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Die Beziehung zu dem viel älteren amerikanischen Kultautor Jerome D. Salinger war für die Schriftstellerin Joyce Maynard Anlaß, diesen klugen und ehrlichen autobiographischen Roman zu schreiben. So intensiv die Liebesbeziehung des ungleichen Paares ist, so unvermeidlich ist auch ihr Scheitern. Joyce Maynard unternimmt in ihrem Buch keine Abrechnung, sondern den Versuch, ihre Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu beschreiben.

Produktbeschreibung
Die Beziehung zu dem viel älteren amerikanischen Kultautor Jerome D. Salinger war für die Schriftstellerin Joyce Maynard Anlaß, diesen klugen und ehrlichen autobiographischen Roman zu schreiben. So intensiv die Liebesbeziehung des ungleichen Paares ist, so unvermeidlich ist auch ihr Scheitern. Joyce Maynard unternimmt in ihrem Buch keine Abrechnung, sondern den Versuch, ihre Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu beschreiben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2000

Nur ohne seine Tochter
Margaret Salinger erzählt, worüber der Vater schweigt

NEW YORK, 3. September

Jeden Samstag morgen schlägt ein fliegender Händler seinen Tisch am oberen Broadway auf und verkauft für ein paar Stunden Bücher aus geheimnisvoller Quelle zum halben Preis. Aktuelle Ausstellungskataloge und Bestseller sind dort zu haben und manchmal auch Bücher, die noch gar nicht offiziell erschienen, aber dennoch bereits im Gespräch sind. Thomas Harris' lange erwartete Fortsetzung zum "Schweigen der Lämmer" konnte man dort einst vor der Auslieferung an die Buchhandlungen erstehen, ebenso die letzte Harry-Potter-Folge. Auch Politikerbiographien, die nur für wenige Tage Schlagzeilen machen, liegen hier aus. Am vergangenen Wochenende hatte der Händler ein paar Exemplare von "Dream Catcher" mitgebracht, den Erinnerungen der Tochter von J. D. Salinger. Das Buch erscheint zwar erst am nächsten Mittwoch, aber schon zum Ende der vergangenen Woche wurde ihm in den großen Zeitungen des Landes auf vielen Seiten eine Aufmerksamkeit gezollt, wie sie nur wahrhaft großen Büchern oder eben Spekulationsobjekten zukommt. Am nächsten Mittwoch mag "Dream Catcher" bereits vergessen sein.

J. D. Salinger ist inzwischen einundachtzig Jahre alt. Fünfunddreißig Jahre dieses langen Lebens hat er in vollständiger Zurückgezogenheit in einem Nest in New Hampshire verbracht. Was auch immer seine Gründe für seinen frühen Abschied aus der Welt jenseits seines Eigenheims sind, sie wurden nur vorübergehend respektiert. Zu Beginn haben ihm seine Leser nachgestellt. Sie mögen auf neue Geschichten gehofft haben, auf einen neuen Roman möglicherweise, bis nach drei Jahrzehnten des Schweigens wohl auch dem letzten Fan klargeworden war, daß zu Lebzeiten des Autors so einflußreicher Bücher wie des "Fängers im Roggen", der über all die Jahre konzentriert gearbeitet haben soll, mit weiteren Veröffentlichungen nicht zu rechnen sei. Sie ließen von Salinger ab und sind heute vor allem im Internet aktiv.

Dann kamen die Klatschbasen und mit ihnen die Nachrichten aus seinem Privatleben. Obwohl Salinger seinem Biographen Ian Hamilton (In Search of J. D. Salinger, 1988) einst jede Auskunft verweigert und ihm mit Hilfe eines Gerichtsverfahrens verboten hatte, aus seinen unveröffentlichten Briefen zu zitieren, und damit noch einmal seinem dringenden Wunsch Nachdruck verliehen hatte, sein Privatleben für sich zu behalten, machen sich periodisch die Schnüffler ans Werk, aus vermeintlich hohen Bergen schmutziger Wäsche im Haushalt Salinger den einen oder anderen Fund ans Licht zu zerren. Und jedesmal geriet aufs neue in Vergessenheit, daß das, was auch immer dort zutage gefördert wurde, ohne Belang ist, weil es, wenn es um einen Schriftsteller geht, einzig die Bücher sind, die zählen.

Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren erschien in Amerika ein unappetitliches Buch mit dem Titel "At Home in the World". Darin beschreibt die Autorin Joyce Maynard in unwillkommen deftigem Detail ihre Affäre mit J. D. Salinger. Diese lag zwar damals bereits mehr als ein Vierteljahrhundert zurück, doch mangels aktuellerer Ereignisse aus dem Leben des seit 1965 unsichtbaren Schriftstellers stürzten sich Presse und Publikum auf die uncharmanten Enthüllungen wie Ertrinkende in verschlammte Pfützen.

So erfuhren wir also von Salingers Obsession mit Reinheitsgeboten jeder Art. Von seiner verschlingenden Liebe zur Unschuld der Kinder. Von seinem enigmatischen Eßverhalten, das zeitweise anorektische, zeitweise bulimische Züge trug, von seinem Glauben an die heilende Kraft des eigenen Urins. Von seiner Schroffheit, an der Herzen zerbrachen. Kurz, wir fanden bestätigt, was spätestens seit Hamiltons Biographie jedem klar sein mußte, daß nämlich J. D. Salinger der Schönheit einiger seiner Geschichten zum Trotz ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse sei.

Es war kaum vorstellbar, daß Joyce Maynards Buch zu übertreffen wäre. Doch nun sieht sich J. D. Salingers vierundvierzig Jahre alte Tochter Margaret A. Salinger, genannt Peggy, bemüßigt, ihrerseits den Vater öffentlich abzuwatschen und im Gewand einer Autobiographie weitere intime Einzelheiten aus dem Leben des Verstummten preiszugeben. Ihr Buch "Dream Catcher: A Memoir" (Washington Square Press), das die "Washington Post" zwar "in fast jeder Hinsicht unattraktiv und unangenehm" findet, dennoch aber mit Berichten, die fast zwei Seiten füllen, zum Ereignis adelt, breitet auf 436 Seiten ein Leben aus, das so bedürftig ist nach Anerkennung, Vaterliebe und Rache, daß es einen jammern könnte - wenn es nicht bebte vor Selbstmitleid der Oxford- und Harvard-Absolventin, wenn es besser geschrieben wäre, wenn es um etwas anderes ginge als die schamlose Ausbeutung des Namens des Vaters.

Jetzt also wissen wir von der Tochter, die als weitere hautnahe Quelle vor allem ihre längst von Salinger geschiedene Mutter Claire Douglas befragt hat, daß Salinger seine schwangere Frau vor der Öffentlichkeit versteckt und sein Büro und sein Badezimmer vor seiner Tochter verschlossen hielt; daß die Ehe unglücklich war; daß Salinger zu beängstigenden Zornausbrüchen neigt und eine Vorliebe für verschiedene spirituelle und okkulte Bewegungen pflegt; daß er bizarren Gewohnheiten anhängt, in jedem Sinn körperfeindlich ist und auch, daß er bei der Befreiung eines (ungenannten) Konzentrationslagers dabei war.

Salinger ist Halbjude, seine erste Frau, Sylvia, war Mitglied der NSDAP und "haßte Juden ebenso, wie er die Nazis haßte". Dies alles und mehr ist in überflüssigen Fußnoten belegt und addiert sich doch zu nichts weiter als einem endlosen selbstgefälligen Geplapper, das sich nicht scheut, die naivsten Parallelen zwischen dem Leben und Werk des haßgeliebten Vaters zu ziehen. Doch selbst nach diesen letzten Indiskretionen gibt es keinen Fall Salinger. Ein Autor ist verstummt. Das ist sein gutes Recht und schon die ganze Geschichte.

VERENA LUEKEN

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