangert, und Victor Hugo knüpfte daran an, als er die Zerstörung des Sommerpalasts der chinesischen Kaiser in einem offenen Brief von 1861 als Werk zweier "Banditen" (sprich: England und Frankreich) bezeichnete. Der Unesco-Generalsekretär Amadou-Mahtar M'Bow hätte auch auf diese beiden verweisen können, statt die Philippika des Polybios gegen den Statuenraub der Römer in Griechenland zu zitieren, als er in seiner Rede von 1978 die Rückgabe afrikanischer Kunst aus westlichen Museen forderte. Selbst ein Brief Emil Noldes von 1914, in dem er den "bösen Raubhandel" mit Artefakten aus Neuguinea beklagt, wirkt im Zusammenhang mit anderen Zeitzeugnissen weniger borniert, als es die derzeit angesagte expressionismuskritische Lesart der Postkolonialen wahrhaben will.

Im Vorwort zu dem Bildatlas-Band laden die Herausgeber ihre Leser dazu ein, "mit uns zu verstehen, warum das Narrativ der Befreiung und der Rettung von dem Verderben geweihten Kunstschätzen aus undurchdringbaren Urwäldern, dunklen Höhlen und vermeintlich unsachkundigen Händen längst ausgedient haben müsste". Ja, das würde man tatsächlich gern verstehen, zumal im Licht der Ereignisse der letzten zwanzig Jahre im Nahen und Mittleren Osten. Der "Islamische Staat" (IS) hat bekanntlich seine Feldzüge unter anderem durch den Verkauf von archäologischen Funden an private - nicht nur westliche - Sammler finanziert. Zugleich hat der IS die Welterbestätten von Palmyra und Hatra zerstört. Hätte ein europäisches Museum, wenn es die Chance gehabt hätte, solche Stätten und Objekte durch Ankauf zu retten, diese lieber in den sachkundigen Händen der Islamisten lassen sollen? Auch die afghanischen Taliban haben neben der Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan eine noch unbezifferbare Menge von Kulturschätzen vernichtet oder auf den Schwarzmarkt geworfen. Hätte ihre mögliche Rettung durch Museumsleute nur ein ausgedientes Narrativ bedient?

Historischer Kontext ist eben das A und O in kulturgeschichtlichen Erzählungen, auch dort, wo es um translozierte Objekte geht. Deshalb ist es bedauerlich, dass keiner der beiden Bände ein Kapitel zur Geschichte der Kulturzerstörungen - also der Translokation ins Nichts - enthält. Noch bedauerlicher ist es, dass die Herausgeber an ein paar entscheidenden Stellen ihres Diskurses die Bühne den Ideologen überlassen haben. Den Kommentar zu der 2002 verfassten Erklärung führender westlicher Museumsdirektoren über "Wichtigkeit und Wert von Universalmuseen" etwa hat Dan Hicks verfasst, Archäologieprofessor in Oxford und eine der Galionsfiguren der postkolonialen Bewegung in England.

Die Idee des Universalmuseums, behauptet Hicks, sei "eine reine Erfindung" und "ein legitimierender Mythos des 21. Jahrhunderts". Offenbar hat sich der Autor ausschließlich mit angelsächsischer Wissenschaftsgeschichte befasst, sonst wüsste er, dass die universale Ausrichtung des Museums ein Konzept der deutschen Romantik und Spätaufklärung ist. Alexander von Humboldt, der es bereits um 1815 vertrat, musste sich von den Rückholern deutscher Kulturgüter aus dem Louvre als "unteutsch" beschimpfen lassen. Das Zitat und den Sachverhalt kann man in einem Aufsatz nachlesen, den die "Beute"-Herausgeberin und "translocations"-Initiatorin Bénédicte Savoy vor sieben Jahren veröffentlicht hat. Es lohnt sich eben immer, genau hinzuschauen - erst recht, wenn es um das kulturelle Erbe der Menschheit geht. ANDREAS KILB

"Beute". Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe.

Hrsg. von Bénédicte Savoy, Robert Skwirblies und Isabelle Dolezalek. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021. 430 S., geb., 38,- Euro.

"Beute". Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe.

Hrsg. von Bénédicte Savoy, Merten Lagatz und Philippa Sissis. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021. 389 S., Abb., geb., 38,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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In Kombination mit beigestellten Kommentaren wird deutlich, dass Konflikte um Besitzansprüche an erbeuteten vs. erworbenen Kulturgütern schon seit Beginn der ersten historischen Aufzeichnungen bestehen. (...) Es lohnt sich, beide Bände parallel zu lesen und dabei den Querverweisen von einem zum anderen Buch zu folgen. Jana Kühn Bücher-Magazin 20211201