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Kann es sein, daß der Hölleneingang auf der Karte Frankreichs eingezeichnet ist? Tausende durchqueren Cerbere - Zerberus - auf dem Weg nach Süden, kaum jemand macht hier halt. Wer die Küstenstraße am Mittelmeer bis nach Spanien hinein weiterfährt, kommt nach Port Bou, einen Ort, der für den Übergang zwischen Leben und Tod, zwischen Lebenwollen und Aufgeben, zwischen Flucht nach vorne und endgültigem Innehalten steht. Die Reisende, die hier von sich erzählt, bleibt in Cerbere - der kleinen Vorhölle. Sie fühlt sich an einem schonungslos Bilanz fordernden Endpunkt angelangt, steht sich selbst als…mehr

Produktbeschreibung
Kann es sein, daß der Hölleneingang auf der Karte Frankreichs eingezeichnet ist? Tausende durchqueren Cerbere - Zerberus - auf dem Weg nach Süden, kaum jemand macht hier halt. Wer die Küstenstraße am Mittelmeer bis nach Spanien hinein weiterfährt, kommt nach Port Bou, einen Ort, der für den Übergang zwischen Leben und Tod, zwischen Lebenwollen und Aufgeben, zwischen Flucht nach vorne und endgültigem Innehalten steht.
Die Reisende, die hier von sich erzählt, bleibt in Cerbere - der kleinen Vorhölle. Sie fühlt sich an einem schonungslos Bilanz fordernden Endpunkt angelangt, steht sich selbst als einer Unbekannten gegenüber. Da erreicht sie eine Nachricht aus der deutschen Heimat: Der Vater, der bis dahin wie unantastbar, körperlos und somit unsterblich erschien, ist lebensgefährlich erkrankt. Der erinnerten Kindheit entsteigt die Welt des immer schon abwesenden Vaters als eine ersehnte, unerreichbare, zu der man nur hochschauen, aber in die man nicht vordringen kann. Gegen diese Welt der großen Geister den eigenen Kosmos zu schaffen und zu behaupten ist eine Aufgabe, der sich die Erwachsene stellen muß und endlich stellen will.
So leichtfüßig tastend wie zielstrebig, so scharfsinnig wie poetisch begibt sich Anne Weber auf diese faszinierende Reise.

Autorenporträt
Anne Weber, geboren 1964 in Offenbach, lebt als Autorin und Übersetzerin in Paris. Sie übersetzt sowohl aus dem Deutschen ins Französische (u.a. Wilhelm Genazino und Sibylle Lewitscharoff) als auch aus dem Französischen ins Deutsche (u.a. Pierre Michon und Marguerite Duras). Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den "Kranichsteiner Literaturpreis" 2010. Anne Weber schreibt auf Deutsch und Französisch, ihre Bücher erscheinen in Frankreich und Deutschland. 2015 wurde Anne Weber mit dem "Johann-Heinrich-Voß-Preis" ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.04.2004

Höllenhund, feingestrickt
In trockenen Tüchern aus dem Wortfluss geholt: Anne Webers „Besuch bei Zerberus”
Bevor die Muse zweimal klingelt, schiebt sie einen Zettel unter der Tür durch. So kann die Dichterin, die zu Beginn ihres Monologs aus dunklen Gründen in einer Wannseevilla mit spinnwebvergitterten Fenstern und bröckelnden Balkonen haust, sich sehr viel Zeit nehmen, um „auf dem unfruchtbaren Papierboden Fuß zu fassen”. In Wahrheit will sie gar nicht Fuß fassen, sondern Pirouetten drehen, und wenn sie vorgibt, sie warte auf die „nötigen Anweisungen zum Schreiben eines dicken, den Schreibenden erlösenden, den Leser nicht mehr loslassenden Buches”, dann ist das nichts als Koketterie.
Anne Weber hat sich auf das Flirten mit Wörtern kapriziert, vor allem aber auf die Endlosrepetition eines gänzlich erlösungsfernen und leider nur mäßig fesselnden Themas: der Schreibprozess und seine Mühen. Wenn auf der dritten Seite angekündigt wird, dass es zu einer Geschichte „wieder einmal nicht langen” werde, wenn die Erzählerin, wie wir sie behelfsweise nennen möchten, nach vier weiteren, angestrengt verplauderten Seiten bekennt, für den Roman sei sie „zu kurzatmig, für die Novelle zu einfallslos, für den Aphorismus zu weit von jeder Wahrheit entfernt”, dann wächst die Versuchung, ihr zuzuraunen: Lass es einfach bleiben, das Schreiben.
Inzwischen freilich haben sich „Worte” eingestellt, ganze Bataillone gar, „und so gibt ein Satz den anderen, die Buchstaben nehmen sich an der Hand und bilden innerhalb kürzester Zeit eine Wortkette, die ich um den erstbesten Hals schlinge und zuziehe zu einem mitleidlosen Exekutions-Kalligramm”. Nach Luft ringend nehmen wir zur Kenntnis, was uns erspart bleibt: „Was mir eigentlich vorschwebt, ist allerdings nicht etwa ein Buch in Galgenform, sondern eines, in dem die Sprache umgestülpt wäre wie ein Strumpf.” Der Volksmund, auf den Anne Weber sich mitunter beruft, würde hier rüde einwerfen: Nun komm mal in die Socken. Wo Buchstaben einander die Hand reichen, sind auch andere Dinge auf possierliche Weise beseelt. Der Fernmeldeturm blinzelt der einsamen Denkerin zu, der See setzt sich mit ihr an den Schreibtisch, Bäume schütteln sich vor Lachen, und das ganze große Weltall ist „ein Kind, das ausprobiert, wie weit es gehen kann”.
In der zweiten Buchhälfte gibt es dann doch noch eine Art Geschichte, und vieles deutet darauf hin, dass es zumindest in Teilen ihre eigene ist. Es geht darin um eine schwierige Vater-Tochter-Beziehung, um einen Erzeuger aus großbürgerlich-intellektuellem Milieu und ein Kind, das einer Mesalliance entstammt, es geht um verweigerte Nähe und die Sehnsucht nach Anerkennung. In diesem Licht erscheint der ganze Text als Versuch einer auf Distanz gehaltenen Tochter, durch Klugdenken und Schönschreiben die Aufmerksamkeit des großen Abwesenden zu erringen.
Eine reife, süße Frucht
Ein Kurztrip in die Vorhölle soll Klärung und Läuterung bringen. Praktischerweise befindet sich das Tor zur Unterwelt in Frankreich, dem Land, in dem Anne Weber seit ihrer Studienzeit lebt und ihre literarische Sozialisation erfahren hat. Eine französische Duftmarke schwebt jedenfalls über solchen Sätzen: „Die Nacht bricht auf wie eine reife, süße Frucht, doch in ihrem Inneren blitzen die Reißzähne des Hundes.”
Cerbère, der kleine Mittelmeerhafen mit dem riesigen, funktionslos gewordenen Grenzbahnhof, den man auf dem Weg nach Spanien links liegen lässt, verdankt seinen Namen dem dreiköpfigen Höllenwachhund Zerberus; der aber beißt nicht, sondern wartet schwanzwedelnd, „mit aufgestellten Ohren”, auf die Gelegenheit, mit der Textweberin aus dem Norden ein Bad im „Wortfluß” zu nehmen. Gemeinsam schüttelt man sich das Wasser aus dem Fell, und endlich ist auch das Schreibprojekt in trockenen Tüchern. Denn es geschieht etwas. Am Ort der Grenzerfahrung und des Übergangs trifft die Nachricht ein, im fernen Deutschland läge der Vater im Sterben. Damit nicht genug: Im nahen Port Bou, buchstäblich in Sichtweite, liegt Walter Benjamin begraben, der geistige „Übervater”. Vor so viel geballtem Mythos muss selbst Zerberus die Ohren anlegen.
Die Schicksalsbotschaft entpuppt sich als Fehlalarm, veranlasst indes die Tochter, bevor sie von neuem das monomanische Geschäft aufnimmt, „Worte und Silben und Buchstaben in Schach zu halten”, sich für ein Weilchen so profanen Dingen wie ihren Kindheitserlebnissen und ihrer Familienchronik zu widmen. Ohne ein „bucklicht Männlein”, das humpelnd aus dem Erinnerungsdickicht auftaucht und in ihren Notizkalendern wühlt, kommt sie dabei nicht aus, was den Eindruck verstärkt, dass hier ein hochgeschraubter Kunstwille mit dem Hang zum Putzigen eine problematische Verbindung eingeht.
Wenn Anne Weber eine verschneite Waldlandschaft als „feine Nadelarbeit” beschreibt, „ein sorgfältig angefertigtes, sauberes Häkeldeckchen, wie man sie sonst nur noch auf Flohmärkten oder in Großmutters Wäscheschrank findet”, hat sie zugleich ein Bild für ihre preziöse Prosa geschaffen.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
ANNE WEBER: Besuch bei Zerberus. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 112 Seiten, 18,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2004

Vorbilder im Rückspiegel
Nach dem Urknall: Anne Webers sprachphilosophische Prosa

Es gibt eine zentrale Erfahrung in diesem Text von Anne Weber, die sich in vielen Passagen manifestiert: der Verlust der Wirklichkeit. Die Welt zerbricht der Ich-Erzählerin unter den Händen. Ihr Schreiben aber ist Abwehrstrategie gegen das Zersplittern aller Gewißheiten und kaschierter Kampf gegen das drohende Abgleiten ins Nichts. Auf diesem prekären Terrain bewegt sich die vierzigjährige, in Offenbach geborene und seit 1983 in Paris lebende Literaturwissenschafterin und Übersetzerin. Schreiben ist dieser Autorin vor allem anderen ein Mittel der Selbstvergewisserung und Identitätssuche. Die Sprache wird ihr dabei zum Vehikel, um die Realität fortwährend neu zu konstruieren.

Anne Webers Buch "Besuch bei Zerberus" läßt sich keiner Gattung eindeutig zuordnen. Der Text vermittelt keine kohärente Geschichte. Er ist eher eine ruhig dahinfließende Zustandsbeschreibung, die auf ihrer Oberfläche ein paar kompakte Erzähl-Inseln mit sich führt. Welt generiert sich aus dem Sprachspiel, und der so gewonnene Boden unter den Füßen wird von der Ich-Erzählerin sogleich überwacht und reflektiert. Die existentielle Verlusterfahrung, welche die weibliche Figur im Zentrum vorantreibt, kommt dabei immer wieder zum Vorschein. In ihrem Kopf ereigne sich ein Urknall, heißt es einmal, bei dem alles bisher Gewußte und Vertraute in Scherben springe, und diese Scherben könnten auch später nie wieder zueinanderfinden.

Das sind spannende Voraussetzungen zum Schreiben, die an manchen Stellen zu erfinderischen Ergebnissen führen. Und doch dominiert der Eindruck des angestrengt Prätentiösen. Der belesenen Sprachwissenschaftlerin kommen nämlich bei aller experimentellen Freude ein paar allzu artige sprachphilosophische Schulbeispiele sofort in die Quere: "Natürlich gibt es sie, wer (außer mir gelegentlich) wollte es ernsthaft leugnen? Mit dem Gedanken einer nichtexistenten Wirklichkeit spielen viele, doch bei der ersten Bananenschale, auf der sie dahinschlittern (. . .), fallen alle Zweifel in sich zusammen und werden selber fast schon greifbare Wirklichkeit."

Das Rezept zum poetologischen Verfahren liefert die Ich-Erzählerin dem Leser gleich mit. Sie rutsche manchmal angenehm in etwas hinein, was ein Bild oder eine Idee genannt werden könne, und warte ab, wohin es führe. Wer jetzt allerdings meint, Anne Webers Grundkonstruktion komme ohne jedes Versatzstück aus der Realität aus, täuscht sich. "Besuch bei Zerberus" ist fixiert auf einen realen Ort: das trostlose Grenzstädtchen Cerbère an der französisch-spanischen Grenze, unweit von Port Bou, wo Walter Benjamin 1940 mit einem amerikanischen Visum in der Tasche die Grenze nach Spanien überschreiten wollte und sich angesichts der Schikanen, aus Verzweiflung und Übermüdung, umbrachte. Hier liegt das pulsierende Zentrum des Texts, von dieser Schnittstelle zwischen Sprache und Realität aus verlaufen sämtliche Bewegungen. Beides, der Ort und die Figur, wird der Autorin zum Spielzeug und zum Ausgangspunkt von Assoziationsketten, die wiederum einen Reflex auf das Leben ihrer Ich-Figur werfen sollen: Cerbère, Zerberus, der Höllenhund, der den Eingang zum Totenreich bewacht - Symbol von Tod und Untergang.

Früher oder später müsse jeder auf die andere Seite wechseln, sinniert die Ich-Figur. Sie sähen in dieser existentiellen Wende einen tragischen Schlußpunkt und würden den Vorgang "der Wirklichkeit ins Auge sehen" nennen. Walter Benjamin andererseits ist die sprachphilosophische Referenzfigur. Seine Konturen sind dem Text deutlich eingeschrieben. Sie verschwimmen wiederum mit jenen des zum Tode erkrankten Vaters der Erzählerin. Zu beiden blickt sie empor: Walter Benjamin verkörpert das Modell, nach dem sie sich ausrichtet. Er ist aber auch Führer auf dem Weg in den Hades. Eine Leitfigur, die den Übergang ins Schattenreich bereits vollzogen hat. Aber auch der eigene Vater wird zum fernen Ideal: Inbegriff der schon immer abwesenden, unerreichbaren Instanz, der sie nie nahekommen konnte. Beide überblenden sich in Anne Webers Text zu einer "Vaterimago", die das Tochterleben inspirierte und verschattete, erweckte und erlöschte.

Schreiben ist in hier eine radikale Form der Suche nach den Konturen des eigenen Ichs in einer zersplitterten Welt. Der Akt des Erfindens fällt zusammen mit der Behauptung des Ichs: Im literarischen Prozeß enthüllt sich eine leise Rebellion gegen die Dominanz der vorgegebenen Welt. Die Autorin zeigt eine Ich-Erzählerin auf der Spurensuche nach der eigenen "Wirklichkeit" in einem von Vorbildern verstellten Leben. Bei allem Respekt, den dieses literarische Denkgebäude abfordert, durchsäuert am Ende doch der Eindruck einer gewissen Theorielastigkeit und Künstlichkeit das Lesevergnügen. Hier wird Sprachphilosophie in das Mäntelchen der Literatur gehüllt.

Anne Weber: "Besuch bei Zerberus". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 111 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Wer nach einem zusammenhängenden Plot sucht, einer Geschichte, um deren Kontinuität die Verfasserin sich scherte, der muss, da gibt es für den Rezensenten Martin Krumbholz kein Vertun, sogleich alle Hoffnung fahren lassen. Die Sprachartistin Anne Weber macht hier Worte, aber aus den Worten keine Welt. Jedenfalls nicht die als Alltagswirklichkeit vertraute, sondern eine eigene, aus Abschweifungen und Assoziationen, Sprachspielen und Verneinungen geborene. "Wortverliebt, wortsüchtig" findet Krumbholz das, und er macht auch wenig Hehl daraus, dass er ein bisschen mehr Bezug auf Wirklichkeit so schlecht nicht gefunden hätte. Die große Kunst der Autorin als ganz eigene will er jedoch keinesfalls leugnen.

© Perlentaucher Medien GmbH