35,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Funktionäre und Organisationen der NSDAP sammelten in der NS-Zeit massenweise Kunstgegenstände, denen als Symbol für Macht und Größe immense Bedeutung im Nationalsozialismus zukam. Die Methoden und Motive, mit denen sie ihre Sammlungen aufbauten, sind in den vergangenen Jahren vermehrt untersucht worden. Wenig ist hingegen darüber bekannt, was mit diesen Kunstwerken nach 1945 geschehen ist. Die Studie wird dieser Frage mit Blick auf den Freistaat Bayern nachgehen, wo die Alliierten den umfassenden Kunstbesitz von Adolf Hitler, Hermann Göring, Heinrich Hoffmann und anderen Parteifunktionären…mehr

Produktbeschreibung
Funktionäre und Organisationen der NSDAP sammelten in der NS-Zeit massenweise Kunstgegenstände, denen als Symbol für Macht und Größe immense Bedeutung im Nationalsozialismus zukam. Die Methoden und Motive, mit denen sie ihre Sammlungen aufbauten, sind in den vergangenen Jahren vermehrt untersucht worden. Wenig ist hingegen darüber bekannt, was mit diesen Kunstwerken nach 1945 geschehen ist. Die Studie wird dieser Frage mit Blick auf den Freistaat Bayern nachgehen, wo die Alliierten den umfassenden Kunstbesitz von Adolf Hitler, Hermann Göring, Heinrich Hoffmann und anderen Parteifunktionären sicherstellten. Rund 900 Kunstgegenstände aus diesen Sammlungen sind vor allen in den 1950er- und 1960er-Jahren über staatliche Stellen in den Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen eingegangen. Doch auf welcher Grundlage sind so viele Kunstwerke aus NS-Besitz an den Freistaat Bayern übereignet worden und wie sind die Verantwortlichen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und der bayerischen Behörden mit diesem Erbe umgegangen? Anhand zahlreicher Quellen erforscht die Studie die lange Nachgeschichte des nationalsozialistischen Sammelwahns, die auch eine Geschichte von großer Profitgier, taktischem Schweigen und einem nur verzögert und sehr langsam wachsenden Verantwortungsgefühl ist.
Autorenporträt
Dr. Johannes Gramlich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Provenienzforschung bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Jörg Häntzschel ist irritiert angesichts dieser Studie über NS-Raubkunst in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen von Johannes Gramlich. Die schockierende Geschichte des NS-Kunstraubs und seines Nachlebens nach 1945 kann ihm der Autor aufgrund seiner Befangenheit als an den Staatsgemäldesammlungen angestellter Historiker nur unzureichend dokumentieren. Dass Direktoren der Staatsgemäldesammlungen nach dem Krieg Kunst an Nazi-Größen und deren Sippschaft zurückgaben, erörtert der Autor laut Häntzschel nicht mit der nötigen Schärfe, sondern als Verteidiger seines Arbeitgebers. Raubkunst bleibt so im Buch ein historisches, kein weiterhin aktuelles Problem, bedauert der Rezensent. Gramlichs offensichtliche Scheu vor eigenen Urteilen findet er vielsagend. Am unangenehmsten findet Häntzschel allerdings den Umstand, dass die Opfer des Kunstraubs und des Agierens der Museen in Gramlichs Arbeit kaum vorkommen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2021

In freundlicher Verbundenheit
Restitution an die Räuber: Johannes Gramlich hat untersucht, wie Bayern nach dem Krieg mit
den Kunstsammlungen der Nazis umging, die viele Werke aus jüdischem Besitz enthielten
VON JÖRG HÄNTZSCHEL
Es begann mit den Kindern und Enkeln, die nach den weggemurmelten Verbrechen von Vätern und Großvätern fragten; ging weiter mit der Wehrmachtsausstellung; und setzt sich bis heute fort, wenn nach Konzernen und Behörden auch Kulturinstitutionen ihre Verwicklung mit dem NS-Regime erforschen lassen. In dieser Tradition steht auch die Studie „Begehrt, beschwiegen, belastend“, die der Historiker Johannes Gramlich über die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen geschrieben hat.
Mit einem großen Unterschied: Seine Untersuchung behandelt nicht die Zeit vor, sondern nach ’45, als den Staatsgemäldesammlungen die Kunstschätze von Nazi-Größen wie Hermann Göring, Baldur von Schirach und Heinrich Hoffmann in die Hände fielen. Rund 900 der von den Amerikanern beschlagnahmten Werke übernahmen die Museen, darunter waren viele, die jüdischen Sammlern gehört hatten. Ein großer Teil hängt dort bis heute. Viele ließen sie versteigern. Andere jedoch gaben sie den Familien der NS-Granden persönlich zurück. Dass auf diese Weise zahlreiche Werke erneut an die Verantwortlichen des NS-Kunstraubs gingen statt an die Beraubten, war kein Thema.
Viele kunstsinnige NS-Figuren hatten in und um München gelebt. Andere brachten ihre Schätze vor Kriegsende nach Süden. Dort bargen die US-Truppen dann, was noch übrig war. Täglich rollten die Army-Laster zum „Collecting Point“ im „Führerbau“ am Münchner Königsplatz. Bevor die Amerikaner das Lager an die Deutschen übergaben, verpflichteten sie diese, die Herkunft der Werke weiter zu prüfen und zurückzugeben, was gestohlen war. Doch die Museumsdirektoren und Ministerialbeamten trieb anderes um: Wie ließ sich möglichst viel für Bayerns Museen sichern und vor dem Zugriff des Bundes retten (nach jahrelangem Gezerre erhielt er einen Teil der Kunst).
Umso bestürzender ist es, wie generös sich dieselben Direktoren zeigten, als bei ihnen bald lauter Wiedergänger des Reichs vorsprachen. Ehemalige NS-Größen und deren Ehefrauen, Kinder und Anwälte – einer schickte seinen Masseur – forderten beschlagnahmte Kunst zurück. Teils wehrten die Museumsleiter das Gebettel ab. Manches gaben sie heraus, weil entlastende Spruchkammerentscheide und Gerichtsurteile sie dazu zwangen. Vieles aber schenkten sie den alten NS-Familien in freundlicher Verbundenheit. Und als das nicht mehr opportun war, boten sie ihnen die Sachen für kleines Geld an – zum Kauf.
Johannes Gramlich macht glaubhaft, dass hinter diesen Deals keine persönlichen Bekanntschaften standen. Doch zumindest weltanschaulich standen sich beide Seiten oft nahe. Schließlich saßen bald nach dem Krieg auf den wichtigsten Posten der Museen wieder Leute wie Ernst Buchner, die teils selbst am NS-Kunstraub mitgewirkt hatten.
Es war höchste Zeit, dass die Staatsgemäldesammlungen endlich Licht in dieses Kapitel bringen. Doch sie hätten unabhängige Wissenschaftler damit beauftragen sollen, nicht einen jungen, am eigenen Haus angestellten Historiker, der nun über 350 Seiten hinweg mit seiner Befangenheit ringt. Sie hatten auch das Pech, dass ihnen die SZ zuvorkam, die die „höchst irritierenden Vorgänge“ – so der Generaldirektor der Sammlungen, Bernhard Maaz, in seinem Vorwort – schon 2016 aufgedeckt hatte. Nur eben, wie er moniert, in „publizistisch verkürzter Weise“. Damit ist Gramlichs Aufgabe klar benannt: er soll Aufklärer und Verteidiger gleichzeitig sein.
Gramlichs problematische Rolle zeigt sich am deutlichsten darin, dass er den in seiner Studie berücksichtigten Zeitraum an einem vagen Zeitpunkt in der jüngeren Vergangenheit einfach enden lässt, weil er sonst auch über seinen eigenen Vorgesetzten hätte schreiben müssen. Zwar verschweigt er nicht, dass die Gemäldesammlungen bis heute auf Mengen von Raubkunst sitzen. Dennoch behandelt er Raubkunst als rein historisches Problem. Die Provenienzforschung seit 1998 habe „zu 20 restituierten Kunstwerken geführt“, vermerkt er lapidar. „Es ist absehbar, dass weitere Rückerstattungen folgen werden.“ Dass die Pinakotheken wie viele Museen zu wenig Personal für die Provenienzforschung haben; dass sie Raubkunst nicht kenntlich machen; dass sie bis vor kurzem nicht einmal den von jüdischen Opfern beauftragten Provenienzforschern ihre Archive geöffnet haben; dass sie sich in vielen Fällen vehement gegen Restitutionen sträuben: all das bleibt unerwähnt.
Auch bei seiner Schilderung der Ereignisse nach dem Krieg stellt sich Gramlich immer wieder vor seinen Arbeitgeber. Er weist zu Recht darauf hin, dass für viele der aus heutiger Sicht haarsträubenden Entscheidungen die bayerische Ministerialbürokratie verantwortlich war. Er erwähnt die Opferrolle, die sich viele Deutsche damals konstruierten. Sogar die Museen verstanden sich als Geschädigte. Hatte Hitler nicht ihre Moderne-Sammlungen ausgeplündert? „Die Deutschen Museen haben in ähnlicher Weise wie die rassisch und politisch Verfolgten (…) durch das nationalsozialistische Regime Schäden erlitten“, schrieb 1948 Hans Konrad Röthel, der spätere Direktor des Lenbachhauses. Die von den Amerikanern beschlagnahmten Werke zu behalten, wurde also als Akt der Wiedergutmachung verstanden.
Doch man wird den Eindruck nicht los, Johannes Gramlich versuche immer wieder, individuelle und institutionelle Schuld der Museumsmitarbeiter in größeren Kontexten aufzulösen. Die Rückgaben und Verkäufe an ehemalige NS-Figuren seien eben „sinnbildlich für die Nachkriegsgesellschaft“, schreibt er. Ein ähnliches Ziel scheint er mit der Überfülle von zitierten Aktennotizen, Briefwechseln, Sitzungsprotokollen zu verfolgen. Sie dienen ihm weniger dazu, eigene Urteile zu belegen, als diese zu vermeiden.
Wirklich irritierend ist aber, dass die Opfer des Kunstraubs in seinem Buch kaum präsent sind. Während er den abgehalfterten NS-Schranzen lange Psychogramme widmet, lässt er die allermeisten der jüdischen Vorbesitzer namen- und gesichtslos. Auch wenn sie nicht im Zentrum seiner Studie stehen, hätte nichts dagegengesprochen, ihnen mehr Raum zu geben, schon um klarzustellen, dass sich die Herkunft der Bilder heute nicht mehr ignorieren lässt.
Und dann ist da der Titel: „Belastend“, so suggeriert er, seien die gestohlenen, geplünderten, erpressten Werke, mit denen sich die Museen heute auseinandersetzen müssen – so als sollten wir diese noch bedauern dafür, dass sie sich an gestohlener Kunst bereichert haben. Mitgefühl haben einzig die Nachfahren der jüdischen Sammler verdient, die ihr Eigentum bis heute vermissen.
Johannes Gramlich: Begehrt, beschwiegen, belastend. Die Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Böhlau Verlag, Köln 2021. 348 Seiten, 35 Euro.
Die Amerikaner verpflichteten
die Museen auf Prüfung und
Rückgabe von Raubkunst
Rückgaben und Verkäufe an die
NS-Familien seien „sinnbildlich
für die Nachkriegsgesellschaft“
Lieferung von Kunstwerken aus den NS-Sammlungen am Münchner Central Collecting Point im früheren „Führerbau“, 1945/1946.
Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr