Helene Hegemann
Broschiertes Buch
Axolotl Roadkill
Roman. Für den Preis der Leipziger Buchmesse, Kategorie Belletristik 2010 nominiert
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''Schreckliche Leben sind der größte Glücksfall', schreibt die 16jährige Mifti in ihr Tagebuch. Seit dem Tod ihrer Mutter lebt sie in Berlin, und als 'pseudo-belastungsgestörtes' Problemkind durchläuft sie nach 'Jahren der Duldungsstarre' gerade eine extrem negative Entwicklung.
'Obwohl intelligent und gut situiert, nimmt sie Drogen, verweigert die Schule und hat sogar Argumente dafür. Anstatt sich an Konventionen abzuarbeiten hinterfragt und analysiert sie nämlich permanent die gesellschaftliche Situation, in der sie sich befindet. Sie wohnt bei ihren wohlstandsverwahrlosten Halbgeschwistern und ihr Vater steckt noch immer in seiner frühkindlichen Allmachtsphase. Freiheit und Selbstzerstörung fallen zusammen und Mifti entlarvt in ihren von Wahn und Genie geprägten Zwischenwelten Sprache, Lebensentwürfe und Vorgegebenheiten der Erwachsenen. Sie kokettiert mit ihrer Kaputtheit und sucht im 'allgemeinen Dahinschimmeln' nach einem Zugriff auf ihr eigenes Leben. Der siebzehnjährigen Helene Hegemann ist ein sprachmächtiges, kluges Debüt über einen Zustand gelungen, in dem Traum, Alptraum und knallharte Realität nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
Helene Hegemann, 1992 in Freiburg geboren, lebt in Berlin. Im Winter 2007 wurde ihr Theaterstück "Ariel 15" im Ballhaus Ost uraufgeführt und im darauffolgenden Jahr von Deutschlandradio als Hörspiel adaptiert. Ihr Drehbuch- und Regiedebüt "Torpedo" hatte im Oktober 2008 Premiere. Es wurde mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet und lief im Sommer 2009 bundesweit in den deutschen Kinos.
Produktdetails
- Verlag: Ullstein HC
- Originaltitel: Scooter Changed My Life
- Seitenzahl: 203
- Erscheinungstermin: 21. Januar 2010
- Deutsch
- Abmessung: 21mm x 137mm x 205mm
- Gewicht: 348g
- ISBN-13: 9783550087929
- ISBN-10: 3550087926
- Artikelnr.: 28013739
Herstellerkennzeichnung
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Rappen im Séparée der Süchtigen
Vor zwei Jahren erhitzte ihr Roman "Axolotl Roadkill" den deutschen Literaturbetrieb. Inzwischen ist die Autorin volljährig. Ein Abend in Berlin-Mitte mit Helene Hegemann
Ein bisschen Selbstzerstörung ist vollkommen angemessen." Helene Hegemann spricht nicht vom exzessiven Ketamin- oder Kokain-durch-die-NaseZiehen, das sie in ihrem Roman "Axolotl Roadkill" beschreibt, sondern von der täglichen Packung Zigaretten. Die Schriftstellerin ist bekennende Kettenraucherin. Mittags in einem französischen Restaurant auf der Torstraße beginnt ein Treffen, das am späten Abend in einem gesetzten Alkoholrausch enden soll. Zunächst aber alles wahnsinnig gesittet: Wasser, Rotwein und Entrecote - und
Vor zwei Jahren erhitzte ihr Roman "Axolotl Roadkill" den deutschen Literaturbetrieb. Inzwischen ist die Autorin volljährig. Ein Abend in Berlin-Mitte mit Helene Hegemann
Ein bisschen Selbstzerstörung ist vollkommen angemessen." Helene Hegemann spricht nicht vom exzessiven Ketamin- oder Kokain-durch-die-NaseZiehen, das sie in ihrem Roman "Axolotl Roadkill" beschreibt, sondern von der täglichen Packung Zigaretten. Die Schriftstellerin ist bekennende Kettenraucherin. Mittags in einem französischen Restaurant auf der Torstraße beginnt ein Treffen, das am späten Abend in einem gesetzten Alkoholrausch enden soll. Zunächst aber alles wahnsinnig gesittet: Wasser, Rotwein und Entrecote - und
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natürlich die Frage, ob Hegemann den rufschädigenden Medienwirbel um ihre Person mittlerweile verkraftet hat. Denn nach der Veröffentlichung ihres Romans wurde die Schriftstellerin zunächst als Literaturwunderkind gehypt; als aber bekannt geworden war, dass sie sich ohne Hinweis einiger Sätze fremder Autoren bedient hatte, verwandelte sich der feuilletonistische Zuspruch in ein Gewitter aus Empörung, Schadenfreude und Beleidigungen.
Helene Hegemann sagt, dass sie schnell begriffen habe, dass das Geschriebene nichts mit ihr als Mensch oder mit ihrem Roman zu tun hat, und sie die Verrisse daher ignorieren konnte. Tatsächlich wurde ihr "Axolotl Roadkill" immer wieder völlig falsch und gerne als eine Stellvertreter-Geschichte über das verhurte Berliner Nachtleben verstanden. Nun ist aber der Roman nicht das Buch einer Generation, sondern eher eine Performance, welche die Klischees pseudojugendlicher Wildheit parodiert. Der Roman schwebt zwischen Theater und Film: In einer Reihe aneinandergeklebter Szenen erzählt "Axolotl Roadkill", brutal aufgeschrieben, die Geschichte der 16-jährigen Mifti, die in Berlins "versnobter Kaputtheit" herumirrt. Die Missverständnisse der Rezeption gründen vermutlich darin, dass sich die Schriftstellerin ab und zu der Settings des Berliner Nachtlebens bediente und ältere Kritiker die Überzeichnungen des Geschilderten nicht begriffen. "Natürlich ist es leichter und unterhaltsamer, eine Szene zu schreiben, die im ,Berghain' und nicht in einer Reihenhaussiedlung in Mecklenburg-Vorpommern spielt, vor allem weil man eine Person, die jenseits der vorgegebenen Standards versucht zu existieren, sehr viel besser in einer Welt porträtieren kann, die nichts mit Standards zu tun hat."
Helene Hegemann zündet sich die nächste Zigarette an und gesteht, dass sie nicht immer so cool auf die Kritiken reagieren konnte: "Manchmal, wenn mir Bekannte ungefragt aus Artikeln zitierten, wollte ich doch sehr gerne das Gartenhaus des einen oder anderen bayerischen Chefredakteurs abfackeln." Die Schriftstellerin lächelt, spricht leise und verfällt manchmal ins Radikale, das durch ihren Gestus aber merkwürdig elegant klingt. Im Gespräch sind ihre Sätze oft so sperrig und durchdacht wie die im Roman. Und genau das ist das Besondere an "Axolotl Roadkill": die Sprache. Der Sound bleibt stets rhythmisch, egal ob es ums Ficken oder um Agamben geht. Es ist eine blutrünstige und apokalyptische Sprache, die nicht die geringste Furcht vor den schrecklichsten Perversionen zeigt. So beschreibt Mifti ihre Gewaltphantasien gegen Ende des Romans folgendermaßen: "Mir bereitet es keine Schwierigkeiten, dabei zuzusehen, wie einer Sechsjährigen bei vollem Bewusstsein gleichzeitig mit kochendem Schwefel die Netzhaut ausgebrannt und irgendein Schwanz in den Arsch gerammt wird, und danach verblutet sie halt mit weit geöffneten Augen auf einem Parkplatz." Sätze wie diese zeigen auch, dass es sich bei "Axolotl Roadkill" um eine Performance handeln muss, denn laut Kunsttheorie ist das performative Konzept ja dazu da, jegliche Regelästhetik zu überschreiten.
Die Performance ist Ausdruck einer künstlerischen Lebenssituation, welche die Trennbarkeit von Künstler und Werk befragt. So wie "Axolotl Roadkill". Nun könnte sich spätestens an dieser Stelle und nach der zweiten Flasche Wein die Frage aufdrängen, wie viel Mifti in Helene Hegemann steckt. Oberflächlich betrachtet, gibt es in ihrer Biographie durchaus Parallelen zu der ihrer Protagonistin, dennoch sind diese vollkommen irrelevant, denn der Roman wäre ebenso bemerkenswert, wenn die Schriftstellerin tatsächlich ein Abbild der destruktiven und wilden Heranwachsenden aus "Axolotl Roadkill" wäre.
Die Schriftstellerin, so zurückhaltend, erwachsen und ehrlich, wie sie mir im Restaurant gegenübersitzt, kann aber auf keinen Fall das Berlin-Mitte-Wesen Mifti darstellen. Ihre Protagonistin ist ein Mädchen, das sich bewusst zum Leben im Exzess entschließt und auch nicht einfach so aus unglücklichen Umständen in eine Heroinsucht abrutscht wie einst Christiane F. in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". In Sätzen wie "Ich bin wild aufgewachsen, und ich will wild bleiben" wird klar, dass Miftis Entscheidung für das braune Pulver eine bewusste Entscheidung für ein Leben abseits der Norm ist. Mitleid ist daher unangebracht.
Wild wirkt Helene Hegemann nicht gerade. Sie trägt einen grauen Pullover zu Jeans und pflegt einige fast kleinbürgerliche Züge. So sucht sie zurzeit nach einer ordentlichen Putzfrau: "Es gibt so schreckliche Momente im Leben, alles ist kurz vor dem kompletten Zerfall, alles läuft schief, und dann zertrümmerst du noch unabsichtlich einen Teller, und in diesen Situationen gibt der Gedanke daran, dass jemand kommt und zumindest die Wohnung in Ordnung bringt, wirklich Halt." Helene Hegemann reagiert auf jede Frage so schnell, wie sich die Gespräche in ihrem Roman abspielen: Die Dialoge in "Axolotl Roadkill" sind präzise, ehrlich und rabiat - egal, ob es um Aids, die tote Mutter oder nur um ein kaputtes Regal geht.
Auf einen Digestif folgt unsere Entscheidung, das "Grill Royal" an der Friedrichstraße anzusteuern. Auch dieses Restaurant findet in "Axolotl Roadkill" Erwähnung. Kurz nach dem Betreten des Etablissements stellt Hegemann fest: "Das alles hier ist wie ein großer Autounfall, eigentlich ganz schrecklich, aber man muss trotzdem hinschauen." Entschlossen geht sie in Richtung Raucherbereich. Im Séparée für die Süchtigen sitzt zum Glück niemand. Jetzt also Gin Tonic. Nach einem großen Schluck schließt die Jungautorin mit beachtlicher Selbstverständlichkeit ihr zertrümmertes iPhone an die Boxen der Anlage an und - zum ersten Mal ist sie abseits der Norm, weil betrunken - rappt zu einem Song von Azealia Banks, perfekt auf Takt, Wort und Geste. Die Schriftstellerin kann es sich selbst nicht erklären, warum sie es mit ihrem Vorsingen bei "Starsearch" im Alter von elf nicht ins Fernsehen geschafft hat. "Dafür ist Bill Kaulitz in derselben Staffel weitergekommen." Die Geschichte um Helene Hegemanns Teenagerdasein als Castingshow-Junkie ist ebenfalls Indiz dafür, dass es keinen Grund gibt, sie mit ihrer wohlstandsverwahrlosten Protagonistin zu verwechseln. Sie ist, bis auf die Tatsache, dass sie die Schule geschmissen und mit 16 einen genialen Bestsellerroman geschrieben hat, vollkommen normal. Heute Nacht allerdings betrunken. Auch das ist vollkommen normal, denn alles andere wäre nach den Mengen von Alkohol das Bekenntnis einer versierten Trinkerin.
ANNA PRIZKAU
Helene Hegemann: "Axolotl Roadkill". Roman. Ullstein 2010, 208 Seiten, 14,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Helene Hegemann sagt, dass sie schnell begriffen habe, dass das Geschriebene nichts mit ihr als Mensch oder mit ihrem Roman zu tun hat, und sie die Verrisse daher ignorieren konnte. Tatsächlich wurde ihr "Axolotl Roadkill" immer wieder völlig falsch und gerne als eine Stellvertreter-Geschichte über das verhurte Berliner Nachtleben verstanden. Nun ist aber der Roman nicht das Buch einer Generation, sondern eher eine Performance, welche die Klischees pseudojugendlicher Wildheit parodiert. Der Roman schwebt zwischen Theater und Film: In einer Reihe aneinandergeklebter Szenen erzählt "Axolotl Roadkill", brutal aufgeschrieben, die Geschichte der 16-jährigen Mifti, die in Berlins "versnobter Kaputtheit" herumirrt. Die Missverständnisse der Rezeption gründen vermutlich darin, dass sich die Schriftstellerin ab und zu der Settings des Berliner Nachtlebens bediente und ältere Kritiker die Überzeichnungen des Geschilderten nicht begriffen. "Natürlich ist es leichter und unterhaltsamer, eine Szene zu schreiben, die im ,Berghain' und nicht in einer Reihenhaussiedlung in Mecklenburg-Vorpommern spielt, vor allem weil man eine Person, die jenseits der vorgegebenen Standards versucht zu existieren, sehr viel besser in einer Welt porträtieren kann, die nichts mit Standards zu tun hat."
Helene Hegemann zündet sich die nächste Zigarette an und gesteht, dass sie nicht immer so cool auf die Kritiken reagieren konnte: "Manchmal, wenn mir Bekannte ungefragt aus Artikeln zitierten, wollte ich doch sehr gerne das Gartenhaus des einen oder anderen bayerischen Chefredakteurs abfackeln." Die Schriftstellerin lächelt, spricht leise und verfällt manchmal ins Radikale, das durch ihren Gestus aber merkwürdig elegant klingt. Im Gespräch sind ihre Sätze oft so sperrig und durchdacht wie die im Roman. Und genau das ist das Besondere an "Axolotl Roadkill": die Sprache. Der Sound bleibt stets rhythmisch, egal ob es ums Ficken oder um Agamben geht. Es ist eine blutrünstige und apokalyptische Sprache, die nicht die geringste Furcht vor den schrecklichsten Perversionen zeigt. So beschreibt Mifti ihre Gewaltphantasien gegen Ende des Romans folgendermaßen: "Mir bereitet es keine Schwierigkeiten, dabei zuzusehen, wie einer Sechsjährigen bei vollem Bewusstsein gleichzeitig mit kochendem Schwefel die Netzhaut ausgebrannt und irgendein Schwanz in den Arsch gerammt wird, und danach verblutet sie halt mit weit geöffneten Augen auf einem Parkplatz." Sätze wie diese zeigen auch, dass es sich bei "Axolotl Roadkill" um eine Performance handeln muss, denn laut Kunsttheorie ist das performative Konzept ja dazu da, jegliche Regelästhetik zu überschreiten.
Die Performance ist Ausdruck einer künstlerischen Lebenssituation, welche die Trennbarkeit von Künstler und Werk befragt. So wie "Axolotl Roadkill". Nun könnte sich spätestens an dieser Stelle und nach der zweiten Flasche Wein die Frage aufdrängen, wie viel Mifti in Helene Hegemann steckt. Oberflächlich betrachtet, gibt es in ihrer Biographie durchaus Parallelen zu der ihrer Protagonistin, dennoch sind diese vollkommen irrelevant, denn der Roman wäre ebenso bemerkenswert, wenn die Schriftstellerin tatsächlich ein Abbild der destruktiven und wilden Heranwachsenden aus "Axolotl Roadkill" wäre.
Die Schriftstellerin, so zurückhaltend, erwachsen und ehrlich, wie sie mir im Restaurant gegenübersitzt, kann aber auf keinen Fall das Berlin-Mitte-Wesen Mifti darstellen. Ihre Protagonistin ist ein Mädchen, das sich bewusst zum Leben im Exzess entschließt und auch nicht einfach so aus unglücklichen Umständen in eine Heroinsucht abrutscht wie einst Christiane F. in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". In Sätzen wie "Ich bin wild aufgewachsen, und ich will wild bleiben" wird klar, dass Miftis Entscheidung für das braune Pulver eine bewusste Entscheidung für ein Leben abseits der Norm ist. Mitleid ist daher unangebracht.
Wild wirkt Helene Hegemann nicht gerade. Sie trägt einen grauen Pullover zu Jeans und pflegt einige fast kleinbürgerliche Züge. So sucht sie zurzeit nach einer ordentlichen Putzfrau: "Es gibt so schreckliche Momente im Leben, alles ist kurz vor dem kompletten Zerfall, alles läuft schief, und dann zertrümmerst du noch unabsichtlich einen Teller, und in diesen Situationen gibt der Gedanke daran, dass jemand kommt und zumindest die Wohnung in Ordnung bringt, wirklich Halt." Helene Hegemann reagiert auf jede Frage so schnell, wie sich die Gespräche in ihrem Roman abspielen: Die Dialoge in "Axolotl Roadkill" sind präzise, ehrlich und rabiat - egal, ob es um Aids, die tote Mutter oder nur um ein kaputtes Regal geht.
Auf einen Digestif folgt unsere Entscheidung, das "Grill Royal" an der Friedrichstraße anzusteuern. Auch dieses Restaurant findet in "Axolotl Roadkill" Erwähnung. Kurz nach dem Betreten des Etablissements stellt Hegemann fest: "Das alles hier ist wie ein großer Autounfall, eigentlich ganz schrecklich, aber man muss trotzdem hinschauen." Entschlossen geht sie in Richtung Raucherbereich. Im Séparée für die Süchtigen sitzt zum Glück niemand. Jetzt also Gin Tonic. Nach einem großen Schluck schließt die Jungautorin mit beachtlicher Selbstverständlichkeit ihr zertrümmertes iPhone an die Boxen der Anlage an und - zum ersten Mal ist sie abseits der Norm, weil betrunken - rappt zu einem Song von Azealia Banks, perfekt auf Takt, Wort und Geste. Die Schriftstellerin kann es sich selbst nicht erklären, warum sie es mit ihrem Vorsingen bei "Starsearch" im Alter von elf nicht ins Fernsehen geschafft hat. "Dafür ist Bill Kaulitz in derselben Staffel weitergekommen." Die Geschichte um Helene Hegemanns Teenagerdasein als Castingshow-Junkie ist ebenfalls Indiz dafür, dass es keinen Grund gibt, sie mit ihrer wohlstandsverwahrlosten Protagonistin zu verwechseln. Sie ist, bis auf die Tatsache, dass sie die Schule geschmissen und mit 16 einen genialen Bestsellerroman geschrieben hat, vollkommen normal. Heute Nacht allerdings betrunken. Auch das ist vollkommen normal, denn alles andere wäre nach den Mengen von Alkohol das Bekenntnis einer versierten Trinkerin.
ANNA PRIZKAU
Helene Hegemann: "Axolotl Roadkill". Roman. Ullstein 2010, 208 Seiten, 14,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Eine "schrille Sinfonie", ein "Kugelblitz in Prosaform", staunt Ursula März über den Debütroman der siebzehnjährigen Autorin, deren Leben ihren Informationen zufolge bereits ein "volles Künstlerprogramm" ist. Zwar findet sie manches an dem Buch auch nervtötend, etwa den "Fickundkotz-Jargon" oder den "nicht minder gewollten Theoriejargon". Dem disharmonischen Gesamtklang des Romans jedoch bescheinigt sie, eine packende Mischung aus "schwärzester Verzweiflung" und "spinnerter Vergnügung" zu sein und hört gar das Grundgeräusch unserer Gegenwart aus dem Buch dringen. Es handelt sich, wie man liest, um die "hemmungslose, halluzinatorische Entladung" eines traumatisierten Bewusstseins sowie die gleichzeitige Parodie davon, ordnet die Kritikerin die Geschichte der jungen Mifti ein, die in chaotischen Intellektuellenverhältnissen am Prenzlauer Berg lebt und Helene Hegemanns Protagonistin ist. Es handele sich auch um keinen klassischen Entwicklungsroman, aber immerhin doch um etwas Ähnliches. Hegemanns Stärke sei das situative, szenische, aber auch manch ausgeklügelte Idee, wie das Motiv des Axolotl, für das die Kritikerin dieser Autorin manche Schwäche des Romans locker verzeiht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Jau, das war wahrlich keine leichte Kost und schon gar nicht in irgendeiner Form zur Erbauung oder guten Unterhaltung im Sinne von sich erfreuen geeignet. Trotzdem - dieses Buch hängt nach.
Wer die Jugend als ausschließlich schöne Zeit in Erinnerung hat, ist beneidenswert, aber …
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Jau, das war wahrlich keine leichte Kost und schon gar nicht in irgendeiner Form zur Erbauung oder guten Unterhaltung im Sinne von sich erfreuen geeignet. Trotzdem - dieses Buch hängt nach.
Wer die Jugend als ausschließlich schöne Zeit in Erinnerung hat, ist beneidenswert, aber natürlich sei es ihr/ihm gegönnt. Doch wie oft war dieser Abschnitt geprägt von Frust und Wut. Auf diese Erwachsenenwelt, diese scheinheilige, heuchlerische, die einem aber vorschreiben wollte wie man zu sein und zu leben hatte. Und die Schule, wo das Beste daran war dass man seine Kumpels traf, aber ansonsten nur Scheiß lernte. Der eigene Körper der machte was er wollte: der Busen zu groß zu klein, zuviel zuwenig Bartstoppeln, zu kurze zu lange Beine, der Schwanz zu dünn zu winzig usw. Man hatte das ganze Leben noch vor sich - ja aber was für eines? In dieser scheiß verlogenen Gesellschaft... Eigene Wünsche oder Träume wurden ins Lächerliche gezogen (werd' du erst mal erwachsen..), Drogen aller Art wurden ausprobiert um dem standzuhalten.
Genau so und noch extremer klingt es durch alle Seiten dieses Buches hindurch, durch alle Zeilen. Mifti, die Hauptfigur ist zudem nicht nur ein 'normaler' Teenager mit oben genannten Problemen, nein, sie schleppt auch noch eine grauenvolle Vergangenheit mit sich rum, die es ihr verwehrt, den häufig einzigen richtigen Rückhalt zu finden, den junge Menschen in dieser Zeit haben: eine gleichaltrige Clique. Sie ist eine Einzelgängerin, da sie die durch ihre gräßlichen Erfahrungen entstandenen Empfindungen und Gedanken ihren Altersgenossinnen nicht deutlich machen kann. Verstanden fühlt sie sich lediglich von Menschen, die ähnlich existentielle Erlebnisse hinter sich haben und diese mit Hilfe von Drogen versuchen zu überwinden, zu vergessen, zu verdrängen - was auch immer. Und Mifti schließt sich an. All dies schildert sie mit einer solchen Sprachgewalt, Obszönität, Brutalität und Grausamkeit, dass ich immer wieder geneigt war das Buch wegzulegen. Doch zugleich war ich voller Mitgefühl für diese unsagbar einsame unglückliche junge Frau und las weiter in der Hoffnung, dass noch jemand kommt, der ihr die Kraft gibt die sie braucht um all das zu überstehen.
Helene Hegemann schildert ein Lebensgefühl in Extremform, das sich aber grundsätzlich seit Jahrzehnten nicht verändert hat. Sie gibt ihm jedoch die Stimme der heutigen Zeit, so unschön sie auch klingen mag. Eigentliche Zielgruppe für dieses Buch sollten junge Erwachsene sein und zwar genau die, die sich allem und jedem verweigern. Doch ob ausgerechnet jene sich eine Lektüre zu Gemüte führen, die vom Establishment hoch gelobt wurde, ist fraglich.
Was den Plagiatsvorwurf angeht: Wer Augen hat zu sehen, der lese :-) Auf Seite 15 erklärt Edmond, der Bruder von Mifti, dass seine Werke zusammengeklaut sind. Und zwar: 'Von so 'nem Blogger.'
Und wieso Axolotl? Weil er das freundlichste Lächeln hat, das Mifti je gesehen hat.
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So wie das Axolotl lebenslang im Lurch-Stadium verbleibt, will die sechzehnjährige Mifti nicht erwachsen werden. Obwohl man "Axolotl Roadkill" dem Coming-of-Age-Genre zuordnen kann, gibt es keine Entwicklung, aber Helene Hegemann bringt Miftis Lebensangst im Großstadtmoloch …
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So wie das Axolotl lebenslang im Lurch-Stadium verbleibt, will die sechzehnjährige Mifti nicht erwachsen werden. Obwohl man "Axolotl Roadkill" dem Coming-of-Age-Genre zuordnen kann, gibt es keine Entwicklung, aber Helene Hegemann bringt Miftis Lebensangst im Großstadtmoloch Berlin mit Furor und konsequent subjektiv zum Ausdruck. Ironie und Tragikomik rücken "Axolotl Roadkill" zumindest abschnittweise in die Nähe einer Parodie ...<br />Die Plagiats-Vorwürfe sind überzogen; "Axolotl Roadkill" ist ein eigenständiger Roman von Helene Hegemann, einer eloquenten, geistreichen und belesenen Schriftstellerin in der "Attitüde des arroganten, misshandelten Arschkindes, das mit seiner versnobten Kaputtheit kokettiert und die Kaputtheit seines Umfeldes gleich mit entlarvt".
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