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Am 13. August 1961 war alles anders, die DDR war eingemauert. Doch bot das nicht auch eine Chance? Die Sowjetunion beschloss 1961 den Aufbau des Kommunismus. Auch die DDR-Führung träumte von einem wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Höhenflug. Dazu brauchte sie die Intelligenz und die Jugend. Die waren nicht ohne Reformen und Zugeständnisse zu gewinnen. In der Filmkunst, der Musik und Literatur taten sich erstaunliche Dinge. Doch der Geist des Aufbruchs wurde spätestens 1968 in Prag erstickt. Stefan Wolle lässt diese aufregende Zeit in all ihren hoffnungsfrohen, dramatischen, unfreiwillig…mehr

Produktbeschreibung
Am 13. August 1961 war alles anders, die DDR war eingemauert. Doch bot das nicht auch eine Chance? Die Sowjetunion beschloss 1961 den Aufbau des Kommunismus. Auch die DDR-Führung träumte von einem wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Höhenflug. Dazu brauchte sie die Intelligenz und die Jugend. Die waren nicht ohne Reformen und Zugeständnisse zu gewinnen. In der Filmkunst, der Musik und Literatur taten sich erstaunliche Dinge. Doch der Geist des Aufbruchs wurde spätestens 1968 in Prag erstickt. Stefan Wolle lässt diese aufregende Zeit in all ihren hoffnungsfrohen, dramatischen, unfreiwillig komischen Facetten lebendig werden. Mit historischem Sachverstand, Witz und erzählerischer Leichtigkeit verbindet er die Analyse der Herrschaftsverhältnisse mit der Perspektive der Zeitgenossen und den Geschichten des Alltags. Das Buch schließt unmittelbar an seinen Bestseller 'Die heile Welt der Diktatur' an, über den die Hannoversche Allgemeine Zeitung schrieb: 'Historische Abhandlungen treiben ihren Lesern selten Lachtränen ins Gesicht - anders ist es bei diesem Werk.'
Autorenporträt
Jahrgang 1950, Studium der Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin, 1972 Relegation aus politischen Gründen, Arbeit in einem Produktionsbetrieb, 1976-89 Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1984 Promotion, 1990 Mitarbeiter des Komitees für die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit, 1991-96 Assistent an der Humboldt-Universität, 1996-98 Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1998-2000 Referent bei der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, danach freier Autor; zeitweilige Mitarbeit im Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, seit 2005 wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2011

Zum Tag der Deutschen Einheit: Wie es in der DDR zuging und wie ihre Bürger weggingen
Der letzte Funke
der Utopie
Stefan Wolle beleuchtet die Alltagsgeschichte
der DDR von 1961 bis 1971 – eine Zeit, in der
viele noch auf einen neuen Aufbruch hofften
Der Historiker Stefan Wolle hat die DDR selbst erlebt: Als Student, der von der Universität relegiert wurde, als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der DDR-Akademie. In den vergangenen zwanzig Jahren hat er sich mit Erfolg darum bemüht, der Verharmlosung des Rückblicks auf diese Diktatur vorzubeugen. Jetzt hat er sich den für das Land entscheidenden Jahren zwischen dem Mauerbau und dem Prager Frühling zugewendet. Im Rückblick erscheint Walter Ulbricht im Vergleich zu Erich Honecker fast schon als Reformer, und dies, obwohl er es war, der den Bau der Mauer in Moskau durchsetzte.
aug
Das Bild der DDR ist seit ihrem Ende immer düsterer geworden. Je besser die Geschichte der DDR erforscht wurde, und sie ist mittlerweile sehr gut erforscht, desto offenkundiger wurden ihr diktatorischer Charakter, ihre mangelnde Leistungsfähigkeit, ihre Unfreiheit und beengende Realität. Kaum jemand verteidigt sie noch. DDR-Nostalgie bleibt in der veröffentlichten Meinung meist stumm. Die Erinnerung an die Unterdrückung und ihre Opfer im Stasistaat dominiert den Diskurs. Der Historiker Stefan Wolle hat mit zahlreichen Schriften dazu beigetragen, diesem kritischen Blick auf die DDR als Diktatur zum Durchbruch zu verhelfen.
Seit der Wende gehört er zu den kompromisslosesten Anklägern der untergegangenen DDR, ihrer Herrscher, Sympathisanten und Mitläufer. 1951 geboren, hat er die DDR-Realität selbst erlebt, einschließlich der Relegation von der Universität aus politischen Gründen, langjähriger wissenschaftlicher Arbeit an der DDR-Akademie und aktiver Teilnahme am Umsturz von 1989/90. Auch in seinem neuen Buch, einer eindringlich aus Originalquellen erarbeiteten Geschichte des Lebens in der DDR während der 1960er Jahre, dominiert die kritische Rekonstruktion der Gängelung, Kontrolle und Unterdrückung der Menschen durch den Staat, die Partei und ihre Organe, aber auch durch die FDJ und andere gesellschaftliche Kollektive.
Eindrucksvoll werden zwei Hauptstationen kommunistischer Unterdrückungsgeschichte geschildert, die kurzfristig zur Stabilisierung, langfristig aber zur Erosion dieser Diktatur beitrugen: der Mauerbau am 13. August 1961 und die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ seit dem 21. August 1968 mit Waffengewalt. Dabei rückt Wolle weniger die politischen Hintergründe als vielmehr zentrale Entscheidungen der Hauptverantwortlichen und vor allem die Art und Weise ins Bild, in der die Zeitgenossen als Betroffene, als Opfer, Beobachter und Nutznießer diese politischen Eingriffe erlebten und kommentierten.
Der Autor stützt sich auf die Akten der Regierungsorgane in den Archiven, wertet Zeitungen und Rundfunksendungen aus und benutzt auch einschlägige Passagen in später veröffentlichten Romanen, Filmen und Reflektionen. Merkwürdigerweise verzichtet er auf die Befragung von Zeitgenossen. Klar wird, wie drängend die durch Abwanderung geprägte Zwangssituation war, in der sich die DDR zur allseits unpopulären Selbst-Einmauerung entschied, wie brutal diese ins Leben der Bevölkerung eingriff und ein wunder Punkt im kollektiven Selbstbewusstsein blieb, obgleich man mit ihr zu leben lernte. Klar wird auch, welch große Hoffnungen auf einen freien „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ die Prager Reformen der späten 60er Jahre auch in der DDR weckten, vor allem bei vielen Jungen, und wie man mit tiefer Enttäuschung, aber auch weithin mit Gleichgültigkeit reagierte, als der Aufbruch niedergewalzt wurde.
Aber das Besondere besteht darin, dass Wolle versucht, die Unterdrückungsgeschichte der DDR mit der Geschichte der DDR als eines scheiternden utopischen Experiments zu verknüpfen, im Bewusstsein der Gefahren, der Vergeblichkeit, aber auch des historischen Sinns von Utopien. Wolle zeigt nicht nur im Einzelnen, dass es in der post-stalinistischen DDR der 60er Jahre ökonomisch kräftig bergauf ging und der Lebensstandard erheblich wuchs, sondern er beobachtet auch einen gleichzeitigen geistig-politischen Aufbruch mit vielen Diskussionen, Reformversuchen und einer Lebendigkeit, von der man in der DDR der 70er und 80er Jahre – „ideenloses Fortwursteln angesichts der herannahenden Katastrophe" – nur noch träumen konnte. Ulbricht erscheint als Reformfreund.
Wolle nimmt die utopischen Elemente in der Ideologie der frühen DDR ernst. „Optimismus, Zukunftsfähigkeit, Wissenschafts- und Technikeuphorie, den Kult der Jugendlichkeit und der Schönheit, den Glauben an den Sozialismus und die Arbeiterklasse“ – das nennt er als ihre Ingredienzien. Die verästelten Auswirkungen dieses utopischen Schwungs findet Wolle im modernistischen Städtebau mit den Fassadendekors jener Jahre, in einer neuen Fortschrittsikonographie – Reagenzglas und Destillierkolben im Chemielabor statt wogender Kornfelder und rauchender Fabrikschlote –, in der Hinwendung zur Kybernetik und technisch-wissenschaftlichen Revolution, in Ulbrichts Idee einer „sozialistischen Menschengemeinschaft“, auch in Ansätzen zur Wirtschaftsreform und zum Aufbau einer mikroelektronischen Industrie.
Das sei zwar Teil einer internationalen Modernisierungswelle gewesen, aber mit besonderer Gewaltsamkeit – der Abbruch der Leipziger Universitätskirche 1968 ist ein Beispiel – und mit besonderem Resultat: Das allermeiste scheiterte, wie Wolle zeigt, an der Enge der DDR-Verhältnisse, der fehlenden Freiheit und am Machterhaltungsanspruch des Funktionärsapparats in Partei und Staat. Aber mit diesem utopischen Gehalt der Kultur der DDR hing deren Anerkennung bei vielen, besonders bei Künstlern und Intellektuellen, zusammen, die trotz bedrückender Schikanen und demütigender Kontrollen von der zwar „brutal materialistischen und bis zum Zynismus pragmatischen, doch gleichzeitig tief vergeistigten“ kommunistischen Herrschaft ernst genommen, alimentiert und geschätzt wurden, und sei es aus der Hoffnung auf die „Produktivkraft Kunst“. Letztlich seien viele eben davon überzeugt gewesen, trotz allem im „besseren Deutschland“ zu leben, jedenfalls im Vergleich zur damaligen Bundesrepublik, deren personelle Kontinuität zum Hitler-Reich ja ausgeprägt und keinesfalls eine bloße Erfindung der DDR-Propaganda gewesen sei, so sehr diese auch – kontraproduktiv – übertrieb.
Wolle ignoriert die verzweigte Forschungsliteratur zu seinem Thema. Das schwächt seine Argumentation und widerspricht wissenschaftlichen Regeln. Was er schreibt, ist keine Herrschaftsgeschichte der DDR, denn die Institutionen, das Personal und die Entscheidungsprozesse der Politik bleiben schemenhaft im Hintergrund. Das Buch bleibt weit hinter einer umfassenden Alltagsgeschichte zurück, beispielsweise erfährt man nichts von den Arbeitsverhältnissen oder vom ländlichen Leben. Wolle fragt zu wenig nach den tatsächlichen Wirkungen und systematischen Grenzen diktatorischer Herrschaft in der damaligen DDR. Viel zu oft endet seine Argumentation mit der quellennahen Wiedergabe ausführlicher Willensbekundungen aus dem Herrschaftsapparat, ohne dass er dem partiellen Scheitern der geplanten Kontrollen nachgehen würde, so etwa im vergeblichen Kampf des Systems gegen die Ausrichtung der Fernsehantennen nach Westen. Damit überzeichnet er die Repressivität des Systems.
Aber das Buch ist voll von scharfsinnigen Beobachtungen und prägnanten Formulierungen. Es schildert DDR-Realität engagiert, lebendig und facettenreich. An entscheidenden Stellen verbindet es ostdeutsche und westdeutsche Geschichte. Beispielsweise zeigt es, wie die „Neue Ostpolitik“ von Egon Bahr und Willy Brandt langfristig zur Delegitimierung der DDR-Diktatur und letztlich zur Wende von 1989 beitrug. Es zeigt, wie „1968“ in West und Ost zusammenhingen.
Durch die Verknüpfung von Unterdrückung und Utopie hebt es die DDR-Geschichte auf ein Niveau, auf dem sie wieder interessant werden kann. Das Buch ist DDR-Nostalgikern zu empfehlen, zum Abgewöhnen, aber auch jenen, die die DDR auf eine „Fußnote der Geschichte“, eine „sowjetische Satrapie“ oder einen „Unrechtsstaat“ zusammenstauchen wollen. Jedenfalls die frühe DDR war viel mehr.
JÜRGEN KOCKA
STEFAN WOLLE: Aufbruch nach Utopia. Alltag und Herrschaft in der DDR 1961-1971. Links Verlag, Berlin 2011. 320 Seiten, 29.90 Euro.
Der Historiker Jürgen Kocka ist ein Experte der Sozialgeschichte der DDR .
Wolle zeigt, wie die „Neue
Ostpolitik“ von Brandt und Bahr
letztlich zur Wende 1989 führte.
Möglicherweise konnte nur ein österreichischer Zeichner die Abkühlung der westdeutschen Liebe zu den „Brüdern und Schwestern“ im Osten nach 1989 so bissig auf den Punkt bringen. Zeichnung: Haderer
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Stefan Wolle schreibt anschaulich von den überzogenen Versuchen, den besten und modernsten Sozialismus der Welt zu errichten. Überhaupt ist er ein brillanter Erzähler. Das Buch über den Aufbruch nach Utopia ist geschickt komponiert, weder langatmig oder gar dröge. Auch wenn kein grundsätzlich neues Bild der DDR-Gesellschaft gezeichnet wird, gehört die erfrischende Synthese von Herrschafts-, Gesellschafts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte zu den unverzichtbaren Büchern zum Thema. Niels Beintker, Deutschlandfunk / »Andruck«