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She spends her days tending plants, slogging through high school and imagining what life could be if she had been born to a different family. Then she meets Peter - a charming, troubled college student from the East Coast - who launches his teaching career by initiating her into the world of art.

Produktbeschreibung
She spends her days tending plants, slogging through high school and imagining what life could be if she had been born to a different family. Then she meets Peter - a charming, troubled college student from the East Coast - who launches his teaching career by initiating her into the world of art.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.05.2023

Das Paradies ist immer anderswo
In dem Roman „Avalon“ erzählt Nell Zink von einer klugen, mittellosen Teenagerin,
die in einer ausbeuterischen Gesellschaft doch den Aufstieg wagt
VON FELIX STEPHAN
Wenn die Ich-Erzählerin in Nell Zinks neuem Roman „Avalon“ den Pacific Coast Highway, der Los Angeles mit der Bay Area verbindet, nach Norden fährt, und wenn sie bei der Gelegenheit kontemplativ ihre Heimat Kalifornien betrachtet, dann klingt das ungefähr so, wie sich die Exilanten in den Romanen von Vladimir Nabokov an Russland erinnern. In der Luft über den Lagunen hängt also „eine dicke Schicht von salziger Gischt und Nebel, die die herumspazierenden Vögel verschwommen und die fluoreszierenden Windsurfsegel pastellfarben erscheinen ließ“. Ein paar Kilometer weiter marschieren die Spießenten, „hübsche Tiere mit langen, schlanken Hälsen“, ein Anblick, der so schön ist, dass die Erzählerin ergriffen ihr Auto parkt. Und als sie in Point Lobos ankommt, dem „vielleicht faktisch hübschesten Ort des Universums“ fragt sie sich: „Sagen wir, es gäbe einen (theistischen) Gott: Wie würde der ihn noch verbessern? Was könnte irgendjemand tun, um ihn noch hübscher zu machen? Jeder Ast jedes windschiefen Baumes war so gravitätisch arrangiert, dass er aus allen Richtungen poetisch aussah. Jeder Stein mit unbekümmerter Anmut gefallen.“ Jeder Amerikaner sollte diese Straße einmal entlanggefahren sein, hat man ihr mit auf den Weg gegeben, und sie bekennt: „Ich war nicht immun gegen amerikanische Mythen.“
Nell Zink, das muss man dazu wissen, wurde selbst in Kalifornien geboren und lebt seit vielen Jahren im brandenburgischen Bad Belzig. Der freundliche Blick zurück ist dem eines Exilanten deshalb womöglich nicht völlig unähnlich. Sie habe sich sehr sorgfältig verborgen vor den literarischen Zirkeln der USA, konnte ihnen aber letztlich doch nicht entkommen, so hat es der New Yorker einmal ausgedrückt. Am Ende wurde sie doch berühmt, weil sich die Qualität ihrer Romane vor der Welt nicht lange verheimlichen ließ. In „Avalon“ geht es um die junge Kalifornierin Bran, deren Eltern sich getrennt voneinander für ein Leben in Selbstentfaltung und gegen sie entschieden haben und die folglich verlassener nicht sein könnte. Der Vater hat sich nach Australien davongemacht und eine neue Familie gegründet, die Mutter hat sich in ein tibetisch-buddhistisches Kloster zurückgezogen. Bran wächst auf der Farm der Hendersons auf, die sich von ihr vor allem kostenlose Arbeit versprechen. Nach der Highschool schiebt sie Schichten in der Baumschule, aber als sich herausstellt, dass sie sich auch als junge Teenagerin immer noch nicht anfassen lassen will von den Hendersons und deren erweitertem Freundeskreis aus antiföderalistischen Motorradschraubern, kommt das Arrangement an ein jähes Ende.
Bran kommt bei einer befreundeten Mittelstandsfamilie unter, die ihr ein Zimmer zur Verfügung stellt und sie neu einkleidet, aber der ausgeweiteten Kampfzone entkommt sie nicht. Sämtliche Beziehungen in diesem Roman sind in Wahrheit Ausbeutungsverhältnisse, und Bran kommt damit nicht zuletzt deshalb so gut zurecht, weil sie ein anderes Leben nie erfahren hat. Für ihre sehr viel reicheren Freunde aus der Highschool ist sie vor allem eine dienstbare Ressource, sie schreibt ihnen die Hausarbeiten und steht ihnen neben den standesgemäßen Verlobungen als romantische Eskapade zur Verfügung.
Die Selbsterniedrigung betreibt Bran als eine Art Hochleistungssport und stößt in dieser Disziplin in Regionen vor, die für bloße Amateure bisweilen kaum zu ertragen sind. Als das Familienoberhaupt der Hendersons wegen eines Schlaganfalls zum Pflegefall wird, zieht sie zum Entsetzen ihrer Freunde klaglos zurück auf die Farm und wendet und wischt und füttert ihren Peiniger, wie um sich vollends abzuhärten. Nach Monaten an seinem Bett schaut sie zurück und stellt fest, dass „ich endgültig zu einem totalen Wrack geworden war. (...) In meiner Nervosität flackerten erste Funken von Selbstachtung auf.“ Wenn ihr einer ihrer bourgeoisen Freunde sagt, wie bemitleidenswert sie ist, scheint sie das als Kompliment aufzufassen.
In diesem Sinne ist „Avalon“ eine Art postidealistischer Bildungsroman. Es kann für die Hauptfigur in der Gesellschaft der Singularitäten nur dann nach oben gehen, wenn sie keinerlei Mitleid oder Schmerz mehr empfindet. Gesellschaftlicher Aufstieg und moralische Entkernung fallen ineinander. Nur völlig erkaltet kann Bran gesellschaftlich etwas werden. Sie hat das klassische psychologische Profil eines Missbrauchsopfers, das sich mit der Welt nur dann im Einklang befindet, wenn es misshandelt wird und das selbstlosen, genuin freundschaftlichen Beziehungen hilflos bis misstrauisch gegenübersteht. Im Laufe des Romans stellt sich der Defekt als Wettbewerbsvorteil heraus. Die einzig denkbare Erlösung besteht für diese Figur in einer gnadenlosen Welt, die neben dem Geld keinen Gott duldet, darin, selbst auf die Seite der Ausbeuter zu wechseln, und das nicht ganz kleine Kunststück dieses Romans besteht darin, dass man ihr dabei kräftig die Daumen drückt.
Diese pessimistische, horkheimereske Gesellschaftsanalyse ist jedoch, und das macht den Roman zu so einem eleganten Kunstwerk, in heiteres, mildes Licht getaucht. Dauernd sind die Figuren auf dem Weg zum Strand und kommen gerade vom Strand zurück, in seiner vordergründig sonnigen Unbekümmertheit ist die Bildsprache von David Hockney hier gleich die Straße runter. Auf der bloßen Handlungsebene geht es zu wie in Jonah Hills Skater-Elegie „Mid90s“: Teenager, die Grüppchen bilden, die abhängen, Beziehungen eingehen, einander diese Beziehungen missgönnen, abhängen, sich wieder vertragen, Filme machen, abhängen.
Dass sich unter diesem Dekor jedoch ein entgrenzter Kampf um die knappen Ressourcen psychische Gesundheit, Zuneigung, Kongruenz und auch einfach angstfreies Dasein abspielt, wird von Peter ausformuliert, einem einschüchternd belesenen Studenten, der sich immer wieder im Freundeskreis blicken lässt. Peter zitiert Guattari, Agamben, Edward Said, empfiehlt Bücher von Klaus Theweleit und Xaviére Gaultier – und setzt die protofaschistische Gesellschaftsordnung, die er präzise zu beschreiben weiß, mit kaltblütiger Selbstverständlichkeit selbst durch. Weil er weiß, was er tut, ist er unter allen Ausbeutern der Grausamste, und man darf es vermutlich als Gegenwartskommentar verstehen, dass er in der Gestalt des Kulturkritikers auftritt. Für Bran wird er zu so etwas wie ein Endgegner, er ist es, den sie symbolisch erlegen muss. Am Ende fällt es ihr leicht. Wie alle anderen Figuren in dem Roman hat auch er sie unterschätzt.
Die einzig denkbare Erlösung
besteht für sie darin, auf die
Seite der Ausbeuter zu wechseln
Jeder Ast jedes windschiefen Baumes gravitätisch arrangiert: Point Lobos in Kalifornien. Der „vielleicht faktisch hübschesten Ort des Universums“, findet die Protagonistin Bran in „Avalon“.
Foto: Michael Okimoto/Imago
Nell Zink: Avalon. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Überhoff. Rowholt, Hamburg 2023.
272 Seiten, 24 Euro.
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