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Natürlich, daß diese erste Entwickelungen so simpel, zart und wunderbar waren, wie wir sie in allen Hervorbringungen der Natur sehen. Der Keim fällt in die Erde und erstirbt: der Embryon wird im Verborgnen gebildet, wie's kaum die Brille des Philosophen a priori gutheißen würde, und tritt ganz gebildet hervor: die Geschichte der frühesten Entwicklungen des menschlichen Geschlechts, wie sie uns das ältste Buch beschreibt, mag also so kurz und apokryphisch klingen, daß wir vor dem philosophischen Geist unsres Jahrhunderts, der nichts mehr als Wunderbares und Verborgnes hasset, damit zu…mehr

Produktbeschreibung
Natürlich, daß diese erste Entwickelungen so simpel, zart und wunderbar waren, wie wir sie in allen Hervorbringungen der Natur sehen. Der Keim fällt in die Erde und erstirbt: der Embryon wird im Verborgnen gebildet, wie's kaum die Brille des Philosophen a priori gutheißen würde, und tritt ganz gebildet hervor: die Geschichte der frühesten Entwicklungen des menschlichen Geschlechts, wie sie uns das ältste Buch beschreibt, mag also so kurz und apokryphisch klingen, daß wir vor dem philosophischen Geist unsres Jahrhunderts, der nichts mehr als Wunderbares und Verborgnes hasset, damit zu erscheinen erblöden: eben deswegen ist sie wahr. Nur eins also angemerkt. Scheint nicht selbst für das Maulwurfsauge dieses lichtesten Jahrhunderts doch ein längeres Leben, eine stiller und zusammenhangender würkende Natur, kurz eine Heldenzeit des Patriarchenalters dazu zu gehören, die erste Formen des Menschengeschlechts, welche es auch seien, den Stammvätern aller Nachkommenschaft ein- und für die Ewigkeit anzubilden? Wir laufen jetzt nur vorüber und durch die Welt her; Schatten auf Erden! Alles Gute und Böse, was wir mitbringen (und wir bringen wenig mit, weil wir alles hier erst empfangen), haben wir meist auch das Schicksal wieder mitzunehmen: unsre Jahre, Lebensläufe, Vorbilder, Unternehmungen, Eindrücke, die Summe unsrer Hinwürkung auf Erden ist kraftloser Traum einer Nachtwache Geschwätz! Du lässest sie dahinfahren usw. So wie das nun bei dem großen Vorrat von Kräften und Fertigkeiten, den wir entwickelt vor uns Enden, bei dem schnellern Lauf unsrer Säfte und Regungen, Lebensalter und Gedankenplane, wo eins das andre wie eine Wasserblase die andre zu verfolgen und zu zerstören eilt, bei dem so oft mißhelligen Verhältnis zwischen Kraft und Besonnenheit, Fähigkeit und Klugheit, Anlage und gutem Herzen, die ein Jahrhundert des Verfalls immer bezeichnen wie's bei dem allen Absicht und abwägende Weisheit scheint, eine große Masse kindischer Kräfte durch kurze, kraftlose Dauer des Lebensspiels zu mäßigen und zu sichern: gehörte nicht auch allein jenes erste, stille, ewige Baum- und Patriarchenleben dazu, um die Menschheit in ersten Neigungen, Sitten und Einrichtungen zu wurzeln und zu gründen?
Autorenporträt
Johann Gottfried Herder, ab 1802 von Herder (Rufname Gottfried,[1] * 25. August 1744 in Mohrungen, Ostpreußen; ¿ 18. Dezember 1803 in Weimar), war ein deutscher Dichter, Übersetzer, Theologe sowie Geschichts- und Kultur-Philosoph der Weimarer Klassik. Er war einer der einflussreichsten Schriftsteller und Denker deutscher Sprache im Zeitalter der Aufklärung und zählt mit Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller zum klassischen Viergestirn von Weimar.