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Produktdetails
  • Verlag: agenda Verlag
  • Seitenzahl: 586
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 835g
  • ISBN-13: 9783896880598
  • Artikelnr.: 08305311
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2000

Unausgebackenes Brötchen

Begann es mit der "Ballade von der sexuellen Abhängigkeit"? Den Deutschen wurde ein Stück ihrer Tradition nur dadurch wieder zugänglich, daß man es ihnen aus dem Englischen rückübersetzte: "Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit" heißt sie in Brechts "Dreigroschenoper", im Englischen wurde daraus "The ballad of sexual dependency" - und erst danach kam sie zurück nach Deutschland. Kürzlich mußte das Walter Benjamin-Archiv rechtliche Schritte einleiten, um in der deutschen Ausgabe eines amerikanischen Benjamin-Romans sicherzustellen, daß Texte des Philosophen nach dem deutschen Original und nicht nach einer Rückübersetzung aus dem Englischen wiedergegeben wurden.

Im Herbst 1999 erschien die deutsche Ausgabe von Maurice Friedmans Buch "Begegnung auf dem schmalen Grat. Martin Buber - ein Leben". "Der ,schmale Grat' ist ein Ausdruck von Buber selbst", schreibt Friedman, "die zentrale Metapher seines Lebens." So ist es - wenn man, was Buber gesagt hat, vollständig vor Augen hat. "Damit", so Buber (deutsch), "wollte ich zum Ausdruck bringen, daß ich nicht auf der breiten Hochebene eines Systems weile, das eine Reihe sicherer Aussagen über das Absolute umfaßt, sondern auf einem engen Felskamm zwischen den Abgründen stehe, wo es keinerlei Sicherheit eines aussagbaren Wissens gibt, aber die Gewißheit der Begegnung mit dem verhüllt Bleibenden." Bei Friedman wird - angeblich als wörtliches Buber-Zitat - daraus eine umständliche Seminarprosa: "(. . . ) daß ich nicht auf den weiten Höhen eines Systems, welches eine Abfolge gesicherter Aussagen über das Absolute beinhaltet, ausruhen möchte, sondern mich auf einem felsigen schmalen Grat zwischen den Abklüften bewege, wo es keine Sicherheit ausdrückbaren Wissens gibt, sondern nur die Gewißheit eines Zusammenstoßes mit dem Ungesicherten."

Bubers Stil und Sprachrhythmus sind spürbar verändert. Aber auch der Sinn der Sätze ist gebrochen. Der "verhüllt Bleibende": Das ist Gott, von Buber gesehen in der Epoche der "Gottesfinsternis". Das "Ungesicherte" verschiebt diese Aussage in eine neutrale Sphäre. Aus der "Gewißheit der Begegnung" wird die katastrophenschwangere "Gewißheit des Zusammenstoßes".

Dieses Mißgeschick der Rückübersetzung steht in Friedmans Buch nicht allein. In der Schrift "Mein Weg zum Chassidismus" schrieb Buber 1918, ganz im Ton der Zeit: "Keiner bedarf der rettenden Verbindung mit einem Volkstum so sehr wie der vom geistigen Suchen ergriffene ( . . . ) Jüngling; unter den Jünglingen dieser Art und dieses Schicksals aber keiner so sehr wie der jüdische ( . . . ). Und der blinkendste Reichtum an Intellektualität, die üppigste Scheinproduktivität (nur der Verbundene kann wahrhaft produktiv sein) vermögen den Aufgelösten nicht für die heiligsten Insignien des Menschentums, Wurzelhaftigkeit, Verbundenheit, Ganzheit, zu entschädigen."

Bei Friedman liest sich das, Duktus und Nuancen verändernd, aber als Originalzitat ausgewiesen, so: "Niemand braucht die rettende Verbindung mit einem Volk so sehr wie der Jugendliche, der vom geistigen Suchen erfaßt ist, vom Intellekt fortgetragen in die obere Atmosphäre; aber unter den Jugendlichen dieser Art und dieses Geschicks niemand so sehr wie der jüdische (. . . ). Der leuchtendste intellektuelle Reichtum, die am blühendsten erscheinende Produktivität (nur der, der gebunden ist, kann wirklich produktiv sein) kann den abgesonderten Menschen nicht für die heiligen Insignien der Menschheit entschädigen - Verwurzelung, Bindung, Ganzheit."

Mit den Äußerungen anderer verfährt die Rückübersetzung ganz parallel. Der Philosoph Hans Jonas schrieb nach dem Tod von Bubers Frau Paula in der Version Friedman: "Niemals habe ich eine perfektere Zweiergemeinschaft von Menschen gesehen" - tatsächlich aber: "Nie habe ich eine vollkommenere Gemeinschaft von Zweien gesehen." Selbst die kleinen Pointen, von denen eine Biographie doch lebt, geraten beim Rückübersetzen ins Banale. Etwa, wenn Paula Buber über Raffi, den Sohn, schreibt: "Er ist immer noch ein sehr unausgebackenes Brötchen." Bei Friedman ist er nun ein "ungebackenes Stück Brot".

LOTHAR STIEHM

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