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Das Schweigen, aber auch das Sprechen über die nationalsozialistischen Massenverbrechen prägen die politische Kultur in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Im Mittelpunkt des ersten Bandes der Reihe "Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte" steht die Frage, wie die Ermordung der europäischen Juden seit 1945 thematisiert wurde und wird. Dabei zeigt sich, daß Verdrängung und Erinnerung in einem komplizierten Verhältnis zueinander stehen, abhängig von sich wandelnden politischen Verhältnissen und gesellschaftlichen Bedürfnissen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit schlug sich die…mehr

Produktbeschreibung
Das Schweigen, aber auch das Sprechen über die nationalsozialistischen Massenverbrechen prägen die politische Kultur in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Im Mittelpunkt des ersten Bandes der Reihe "Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte" steht die Frage, wie die Ermordung der europäischen Juden seit 1945 thematisiert wurde und wird. Dabei zeigt sich, daß Verdrängung und Erinnerung in einem komplizierten Verhältnis zueinander stehen, abhängig von sich wandelnden politischen Verhältnissen und gesellschaftlichen Bedürfnissen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit schlug sich die moralische Konfrontation mit dem Holocaust überwiegend in kollektiver Schuldabwehr nieder. Ende der fünfziger und in den sechziger Jahren gerieten juristische Ahndung und wachsendes Medieninteresse in einen gewissen Gegensatz zu dem nach wie vor häufig anzutreffenden individuellen Schweigen. Ende der siebziger Jahre schließlich setzte, befördert durch den Generationenwechsel, eine Entwicklun g ein, die zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Holocaust und zum Entstehen einer spezifischen Gedächtniskultur führte.
In sechs Beiträgen zeichnen junge Historikerinnen und Historiker diese Entwicklung im historischen Längsschnitt nach und geben im Kontext der Mentalitätsgeschichte der Nachkriegszeit Antworten auf die Frage, die auch das Thema der Podiumsdiskussion bildet: "Wieviel Erinnerung" war zu welcher Zeit möglich?
Autorenporträt
Norbert Frei, geboren 1955, ist Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Leiter des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts und Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2002

Die Karrieren gingen weiter
Eliten im Übergang vom "Dritten Reich" zur Bundesrepublik

Norbert Frei/Sybille Steinbacher (Herausgeber): Beschweigen und Bekennen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust. Wallstein Verlag, Göttingen 2001. 168 Seiten, 15,- Euro.

Norbert Frei: Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2001. 364 Seiten, 25,50 Euro.

Der Sammelband "Beschweigen und Bekennen" eröffnet eine von der Stadt Dachau zusammen mit dem "Jugendgästehaus Dachau" herausgegebene Buchreihe, die wissenschaftliche Projekte zum Konzentrationslager Dachau ergänzen und ein breiteres Publikum erreichen soll. Der Band setzt mit Sybille Steinbachers Rezeptionsgeschichte der Verbrechen in der frühen Nachkriegszeit ein. Sie untersucht die Gründe für die vielfältigen Formen der Wahrnehmungsverweigerung, die Mechanismen, Funktionen und Wirkungen eines sprachlich sakralisierten Umgangs mit den Verbrechen und für die alsbald "habitualisierte Schuldzurückweisung", in deren Mittelpunkt der Topos von der diffamierten Stadt gestanden hat. Sie bleibt damit die einzige aus dem Kreis der Autoren, die ein direkt auf das KZ Dachau bezogenes Thema behandelt. Vier weitere Beiträge geben knappe Überblicke zur Strafverfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen in beiden deutschen Staaten, zur Rezeption der Filme "Holocaust" und "Schindlers Liste" sowie zum sogenannten Historikerstreit.

Raphael Gross, Direktor des "Leo Baeck Instituts" in London, erörtert Grundlagen, Frage- und Problemstellungen der aktuellen Diskussion über die "Zeugenschaft", die primäre Erinnerung von Überlebenden der nationalsozialistischen Judenvernichtung, die Vorteile und Schwächen der "Oral History" und den Wert von Masseninterviews. Er geht von dem Provokativen zweier Fälle aus, der "Täterbiographie" des Germanisten Hans Schwerte (Hans Schneider) und dem "Erinnerungsbuch" des Schweizer Autors Wilkomirski (Bruno Grosjean), in denen trotz aller Verschiedenheiten im Detail grundsätzlich mehr Gemeinsames zu entdecken sei, als zumeist vermutet werde.

In beiden Vorgängen zeige sich das "Konstruktive" der verbreiteten Vorstellungen über das Normale und das Außerordentliche in der Geschichte des Nationalsozialismus und der Nachkriegsgesellschaft, über die Grundlagen und Rituale einer "Bewältigungspolitik", die Funktionen und Ziele einer "Vergangenheitspolitik". Da in diesem Kontext die Trennungslinien zwischen der "Realität" und einer "Fiktion" nicht mehr vollständig und klar aufzuzeigen seien, könne es zu Vermischungen der Bereiche kommen, so daß Erinnerungen und Forschungen doppelbödig würden: Schwerte forschte über die "Aufarbeitung" der nationalsozialistischen Diktatur, und Wilkomirski "erinnerte" sich mit erfundenen Geschichten an Grausamkeiten des Lagers, die in allen Einzelheiten in der von ihm zur Fälschung herangezogenen Literatur zweifelsfrei überliefert sind.

Schwieriger Neuanfang

In dem zweiten hier vorzustellenden Buch über "Karrieren im Zwielicht", das sich auf eine von dem Zeithistoriker Norbert Frei und dem Fernsehredakteur Thomas Fischer konzipierte Fernsehserie gründet, überzeugen die gut geschriebenen und sorgfältig recherchierten Beiträge über Mediziner, Unternehmer, Juristen und Journalisten. Marc von Miquel widmet sich den "Richtern in eigener Sache" und zeichnet die einzelnen Stufen der Auseinandersetzung über die Weiterbeschäftigung von Richtern und Staatsanwälten in der Bundesrepublik (vorwiegend im Bereich der zivilen Strafjustiz) nach. Das Ausmaß des juristischen Wirkens in der nationalsozialistischen Diktatur spiegelt sich wenigstens zum Teil in den folgenden Zahlen: Von den bis Mai 1945 ausgesprochenen rund 17 000 Todesurteilen haben Sondergerichte und der Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler 11 000 gefällt; von militärischen Strafgerichten sollen über 50 000 Todesurteile wegen "Desertion" oder "Wehrkraftzersetzung" ausgesprochen worden sein.

Der Neuanfang der westdeutschen Justiz war schwierig, weil es kaum unbelastete Juristen gab. Die erste Phase hatte mit der Aufarbeitung des 1947 mit dem Nürnberger Juristenprozeß gegen 577 Angehörige des Volksgerichtshofs begonnen: "Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen", hieß es im Urteil. In der zweiten Phase rückten bereits die Selbstamnestierungen der deutschen Justiz in den Vordergrund. Mit der gut dokumentierten Kampagne der DDR gegen die ehemals treuen Diener des nationalsozialistischen Staates setzte 1957 ein zähes Ringen um die Schuld des Berufsstandes und nicht selten langwierige Prozesse ein, in denen individuelles Verschulden nachgewiesen werden mußte. Sie wurden in der Öffentlichkeit durch die studentische Ausstellungsinitiative "Ungesühnte Nazijustiz", den Spielfilm "Rosen für den Staatsanwalt" sowie das Engagement des Generalbundesanwalts Max Güde (1959) bekannt.

Verlust an Glaubwürdigkeit

Obwohl sich in den sechziger Jahren ein massiver Verlust an Glaubwürdigkeit abzeichnete, hielt sich die Bundesregierung weitgehend zurück und überließ es den Landesjustizverwaltungen, gegen die krassesten Fälle vorzugehen. Der Autor betont die Bedeutung des 1963 begonnenen Auschwitz-Prozesses und der zwei Jahre später erfolgten Debatte im Bundestag über die Frage der Verjährung für Mordverbrechen - der erzielte Kompromiß gab den Untersuchungsbehörden noch einmal vier Jahre Zeit. Er führt des weiteren den skandalösen Freispruch von Hans-Joachim Rehse (1968) - neben Freisler der am schwersten belastete Richter am Volksgerichtshof - und den Rücktritt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (1978) an.

Miquel legt den Schwerpunkt auf eine quellengesättigte relativ dichte Darstellung, so daß das innen- und außenpolitische Klima, die publizistische Begleitung der Entwicklung und der Einfluß einzelner Ereignisse - wie die Ausstrahlung der Fernsehserie "Holocaust" und die Enthüllungen von Rolf Hochhuth - nur gestreift werden können. Die von gesetzespositivistischen Vorstellungen geprägte Zurückhaltung vieler Politiker und Parlamentarier, die Verschleppungs- und Verhinderungstaktiken der Juristen und die "Uneinsichtigkeit" der Täter hätten noch stärker herausgearbeitet werden können.

Eine letztlich beschönigende Perspektive nimmt Thomas Fischer in seinem "Vorwort" ein. Er fühlt sich schlimmstenfalls irritiert über die schnelle und nicht nur moralisch bedenkliche Art und Weise, mit der nach 1945 den Mitverantwortlichen für zahlreiche Unmenschlichkeiten eine "zweite Chance" geboten wurde. Außerdem meint er, Skandale um Personen wie Filbinger hätten "die Demokratie letztlich eher gestärkt als geschwächt" - ohne dabei zu erwägen, ob die damals enthüllten sachfremden Einflüsse, persönlich, taktisch und parteilich motivierten Interessenkämpfe nicht zu Reaktionen der Abneigung und des Widerwillens gegen Opportunismus, Klüngelei und Proporzdenken geführt und damit eher negative Folgen gezeitigt haben könnten.

Insgesamt haben die Autoren eine gute Ausgangsposition für dringend notwendige weitere Forschungen geschaffen. Diese sollten sozialgeschichtlich noch breiter angelegt werden und sich auch geographisch nicht so stark begrenzen. Neben biographischen Skizzen zu den noch nicht behandelten Eliten (Verwaltung, Bildung, Technik, Künste oder auch Nachrichtendienste) müßten auch Karrieren von nationalsozialistischen Funktionären in der DDR, in Österreich, Frankreich, der Sowjetunion, der Schweiz oder in den Vereinigten Staaten thematisiert werden.

BERND SÖSEMANN

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Drei neue Publikationen zur Deutung des Holocaust hat sich Hans Mommsen für uns angesehen: Yehuda Bauers "Die dunkle Seite der Geschichte", erschienen im Jüdischen Verlag, "Beschweigen und Bekennen", im Wallstein Verlag, herausgegeben von Norbert Frei und Sybille Steinbacher, sowie "Auf Wiedersehen Gestern" von Michael Jeismann (DVA). Der Sammelband "Beschweigen und Bekennen" über die deutsche Nachkriegsgesellschaft nach dem Holocaust lasse in erster Linie jüngere Historiker zu Wort kommen, erklärt der Rezensent und gibt eine Reihe von Themenbeispielen. Ob die publizistische Behandlung des Holocaust in SBZ und DDR behandelt wird oder die Verfolgung von NS-Verbrechen in den Sechzigern, für Mommsen machen die Aufsätze vor allem deutlich, "wie stark die Bereitschaft zu unbefangener Auseinandersetzung mit dem Holocaust im Zuge des Generationswechsels gestiegen ist und wie sehr sich in diesem Zusammenhang auch der geschichtswissenschaftliche Zugriff verändert hat."

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