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Achtzig deutschsprachige Autoren begeben sich auf einen Trip, zurück in die Zeit der Beat- und Rockmusik der 60er und 70er Jahre. In persönlichen Erinnerungen werden Momente und Geschichten aus der eigenen Jugend lebendig, als ein einziger Song die ganze Welt retten konnte. Oder zumindest einen Sommerabend. Eine literarische Liebeserklärung an die beste Musik aller Zeiten, von den Stones über Iron Butterfly bis Leonard Cohen.

Produktbeschreibung
Achtzig deutschsprachige Autoren begeben sich auf einen Trip, zurück in die Zeit der Beat- und Rockmusik der 60er und 70er Jahre. In persönlichen Erinnerungen werden Momente und Geschichten aus der eigenen Jugend lebendig, als ein einziger Song die ganze Welt retten konnte. Oder zumindest einen Sommerabend. Eine literarische Liebeserklärung an die beste Musik aller Zeiten, von den Stones über Iron Butterfly bis Leonard Cohen.
Autorenporträt
Thomas Kraft wurde 1959 in Bamberg geboren, war Programmmacher des Literaturhauses München, arbeitet als Autor, Herausgeber, Literaturkritiker und Organisator kultureller Veranstaltungen. Thomas Kraft lebt mit seiner Familie in Herrsching am Ammersee.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.03.2008

Augenblick, verweile doch
80 Autoren suchen ihre Jugend: eine Anthologie über die Musik der sechziger und siebziger Jahre
Pop vergeht mit dem Augenblick. Seine Sache ist das Hier und Jetzt, sollte man meinen. „Wer vorgestern noch Aufstand rief, / ist heute zwei Tage älter”, dichtete Thomas Brasch in „Und der Sänger Dylan in der Deutschlandhalle” dem vagabundierenden Moment hinterher. In jüngster Zeit aber nehmen den Pop vor allem Nostalgiker in Beschlag, mit alten Liedern rufen sie sich ihre besseren Tage in Erinnerung (ob es die nun tatsächlich so gab oder nicht). Die Helden vergangener Tage kommen ihnen großzügig mit Reunion-Tours entgegen, die wiedervereinigten The Police oder The Who, Led Zeppelin und Pink Floyd, Genesis und natürlich die unermüdlichen Rolling Stones füllen die großen Hallen. Und im Publikum: „Lichte Haarkränze und gewölbte Körper”. Das hat bei einem der jüngeren Konzerte von Wishbone Ash Thomas Kraft beobachtet und schildert es in einer der von ihm im Blumenbar-Verlag herausgegebenen „Beat Stories”. Die Anthologie, aus der am Samstag im Atomic Café unter anderem Jan Weiler, Georg M. Oswald und Gunna Wendt lesen (Neuturmstraße 5, 21 Uhr), versammelt 80 Autoren und ihr frühes Leben mit der Musik der Sechziger und Siebziger.
Da ist natürlich viel von Ich und Wir die Rede, im Spiegel von Narzissten wie Iggy Pop oder David Bowie scheint das Wunschbild der Autoren auf. Man kann da mitschwelgen, das lustig, albern oder langweilig finden, mit auf die Reise gehen oder alles nur für schlichten nostalgischen Kitsch halten. Die Münchner Autorin Andrea Heuser, 1972 geboren, ist zumindest über den Verdacht erhaben, der Melancholie in die Falle gegangen zu sein: Als Nachgeborene schildert sie in ihrer folgenden „Beat Story” eine späte Liebe zu der Progressive-Rock-Band Gentle Giant, die bereits passé war, als Heuser in den achtziger Jahren ungefragt in der Generation Golf landete.
„Fast jede Liebe birgt ein Geständnis. Als ich Gentle Giant zum ersten Mal hörte, war es eigentlich schon zu spät. Ich war nicht etwa sechzehn, trug eine Lederjacke und rauchte auf dem Schulklo. Keine Poster, keine Partyschnappschüsse oder Südseeinseln hingen an meinen Wänden, keine nächtlichen Fummeleien in Hauseingängen, kein Wodka auf Ex, kein Liebesgeflüster am Telefon. Mit sechzehn schwärmte ich für meinen Deutschlehrer, verschlang Fantasieromane, und meine wildromantischen und durchaus verzweifelten Tagträume füllten zwar die Seiten eines Tagebuches, das ich als Einzige in der Familie für geheim hielt, aber die darin destillierten Sehnsüchte blieben allgemein, groß und überströmend. Wie alle anderen aus meiner Mädchenklasse gab auch ich mein Taschengeld für Lippenstifte, T-Shirts und Platten aus – die Musik, mit der ich, ungefragt in der Generation Golf der Achtziger gelandet, lebte und leben wollte, bestand damals aus vorwiegend männlichen Stimmen: David Bowie, Bob Marley, The Cure, Madness und, eine Weile, Genesis. Und dann, eines kühlen Morgens im Juni 1998, sehr viel später also, traf ich auf Gentle Giant. Genauer gesagt, ich trat auf Gentle Giant. Eine CD lag vor meiner Wohnungstür: „Gentle Giant: Three Friends”. Kein Brief lag dabei, keine Nachricht, nichts. Vom Cover blickte ein kahler Riesenkopf mit rotblondem Bart und einem dünnlippigen Clownsmund aus puppenblauen Augen schelmisch zu mir auf. Die CD war dabei so platziert, dass ich den Gedanken, jemand hätte sie versehentlich auf dem Weg nach draußen verloren, sofort aufgab. Außerdem, so stellte ich kurz darauf fest, war das Erscheinungsjahr mit Textmarker hervorgehoben: 1972, mein Geburtsjahrgang. Ansonsten schien derjenige (dass es ein Verehrer war, ahnte oder hoffte ich sofort) kein Wort zu viel verlieren zu wollen und ganz und gar auf die Musik zu setzen. Das Geheimnis des Schenkenden hat sich inzwischen gelöst; Gentle Giant aber ist ein Geheimtipp geblieben, bis heute.
Ich ging also mit der CD in mein 14-qm-Appartement, öffnete einem Sommerregentag die Vorhänge und hörte meine erste Giant. Sechs subtile, brillante Songs des sechsköpfigen Riesen, von dem ich in diesem Augenblick so wenig wusste wie von seinem Überbringer. Nichts wusste ich von den spektakulären
Live-Auftritten dieser Band, die, was die musikalische Qualität betrifft, zum Besten zählen, was in der Geschichte des Rock & Pop je auf einer Bühne zu hören war. Niemand, schon gar keine Gruppe meiner Generation Golf, hätte live so spielen können wie die Shulman-Brüder Ray, Derek und Philip, wie Kerry Minnears, Gary Green und Malcom Mortimore. Diese Musikstudenten mit ihren schlecht sitzenden Frisuren und Bärten, die sich nicht scheuten, auch mal eine Blockflöte hervorzuziehen, um kurz darauf die wildesten, schmutzigsten und originellsten Sounds auf Gitarre, Drums und Saxofon wie Geige mit einem unnachahmlichen Timing zum Timbre der Stimmen zu produzieren – was aus diesen freundlichen Jungs für ein wirklicher Riese hätte werden können, wenn sie anstatt nur sich selbst auf die Bühne zu stellen, auch mal Lederjacken, Jeans und Kontaktlinsen getragen hätten, wer weiß.
„Schooldays”: „The bell rings / And all things / Are calling / The days past . . .” Ich saß in meiner Einzimmerwohnung, der Juni-Tag zerfloss im Regen. „And all things / Are calling / The days past . . .” Ich sitze in einem Aquarium und im dämmrigen Licht schwimmen schillernde Fische. „Went to the sea / Was it real or did we dream. The days of children gone. . .” Ein dunkelhaariger, schlaksiger Junge lehnt am Geländer vor der Schule, er wartet, sein ungeschnittenes Haar fällt wie ein Vorhang über sein Gesicht. „Schooldays the happy days when we were going nowhere”. Ich werde ganz nah an dir vorübergehen, und ich weiß, eines Tages wirst du aufschauen, mich erkennen. . .
Musik, die wirklich bewegt, bewahrt nicht nur ihren Zauber über die Zeit hinweg. Sie schenkt uns unsere Zeit, einen Tag, eine Lebensphase, einen Augenblick, auch noch einmal neu, darin liegt ihre Magie begründet. Bei Gentle Giant war es anders. Ihre Musik versetzte mich zwar zurück. Aber, so paradox es klingen mag, sie gab mir auch etwas wieder, das ich nicht gehabt hatte – eine Schulzeit, die man in einen Song fassen möchte. Und so hatte ich dank Gentle Giant nun doch noch eine Lederjacke gehabt, unter wildem, fettigem Haar mein Gesicht verborgen und rauchend auf dem Schulklo gesessen. Ich hatte in Hauseingängen herumgeknutscht, Wodka auf Ex gekippt und wildes Liebesgeflüster mit dem schlaksigen, dunkelhaarigen Jungen gehabt, aber vor allen Dingen: „Schooldays when three said that we’d better be friends forever. . .” – drei Freunde, die in der Erinnerung nur deswegen zu leisen Tönen werden, weil ihr Verlust ein spürbarer ist. Aber das Schönste: Auf einmal, ohne dass ich wusste warum, war es normal, für eine lange Lebensstrecke einmal nirgendwo hinzugehen, und all die angestaute, unerlöste Zeit fühlte sich mit einem Mal gar nicht mehr so schlecht an, denn sie war vorbei: „and I think you must go now. . .” – und genau das tat ich. Ich ging.” ANDREA HEUSER
„Was aus diesen freundlichen Jungs für ein wirklicher Riese hätte werden können, wenn sie auch mal Lederjacken, Jeans und Kontaktlinsen getragen hätten”: die Rock-Band „Gentle Giant” in Hollywood. Foto: Neal Preston/Corbis
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