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Harvard, Anfang der fünfziger Jahre: Der Ich-Erzähler Sam trifft zum ersten Mal auf seine Mitbewohner Henry und Archie. Welten, so scheint es, liegen zwischen den drei jungen Männern. Während Sam und Archie in unterschiedlichen Milieus der amerikanischen Oberschicht aufgewachsen sind, verrät Henrys polnischer Akzent die besondere Herkunft: Er ist Jude, und er ist es vor allem in den Augen der anderen er selbst fühlt sich "kaum jüdischer als ein geräucherter Schweineschinken". Genau wie Archie und Sam orientiert er sich an den Idealen einer neuen, aufstrebenden Generation der New Yorker…mehr

Produktbeschreibung
Harvard, Anfang der fünfziger Jahre: Der Ich-Erzähler Sam trifft zum ersten Mal auf seine Mitbewohner Henry und Archie. Welten, so scheint es, liegen zwischen den drei jungen Männern. Während Sam und Archie in unterschiedlichen Milieus der amerikanischen Oberschicht aufgewachsen sind, verrät Henrys polnischer Akzent die besondere Herkunft: Er ist Jude, und er ist es vor allem in den Augen der anderen er selbst fühlt sich "kaum jüdischer als ein geräucherter Schweineschinken". Genau wie Archie und Sam orientiert er sich an den Idealen einer neuen, aufstrebenden Generation der New Yorker Upperclass, die die Werte ihrer traditionsbewussten Elternhäuser in den Wind schlägt; und mehr noch als sie träumt er den "American Dream". Der Einsatz, den Henry bringen muss, ist jedoch hoch. Seine Identität neu zu definieren bedeutet für ihn: die Familie auf immer zu verraten. So bleibt es nicht aus, dass diese Freundschaft später bei allen dreien Narben hinterläßt.Neben Lügen in Zeiten des Krieges der wichtigste und persönlichste Roman von Louis Begley. Er beschreibt die Harvard-Jahre der drei gleich-ungleichen Freunde und betrachtet skeptisch das Amerika der fünfziger Jahre: Was bedeutete es, als Jude in Harvard zu studieren? Wie äußerte sich die Ambivalenz jenes uramerikanischen Mythos einer Nation, die sich selbst erfindet?
Autorenporträt
Louis Begley wurde am 6. Oktober 1933 unter dem Namen Ludwik Begleiter als Sohn polnischer Juden in einer kleinen Stadt im Osten Polens (heute Ukraine) geboren. Er selbst und seine Mutter entgingen, als katholische Polen getarnt, dem Holocaust. Nach dem Ende des Krieges kam die Familie wieder zusammen. Vier Monate blieben sie in Paris, wo Vater und Sohn Englisch lernten. Im März 1947 siedelte die Familie Begleiter in die USA über und ließ sich in Flatbush/Brooklyn nieder, wo sie den Namen Begley annahm.1950 erhielt Louis Begley ein Harvard-College-Stipendium und wurde damit zum Harvard College zugelassen; 1954 legte er sein Examen in Englischer Literatur ab. Von 1956 bis 1959 studierte er an der Harvard Law School und arbeitete im Anschluss bis zum Jahr 2004 als Anwalt in der Kanzlei Debevoise & Plimpton. Ende der sechziger Jahre arbeitete er bei der französischen Niederlassung von Debevoise in Paris. 1991 legte Louis Begley seinen ersten Roman vor. Seine Werke wurden in 15 Sprach

en übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Louis Begley lebt in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2007

Wenn du zur Uni gehst, nimm den Martini-Shaker mit
Eignet sich der Hörsaal als Schauplatz? Morgen erscheint Louis Begleys neuer Roman "Ehrensachen"

So ein Roman könnte hierzulande nicht geschrieben werden. Es fehlt nicht nur der Stoff dazu. Louis Begley schreibt über Harvard, über drei junge Männer und ein Mädchen, die sich am College finden, Freundschaft schließen und es zu etwas bringen wollen. Etwas, von dem sie noch nicht wissen, was es ist. Weswegen sie auch später nie genau wissen, ob sie es dazu gebracht haben. Verhaltensunsicherheit als Lebensform, das umschreibt den Zustand von Jugendlichen. Hier aber, und daraus gewinnt Begley auf hinreißende Weise die Spannung seines Bildungsromans, hier ist es Verhaltensunsicherheit in einer Welt, die als Korridor zur amerikanischen Elite alle Prämien auf das Gegenteil, auf Verhaltenssicherheit setzt. Denn schließlich bestehen Eliten, zum Guten wie zum Schlechten, aus verhaltenssicheren Leuten.

Wir haben in diesem Sinne keine Eliten und kennen also auch nicht diesen leisen Widerspruch im Wort "Eliteuniversität", aus dem Begley, seinerseits ganz Herr seiner Mittel, stilsicher also und mit ungeheurem Raffinement, das Lebensdrama seiner Protagonisten entwickelt.

Entschuldigt fehlen

So ein Buch könnte hierzulande aber nicht bloß darum nicht geschrieben werden, weil wir keine Eliteuniversitäten haben. Es ist noch viel schlimmer. Wir haben auch keine Bildungsromane. Genauer: Wir haben überhaupt nur Bildungsromane, aber gerade in den bedeutendsten davon ist die Bildung für uns nicht nachvollziehbar. Denn das Leben erteilt in ihnen, anders als das wirkliche, nur Einzelunterricht, es werden in ihnen phantasierte Bildungswege durchlaufen, die fast nie durch Universitäten verlaufen, sondern durch untergegangene oder rein imaginierte Räume. Bildung heißt hier Zusichkommen, aber es heißt nicht Sozialisation durch Erziehung, also Schule und Universität.

"Habe nun, ach . . .", die Helden der deutschen Literatur haben immer schon studiert, aber beim Studieren selber trifft man sie so gut wie nie an. Eingeschrieben mögen sie sein, aber anwesend sind sie nicht. Studenten sind sie, aber nicht Studierende. Oder sie "studieren das Leben", aber das kann jeder sagen, und da sie oft auch keine rechten Berufe haben, von Besitz und Kindern ganz zu schweigen, könnte man genauso gut behaupten, sie genössen als junge Rentiers einfach fremdfinanzierte Freizeit. "Fehlt bildungshalber entschuldigt", so steht es in den Akten der deutschen Universität über das literarische Individuum.

Belege? Faust - ein Doktor, der die Wissenschaft hinter sich hat. Die Lehrlinge zu Saïs - sie hören nur an der Fernuniversität Natur. Wilhelm Meister - Wandern als Bildungsgang mit Theaterspielen als Zwischenprüfung. Eichendorffs Taugenichts - Leben als ewige Semesterferien. Gottfried Kellers Grüner Heinrich - das Malen lernt er in Privatstunden. Adalbert Stifters Heinrich Drendorf - die Nachsommerschule kennt nur Selbstunterweisung.

Der deutschen Literatur "Schöpfer, Held und Leser ist der Student", schreibt Heinz Schlaffer in seiner kurzen Geschichte derselben völlig zutreffend. Doch er ist ein Student ohne Campus. Mag also hierzulande die Universität auch lange übernommen haben, was andernorts dem Hof oder der Großstadt zufiel, die Integration der Eliten, so sind die Erträge davon für die schriftstellerische Beschreibung der Universitäten karg geblieben.

Warum das Lob von Louis Begleys "Ehrensachen" mit einem solchen Befund beginnen? Zum einen, weil für die angloamerikanische Literatur der Gegenwart genau das Umgekehrte gilt. Sie hat ein ausgesprochenes Faible für Universitäten. Und zwar auch jenseits der satirischen oder kriminalistischen "Campus Novel", nämlich von Evelyn Waughs "Wiedersehen in Brideshead" und Vladimir Nabokovs "Pnin" bis zu J. M. Coetzees "Schande" und "Elizabeth Costello", Philip Roth' "Menschlichem Makel" oder Tom Wolfes "Ich bin Charlotte Simmons". F. Scott Fitzgerald hat den College-Roman "Stover at Yale" des hierzulande völlig unbekannten Owen Johnson 1920 als "Lehrbuch unserer Generation" bezeichnet. Und noch die jüngst gefeierte Zadie Smith erzeugt die pittoresken Kontraste ihres Familienromans "Über die Schönheit" auf dem akademischen Feld, mit Rembrandtforschern, Rhetorikkursen und Gleichstellungsbeauftragten.

Fremde Innenseite

Die Zweiheit von Forschung und Leben, Ambition und Verstand, reiner Wissenschaft und unreinen Abendvergnügungen, Professor und Studentin ist in der angelsächsischen Literatur auf diese Weise fast schon so etwas wie eine Standardpolarität zur Erzeugung von Stoffen geworden.

Doch Begleys Roman ist von ganz anderer Anlage und Machart. Sein Schauplatz ist über weite Strecken das College der Harvard University in den fünfziger Jahren. Sam Standish, der Erzähler, trägt einen alten amerikanischen Namen; der Militärkapitän der "Mayflower" hieß so. Aber er ist nur der Adoptivsohn seiner Eltern, die ökonomisch, moralisch und was den Scotch-Konsum angeht unterhalb des Rufs ihrer Familie leben. Seine tatsächliche Abkunft bleibt, auch ihm, unbekannt. Henry White, sein Zimmergenosse in Harvard und der eigentliche Protagonist des Romans, hieß einst Henryk Weiss. Er hat als polnischer Jude vor seiner Emigration mit Vater und Mutter - die ihn jetzt aus der Ferne Brooklyns umklammern, ständig maßregeln, ständig anrufen - den Nationalsozialismus, versteckt in Krakau, überlebt. Aber nun will er weder Jude sein noch sein Jüdischsein verleugnen. Und Archibald P. Palmer III., der dritte Zimmergenosse, kommt aus einer Familie von Militärs, deren leidliches Vermögen freilich aus Antiquitätengeschäften stammt. Zu seiner akademischen Grundausstattung gehören silberne Schnapsbecher, ein Martini-Shaker und die Abneigung gegen tiefe Gespräche. Er ist intelligenter, als er tut. Aber ihm fehlt der Wille, daraus etwas zu machen.

Aber, aber, aber. Es sind Bildungswege voller Reserven, die Begley schildert. Der Zufall hat die drei sinnigerweise im Wohnheim zusammengeführt, denn keiner von ihnen gehört richtig dazu, keiner war zuvor auf einem noblen Internat, alle tun sich schwer damit, in die maßgeblichen Clubs und zu den exklusiven Partys der Universität zu kommen. Es reicht nicht, intellektuell zu glänzen.

Begleys Kunstgriff, der das demonstriert: Die Seminarwelt ragt nur an ganz wenigen Ecken ein bisschen in das erzählte Studentenleben hinein. Es dauert ewig, bis man erfährt, was sie überhaupt studieren. Dafür liest man Reflexionen, was Jüdischsein bedeuten könnte, absätzelange Erörterungen der Frage, wie man sich um gute Unterkünfte bemüht, die Mädchen welchen Colleges am wenigsten abweisend sind oder mit welchem Sakko man sich nicht blamiert. Der erste Professorenname von Belang fällt auf Seite 227! Studentenheim, Kino, Chinarestaurant, Konzertabonnement und Rugbyplatz sind da längst erwähnt. Begley kehrt gewissermaßen die deutsche Romanidee um. Er zeigt nicht Bildung jenseits der Universität, sondern Universität diesseits von Forschung und Lehre.

Und eben das unterscheidet seinen Blick auf die Universität von den meisten anderen. Denn für ihn verändert die Universität die Studenten nicht in erster Linie, indem sie sie dem Wissensgefälle gegenüber den Professoren aussetzt, sondern indem sie die Studenten einander und der Erwartung aussetzt, dass hier ihre Karriere beginnt. Es sind die Partys und die Einladungen zu den Eltern, Prüfungen auf Heiratbarkeit, nicht die Seminare, in denen sich die Elite konstituiert und an denen die Individuen testen, wer sie sind. Die Universität ist ein Ort, scheint das zu sagen, an dem man auf sich selbst und auf mögliche Rollen aufmerksam wird.

Das zweifelbehaftete Privileg derjenigen, die nicht aus großen, den "richtigen" Familien und Schulen herkommen, liegt dabei in ihrem Zwang, sich von den Ihren abzustoßen. Ständig bewerben sie sich um Aufnahme in andere Kreise und um Beischlafgelegenheiten, in der Hoffnung, es entstünden Anerkennung und Ehe daraus. Je aufmerksamer die Protagonisten sind, desto unwohler fühlen sie sich in ihrer Haut und ihrer Herkunft. Die Szenen, die sie ihren Eltern und diese ihnen machen, gehören zu den Meisterstücken Begleys.

Endogame Insekten

Ehrgeiz, Verlegenheit, Anerkennungsbedürfnis: Exemplarisch wird das alles am "Judismus" von Henry White, wie er sein Seelensyndrom nennt, durchgespielt. Kein Schritt auf seinem Lebensweg erfolgt ohne Zweifel daran, ob er bei anderer Herkunft genauso erfolgt wäre. Ein Zweifel, der durch tausend kleine Stiche genährt wird, die er an der Universität und später im Beruf erfährt - auch die anderen denken also ständig über seinen "Judismus" nach. "Solange es Leute gibt, die es kümmert, ob ich ein Jude bin, der vorgibt, keiner zu sein, so lange muss ich Jude bleiben, auch wenn ich mir innerlich nicht jüdischer vorkomme als ein geräucherter Schweineschinken." Also ist es, und hier fällt das Titelwort, eine "Ehrensache" für ihn zu sagen, er sei einer. Zugleich aber will er sich "neu schaffen nach meinem Bild von mir". Zu diesem Bild gehört Whites fast lebenslange Anhänglichkeit an eine Frau, zu der er nicht findet. Standish hingegen, dessen Homosexualität Begley nahelegt, ohne dass ein einziges klares Wort in dieser Richtung fiele - Begegnungen mit Mädchen und Transvestiten sind eingeschlossen -, wahrt selbst dazu, wie zu allem außer zu seiner Freundschaft mit Henry, Distanz. Er findet eine Art diplomatisches Verhältnis zu seinem Außenseitertum auf der Innenseite der guten Gesellschaft. Louis Begley erzählt diese Geschichte, die später aus Harvard heraus auf die Karrierewege von White und Standish - Palmer III. stirbt kurz nach dem Abgang vom College auf ebenso dramatische wie zu erahnende Weise - als spektakulär agierender Wirtschaftsanwalt und Schriftsteller führt, in einem ganz unvergleichlichen Ton. Zurückgenommen, lakonisch, dann wieder nachdenklich, oft mehr durch Weglassen mitteilsam, um kleine, bissige Wortwechsel voller Beobachtungen im Stil französischer Moralisten bemüht: "Die Mädchen waren reich, wie die Männer, aber anders als diese bildeten sie sich etwas darauf ein." So wie man eben eine Welt beschreiben muss, in der viel an Tanzabenden, Identitätsfragen, nonchalant gebundenen Fliegen und außerehelichem Sex zu hängen scheint. Für die, die nicht dazugehören, wird alles zum Test, auch wenn sie nie dazugehören werden, weil die anderen "endogame Insekten" sind.

Es ist ein doppelter Test: Was lässt die Welt zu, und wer kann ich sein? Die Eliteuniversität hat Henry White mit der Ambition versorgt, zugleich glücklich und anerkannt zu werden. In beidem will er sich etwas beweisen, und das führt dazu, dass er das eine mit dem anderen verwechselt und fast bis zuletzt für Anerkennung ohne Glück und Glück ohne Anerkennung keinen Sinn hat. Die Verhaltensunsicherheit, heißt das, ist kein jugendliches Zwischenstadium auf dem Lebensweg. Man kann sie an diesen Studenten nur am besten studieren.

JÜRGEN KAUBE

Louis Begley: "Ehrensachen". Aus dem Englischen von Christa Krüger, Frankfurt am Main, Suhrkamp-Verlag, 2007

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