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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.12.2017

Lasset das Zagen
Die Ausgabe der Werke Johann Sebastian Bachs wird um eine „Lebensgeschichte in Bildern“
ergänzt – ein faszinierender, wenn auch teurer Blick in die Zeitumstände des Komponisten
VON JOHAN SCHLOEMANN
Johann Sebastian Bach, damals schon einer der berühmtesten Komponisten und Organisten seiner Zeit, wurde im Frühjahr des Jahres 1723 zum Thomaskantor in Leipzig berufen und blieb es bis zu seinem Tod im Jahr 1750. Dort entstanden Johannespassion und Matthäuspassion, Weihnachtsoratorium, h-moll-Messe, die Violinkonzerte, die Goldberg-Variationen, und das sind nur einige Hauptwerke aus dieser Zeit.
Als Thomaskantor hatte Bach nicht nur unzählige Schüler in Musik zu unterrichten, begabte und unbegabte, und jeden Sonntag Kantaten aufzuführen – sein Arbeitstag begann um fünf, im Winter um sechs Uhr morgens. Er hatte auch politische Verpflichtungen: Bald nach seinem Amtsantritt, im August 1723, erklang in einem Festgottesdienst in der Nikolaikirche Bachs erste Musik zur Wahl des neuen Rates des Stadt Leipzig, ein jährliches Großereignis der stolzen Handelsmetropole. Seine Kantate, die an musikalischer Kunst und instrumentaler Pracht alles in den Schatten stellte, was man in Leipzig bei dem politischen Festakt bis dahin gehört hatte, enthielt auch eine Arie mit diesem Text: „Die Obrigkeit ist Gottes Gabe, / Ja selber Gottes Ebenbild. / Wer ihre Macht nicht will ermessen, / Der muss auch Gottes gar vergessen: / Wie würde sonst sein Wort erfüllt.“
Zwar hat Bach sich gerade in Leipzig mehr mit dieser Obrigkeit herumschlagen müssen, als es der Ausdruck protestantischer Staatsfrömmigkeit in jener Arie nahelegt: Er klagte bei seinen Vorgesetzten über ein sanierungsbedürftiges, beengtes Schulhaus, in dem er mit seiner Familie selber wohnte, über knappe Probezeiten, über zu wenig gute Musiker, von denen er die besten, es waren ja Schüler und Studenten, immer wieder ziehen lassen musste.
Und doch war auch Bach, Spross einer riesigen Musikerfamilie, geprägt von dem Verständnis, dass man sich bei allem kreativen Genie in die Vorgaben seiner Dienstherren fügte, die schließlich vom allerobersten Dienstherren im Himmel in ihre Ämter eingesetzt worden waren. Die sechs Kantaten des Weihnachtsoratoriums etwa, das man jetzt überall wieder spielt und hört, enthalten viel Material, das Bach aus Auftragskantaten für das sächsische Herrscherhaus umarbeitete.
Und da man in den historischen Quellen von der Persönlichkeit dieses Mannes, dem elf seiner zwanzig Kinder gestorben sind, nicht allzu viel zu fassen kriegt, muss man also sein Leben als eine Reihe von Ausbildungs- und Dienstorten betrachten. Diese Dienstorte in Thüringen, Anhalt und Sachsen lassen sich beschreiben, sie werden aber besonders auch in Dokumenten und Bildern anschaulich. Genau dies leistet jetzt ein imposanter Bildband. Er erscheint als eine Ergänzung zur Neuen Bach-Ausgabe (NBA). Die Ausgabe, die im Jahr 2007 abgeschlossen wurde, umfasst 104 Notenbände und 101 kritische Berichte; nun wird sie seit einigen Jahren in einzelnen Bänden, die neue Forschungsergebnisse bieten, revidiert.
Christoph Wolff, der maßgebliche Bach-Biograf, emeritierter Professor in Harvard und früherer Leiter des Leipziger Bach-Archivs, hat die Auswahl zu einer „Lebensgeschichte in Bildern“ zusammengestellt und kommentiert. Diese Geschichte hat, geografisch gesehen, keinen großen Radius: Eisenach, Ohrdruf, Lüneburg, Weimar, Arnstadt, Mühlhausen, Weimar, Köthen, Leipzig. Doch in diesem Radius ereignete sich ein großes Musikwunder, man fand eine Kulturfülle und -dichte im damaligen kleinteiligen Mitteldeutschland, die schon den Zeitgenossen ungewöhnlich erschien.
Man sieht in dem Bildband nun ebenjene Dienstherren und versucht die Menschen unter den Perücken zu entdecken, man sieht Stadtansichten, Ratsprotokolle, Gebäude, Urkunden, Orgeln, so manchen barocken Schnörkel und immer wieder Notenblätter von Bachs Hand, von denen viele in der Berliner Staatsbibliothek verwahrt sind. Und wenn auch Bachs Werke das Wichtigste bleiben, entsteht so doch ein faszinierendes Bild von seinen Zeitumständen, bis hin zur klitzekleinen Notiz in einer Zeitschrift von 1739, dass man jetzt Bach mit neuer Instrumentalmusik „auf dem Zimmermannischen Caffe=Hauß in der Cather=Strasse Freytags Abends von 8 biß 10 Uhr“ hören könne.
298 Euro sind ein happiger Preis. Aber die hohe Druckqualität im Faksimile rechtfertigt ihn nicht nur für Bach-Forscher. Hier wird tatsächlich eine andere Nähe erzeugt, als wenn man die historischen Dokumente digital betrachtet.
Christoph Wolff: Bach. Eine Lebensgeschichte in Bildern. Redaktionelle Mitarbeit: Marion Söhnel und Markus Zepf. Bach-Dokumente, Band IX. Supplement zu: Johann Sebastian Bach, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, revidierte Edition. Hrsg. vom Bach-Archiv Leipzig. Bärenreiter-Verlag, Kassel u. a. 2017. 469 Seiten, 298 Euro.
Freitagabend im „Caffe=Hauß“:
neue Instrumentalmusik von Bach
– da wär’ man gern dabei gewesen
Arbeitsplatz Leipziger Thomaskirche – oben eine Ansicht von 1749,
unten die Schulordnung von 1723. Links das Weihnachtsoratorium,
rechts das „Wohltemperierte Klavier“
.
Fotos: Stadtgeschichtl. Museum Leipzig, Bach-Acrhiv Leipzig, SPK
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