Produktdetails
  • Verlag: Ammann
  • Seitenzahl: 143
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 212g
  • ISBN-13: 9783250102892
  • Artikelnr.: 24080358
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.1996

Drei Strolche auf Asienreise
Einblick in das feuchte Leben: Friedrich Kröhnke im "Aqualand"

Die Stadt Hat Yai im Süden Thailands hat ungefähr siebzigtausend Einwohner, davon kann man mit Friedrich Kröhnke kennenlernen: den Frieder Hürsch, den Fritz Forke und den Herrn Holz, Dauergäste auf unabsehbare Zeit, Flüchtlinge aus Deutschland, rund sechstausend Meilen von der Heimat entfernt. Fluchtgrund ist, daß sie von einer deutschen Institution nichts Angenehmes zu erwarten haben, die sich für sie im Namen "Leutheusser-Schnarrenberger" kristallisiert, von der Rechtspflege. Die drei nehmen an, daß es kein Auslieferungsabkommen zwischen Deutschland und Thailand gibt.

In deren Visier kamen sie allerdings aus durchaus unterschiedlichen Gründen. Herr Hürsch sagt: "Eines Tages habe ich zu leben begonnen. Man braucht dazu ein Handtuch, Shampoo und ein Markstück für den Spind." Und Frieder Hürsch hat ausgiebig gelebt, erst in den Schwimmbädern seiner Heimatstadt Berlin, dann denen Mitteleuropas. In Bademeisterkreisen wurde er ob seiner Haarfarbe als "der Fuchsige" bekannt und als einer von denen, die praktisch nie schwimmen, sondern sich Stunde um Stunde in den Umkleideräumen, Duschen und Toiletten aufhalten. Beim Schwimmbadpersonal werden solche Herren als "Sittenstrolche" gehandelt, in Polizeiakten tauchen sie als "Gliedvorzeiger (GVZ)" auf. Frieder Hürsch ist beides, und richtig eng wird es für ihn, als Bademeister Laubsack vom Bismarckbad in Hamburg, ein Fahnder eher aus Pflichtbewußtsein denn aus Neigung oder Eifer, ihn in flagranti auf der Toilette erwischt, mit einem Minderjährigen.

Herr Holz hingegen, der Ostdeutsche im Trio und von der Ausbildung "Sprachmittler für Arabisch", war im Auftrag von Erich Mielkes Firma damit beschäftigt, der marxistischen südjemenitischen Regierung beizubringen, wie man einen funktionierenden Staatssicherheitsdienst betreibt. Die ehemalige Dienstbezeichnung ist OibE, Offizier im besonderen Einsatz, Holz erwartet für seine Arbeit keinen Beifall von Frau Leutheusser-Schnarrenberger und beweist sein Organisationstalent jetzt lieber durch die Eröffnung eines Eheanbahnungsinstituts in Hat Yai, das Thailänderinnen nach Europa vermittelt und potentielle Freier für sie unter anderem nach der von ihnen bevorzugten Thai-Suppe fragt.

Der Pfarrerssohn Fritz Forke nun hatte auf Lehrer studiert, gibt dann aber in reinstem Selbstverwirklicherdeutsch zu Protokoll: "Meine Asienreise nach dem Studium offenbarte mir den Wunsch, in den Tag zu leben." Die Wunschverwirklichung geschieht dann mittels fortgesetztem und fast rituellem Ladendiebstahl, mit dem Erfolg, daß Fritz bei Kaufhausdetektiven bald ebenso gern gesehen wird wie Hürsch bei Bademeistern.

Und so leben sie nun in Thailand, durchaus den dortigen Gesetzen folgend, wenn man von einer kleinen Korruption für die Genehmigung zum Betreiben des Eheanbahnungsinstituts absieht, und selbst Sittenstrolch Hürsch macht von den einschlägigen asiatischen Dumpingangeboten in diesem Bereich keinerlei Gebrauch und bemerkt zu seinen neuen Geschäftspartnern in bezug auf die Freuden seiner alten Passion eher resigniert: "Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen." Drei deutsche Männer zwischen fünfunddreißig und fünfzig in Hat Yai, eine Formation zwischen den Bremer Stadtmusikanten und den "Dreien von der Tankstelle", und Kröhnke erzählt den Weg dorthin aus ständig wechselnden Perspektiven einigermaßen verschachtelt, aber so, daß man ihm willig und gespannt folgt, seine Figuren werden plastisch, die Sprache ist präzise, und von einem Werk, das bei seinen 144 Seiten im Untertitel "Ein kleiner Roman" heißt, kann man sich sowieso korrekt bedient fühlen.

Bleibt das Problem, was "Aqualand" bei denen bewirkt, die Schwimmbäder bislang arglos aufsuchten, um sich im Wasser zu tummeln, nun aber erfahren, daß sie rund ums Becken von Gestalten wie Hürsch, aber auch dem Studenten, der WC'schen, dem Belgier oder der Puckel-Else umgeben sind, Badbenutzern, die lediglich auf die unbekleideten Momente lauern und die die Löcher in die Toilettenwände entweder selbst bohren oder doch aktiv nutzen. Die Einblicke in dieses feuchte Leben sind jedenfalls so hautnah und vielfältig, daß die Plansch-Orte leicht ihre allein sportive, reinigungsaktive und gesundheitsfördernde Aura verlieren mögen; über diesbezügliche Nebenwirkungen der Lektüre befrage man deshalb seinen Bademeister oder Analytiker. Das ändert aber überhaupt nichts daran, daß "Aqualand" einfach ein schönes Buch ist. BURKHARD SCHERER

Friedrich Kröhnke: "Aqualand". Ein kleiner Roman. Ammann Verlag, Zürich 1996. 144 S., geb., 29,80 DM.

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