Produktdetails
  • Verlag: Wiesenburg
  • Seitenzahl: 380
  • Erscheinungstermin: März 2007
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 518g
  • ISBN-13: 9783939518327
  • ISBN-10: 3939518328
  • Artikelnr.: 20942516
Autorenporträt
Godela Unseld lebt als Soziologin in Hamburg. Im Suhrkamp Verlag erschien 1992 ihr Buch 'Maschinenintelligenz oder Menschenphantasie?'
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2007

Die Lücken der Erlebniswelt

Eine Frau, ein Zelt, der weite Norden. Klingt nach einer guten Sache. Aber muss man darüber 380 Seiten schreiben? Während viele Reisebuchautoren in den Fehler verfallen, sich in Details darüber zu verlieren, in welcher Bar sie welches Getränk, in welchem Ort welches Hotel und an welcher Kreuzung sie welche Abzweigung genommen haben, verfällt Godela Unseld ins gegenteilige Extrem. Außer einigen eingestreuten Ortsnamen wie Abisko, Staloluokta oder Gorsavaggi verrät sie dem Leser wenig Handfestes. Dafür füllt sie ihre Seiten mit raunenden Naturbeschreibungen, sie fängt dafür nicht bei Adam und Eva an, sondern beim "gasförmigen Leuchten" der Erde. In diesem Duktus geht es voran, im Norden habe sich nicht "die gebrochene Scholle des Ackerbaus" ausbreiten können, der "zähmende Zugriff" sei gescheitert. In verschroben-altertümlichem Deutsch beschreibt sie ihr Bergabgehen: "Wie doch der Fuß die gleichen Tritte aufsucht und die Augen das gleiche Besondere auffassen, wenn man sie nur aufmerkend lässt!" Eine frühere Veröffentlichung Unselds handelt von alten Reisebeschreibungen, ihnen "wohne ein Zauber inne", schrieb sie. Ganz offensichtlich hat sie sich in ihren Rucksack zu viel davon eingepackt. In einer Mischung aus Ganghoferschem Jargon von "unten in der Schlucht" und "dort droben", Hesse abgeschauten Schlichtheits-Schwärmereien sowie stichwortartiger Linnéscher Naturbeobachtung wie "Moorbülten mit Krähenbeeren und Zwergbirken überwachsen" wuchert der Text dahin. Abwechslung bringt ein dicker Schlag Tourismuskritik. Unseld mokiert sich über die Massen, die in Bussen zum Nordkap fahren, über die Besucher von Ausstellungsräumen, in denen Kultur und Natur des Nordens erklärt werden. Der Ton dieser Passagen soll ironisch klingen und ist doch nur Häme. Sie heuchelt Verständnis, schließlich sei die Natur ja eine "lückenhaft organisierte Erlebniswelt", spottet über Abende in Samenzelten, organisierte Hundeschlittentouren, Ausritte und das Wandern. Das Wandern der andern natürlich. Ihr Fazit: "Selbst wenn die Leute heute mitten im Land stehen, sehen sie das Land nicht." Da gratulieren wir doch Frau Godela Unseld, dass der Fall bei ihr so ganz anders liegt als bei den "Leuten". Da diese ihrem Geraune aber ohnehin nicht lauschen wollen, kann sie sich eine Frage auch gleich selbst beantworten: "Es verstummt dort oben so viel, dass auch die Worte weniger werden, wozu noch das Schreiben, für was und für wen?" Diese Frage stellt die Autorin schon auf Seite 34.

bär

"Bergtundra. Streifzüge in die Einsamkeit" von Godela Unseld. Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 2007. 380 Seiten. Broschiert, 16,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr