Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 2,90 €
  • Broschiertes Buch

Die diskreten Deals und geheimen Verhandlungen des DDR-Unterhändlers und Honecker-Vertrauten Wolfgang Vogel - ein faszinierender Tatsachenbericht über das Agentenkarussell während des Kalten Krieges.

Produktbeschreibung
Die diskreten Deals und geheimen Verhandlungen des DDR-Unterhändlers und Honecker-Vertrauten Wolfgang Vogel - ein faszinierender Tatsachenbericht über das Agentenkarussell während des Kalten Krieges.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.1997

Menschenhändler und Menschenfreunde
Ein penetrant apologetisches und dennoch detailreiches Buch über Wolfgang Vogel

Norbert F. Pötzl: Basar der Spione. Die geheimen Missionen des DDR-Unterhändlers Wolfgang Vogel. Spiegel-Buchverlag, Hamburg 1997. 542 Seiten, 49,80 Mark.

Es geschah in den Morgenstunden des 10. Februar 1962. Auf der Glienicker Brücke näherte sich von der Potsdamer Seite her der in Moskau zu zehn Jahren Gefängnis und Arbeitslager verurteilte amerikanische U-2-Pilot Francis Gary Powers, flankiert von zwei Amtspersonen. Von West-Berliner Seite kam ihm, ebenfalls eingerahmt von zwei autorisierten Begleitern, der in New York zu 30 Jahren Gefängnis verurteilte sowjetische Meisterspion Rudolf Abel entgegen. Nach kurzer Identifikation auf der Brückenmitte ging ihr Austausch Mann gegen Mann vonstatten. Zeitgleich wurde am Sektorengrenzübergang Checkpoint Charlie der amerikanische Student Frederic Pryor aus Stasi-Untersuchungshaft nach West-Berlin entlassen. Der erste von dem Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel vermittelte westöstliche Gefangenenaustausch war Wirklichkeit geworden.

"Der Dreiecks-Deal um Abel, Powers und Pryor war der Durchbruch für Vogels Geheimdienst-Diplomatie", resümiert Norbert Pötzl in seinem journalistischen Report über "die geheimen Missionen" des ehemaligen DDR-Unterhändlers. Die letzten zwei Häftlinge, ein Ingenieur im Dienst der Stasi-Spionage und ein Kranführer mit Kontakten zum Bundesnachrichtendienst, erhielten ihre Freiheit mit Hilfe von Vogels Vermittlung am 20. Oktober 1989 - drei Tage nach dem Sturz Erich Honeckers.

Dazwischen lagen etwa 150 Austauschvorgänge, die durch Vogels Mitwirkung zustande kamen. Die meisten davon schildert der Autor in seinem Buch "Basar der Spione", wobei der Titel zwar originell scheint, aber nicht treffend ist, denn die Spione des Kalten Krieges wurden eben nicht verkauft wie auf einem Basar, sondern ausgetauscht. "Die Austauschaktionen, an denen Vogel im Laufe von dreißig Jahren beteiligt war, betrafen insgesamt 23 Länder."

Freilich wirkte Vogel auch an jenen Geschäften mit, die im Laufe der Zeit zum Freikauf von 33755 politischen Häftlingen der DDR und zur Ausreise von 215019 DDR-Bürgern im Rahmen der Familienzusammenführung geführt haben. Die Bundesregierungen jedweder Couleur ließen sich diesen modernen Menschenhandel insgesamt rund 3,4 Milliarden Mark kosten. Austausch und Freikauf waren in aller Regel allerdings zu "Arrangements" oder "Paket-Lösungen" verquickt. Pötzl behandelt diese Zusammenhänge eher beiläufig.

Sein Buch ist nicht das erste über Wolfgang Vogel. 1987 und 1993 sind bereits zwei Biographien über ihn erschienen - von Jens Schmidthammer und Craig Withney, die der Autor auch herangezogen und ausgewertet hat. Indes hatte Pötzl wie kein anderer Autor vor ihm Zugang zu dem Archiv des Anwalts, zu internen Vermerken, zu Gerichtsakten und anwaltlichem Schriftverkehr, auch stand ihm Vogel selber in ausführlichen Gesprächen Rede und Antwort, schließlich hat er das Manuskript sogar "auf sachliche Richtigkeit gegengelesen". Dadurch gewann das auch auf Stasi-, KGB- und CIA-Akten gestützte Buch eine Authentizität, die den beiden anderen Büchern über Vogel weithin fehlt. Der Preis dafür ist seine penetrant apologetische Tendenz.

Der Autor entwirft ein dichtes, informatives Bild vom Häftlingsaustausch. Viele Einzelheiten kann er erstmals öffentlich machen. Seine zuweilen schnoddrige, im Stil des "Spiegel" (dessen Redakteur Pötzl ist) gehaltenen Schilderungen lesen sich wie ein Kriminalroman. Mitunter freilich sind sie auch beklemmend, weil sich in problematischen Entscheidungen über menschliches Schicksal die zynische Arroganz der Macht widerspiegelt, die unter der Diktatur der SED Menschlichkeit zum Mittel politischer Erpressung verkommen ließ.

Das gilt nicht für Wolfgang Vogel, obschon seine Biographie ihre irritierende Note dadurch erhält, daß er, noch als Mitarbeiter im Justizministerium, seit 1954 als Rechtsanwalt, unter den Decknamen "Eva" und "Georg" jahrlang mit dem Ministerium für Staatssicherheit inoffiziell zusammengearbeitet hat. Pötzl erhellt Motiv und Hintergründe. Nach dem Bau der Berliner Mauer avancierte der Anwalt, der mittlerweile auch in West-Berlin zugelassen war, mit Regierungsvollmacht zum international gefragten Makler zwischen Ost und West.

1973 bestellte Erich Honecker ihn als "persönlichen Beauftragten". Ohne Vogels Kontakte speziell zu Herbert Wehner und Helmut Schmidt wäre in jenen Jahren manches anders gelaufen in den innerdeutschen Beziehungen. In Bonn wurde der DDR-loyale Anwalt geschätzt, weil auf seine Zusagen Verlaß war. Ludwig Rehlinger, als langjähriger Staatssekretär im innerdeutschen Ministerium mit Häftlingsaustausch und -freikauf befaßt, weiß das zu bestätigen.

Vielen Opfern des Kalten Krieges hat der Emissär aus Ost-Berlin geholfen - selbstverständlich in den Grenzen, die das Regime ihm gezogen hat, und in Wahrnehmung seiner persönlichen Interessen. Selbstlos, aus purer Menschlichkeit, hat Vogel selten gehandelt. Honecker schätzte den Rat des "versierten Anwalts", wie er ihn noch aus dem Exil in Chile heraus gelobt hat, "weil er sich stets um sachliche Problemlösungen bemühte und keine eigenen Machtinteressen mit seiner Tätigkeit verband". Darin lag in der Tat wohl das Geheimnis für Vogels Erfolge.

Pötzls Sympathie für Vogel ist unverkennbar. Gelegentlich verklärt er ihn. Das mag als weniger störend empfunden werden als die pauschalisierenden politischen Wertungen, zu denen der Autor neigt. Manche Fehleinschätzungen verwundern. Gelegentlich verweist er, um die Schuld eines verurteilten West-Spions glaubhaft zu bekunden, auf die "gerichtliche Beweisaufnahme", als ob die Justiz des Unrechtsstaates unbedingt beweiskräftig gewesen wäre. Sonderbar mutet auch die Auffassung des Autors an, die 1953 zur Gleichschaltung der Anwaltschaft in der DDR geschaffenen Rechtsanwaltskollegien wären "als Antwort auf eine ideologische Abschottung durch die in West-Berlin regierenden Politiker" zu verstehen gewesen, als Reaktion auf ein Gesetz vom 6. Mai 1952, wonach Kommunisten in West-Berlin nicht mehr als Anwälte zugelassen werden sollten.

Zu solchen Fehleinschätzungen paßt es, wenn der Verfasser Stasi-Agenten häufig "Kundschafter" nennt und umgekehrt den Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen einst in West-Berlin als "antisozialistischen Agitpropverein" abtut und als "Agentenzentrale", die "unter dem Deckmantel der Rechtshilfe operierte". Solche Verzerrungen werden der Realität ebenso wenig gerecht wie die Abqualifizierung der mit dem Ostbüro der SPD in Verbindung stehenden ostdeutschen Sozialdemokraten als "Ostbüro-Agenten", die, "finanziert aus Steuergeldern und ausgerüstet mit Geheimtinte und Minikameras", zwanzig Jahre lang "interne Nachrichten aus der DDR geliefert" hätten. Wer das schreibt, kennt die Geschichte des SPD-Ostbüros nicht und macht sich Sprachregelungen der SED-Führung zu eigen.

Auf solche Weise entwertet der Autor sein Buch, das viel Interessantes bietet. Ungezählte Namen werden genannt, die bislang tabu waren. Pötzl enthält sich zumeist jeder Anonymisierung, er schreibt gottlob Klartext. Erstmals werden Hintergründe spektakulärer Austauschvorgänge transparent - im Fall des Bürgerrechtlers Anatolij Schtscharanski zum Beispiel. Und was der Autor über den Austausch von Heinz Beuster schreibt, eines ursprünglich zum Tode verurteilten Volkspolizei-Offizier mit BND-Kontakten, oder über den ausgetauschten Maulwurf in der Staatlichen Plankommission, Franz Saretzki, oder über den Austausch von Professor Alfred Zehe, einem in den Vereinigten Staaten verhafteten IM der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS, oder über die Ärztin Christa-Karin Schumann, die ebenfalls verurteilte Lebensgefährtin eines zum Tode verurteilten ehemaligen Fregattenkapitäns mit Draht zum BND, die Mielke nicht austauschen lassen wollte - das alles war so gut recherchiert noch nirgendwo nachzulesen.

Nicht weniger aufschlußreich sind Pötzls Aussagen über die in den Austausch einbezogenen Schlüsselfiguren auf seiten der DDR - Generalstaatsanwalt Josef Streit zum Beispiel, Vogels Förderer, ein innerlich widersprüchlicher Justizfunktionär, der ungeachtet seiner erbarmungslosen Härte als oberster Ankläger des Regimes gelegentlich zu einer humanen Geste fähig war. Ohne ihn wäre mancher Austausch und Freikauf gescheitert.

Vogels Instrukteur im MfS, der selbstverständlich auch in die "besonderen Bemühungen" einbezogen war, hieß Heinz Volpert. Seit 1969 im "Büro der Leitung", zuletzt im Rang eines Oberst, tätig und dem "Sekretariat des Ministers" direkt unterstellt, war er, wie Pötzl an vielen Details aus dem Archiv des Anwalts festmacht, die rechte Hand Erich Mielkes in Sachen Austausch und Freikauf. Daß der 1986 auf mysteriöse Weise zu Tode gekommene Tschekist vordem in leitender Funktion der MfS-Hauptabteilung V (später XX) auch persönlich an schweren Unrechtstaten beteiligt war, darunter an Menschenraubaktionen, bleibt unausgesprochen. Oder was meint Pötzl, wenn er Volpert "Erfolge bei der Bekämpfung von ,Feindorganisationen'" attestiert?

In einem Detail bedarf das Buch einer Korrektur. Die Idee, Häftlinge in Ost und West wechselseitig auszutauschen, sei im MfS, so Pötzl, erstmals 1958 aktenkundig gemacht - durch eine Notiz Volperts vom 13. Januar. Zu diesem Zeitpunkt aber lag der wahrscheinlich erste westöstliche Häftlingsaustausch schon mehr als ein Jahr zurück. Bereits im Dezember 1956 wurde der drei Jahre zuvor aus West-Berlin entführte und vom Obersten Gericht der DDR wegen Spionage zu lebenslangem Zuchthaus verurteilte ehemalige Mitarbeiter der Organisation Gehlen, Werner Haase, gegen den mutmaßlichen inoffiziellen Mitarbeiter der Hauptverwaltung Aufklärung, Ule Lammert, ausgetauscht. Beide Namen tauchen in Pötzls Buch nicht auf. KARL WILHELM FRICKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr