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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2012

Das Leben in Schönheit
André Bretons "Anthologie des schwarzen Humors"

Lachen kann man aus Freude, aus Höflichkeit, aus Erleichterung und Genugtuung und manchmal aus Angst. Ist Letzteres der Fall, geht das Lachen mit einem Gruseln einher oder, wenn es hart kommt, mit Verzweiflung. So wie bei jenem zum Tode verurteilten Mann, der Sigmund Freuds Interesse auf sich zog, weil er den Tag seiner Hinrichtung mit dem Satz begann: "Na, diese Woche fängt es gut an." Freud sah in diesem Ausdruck ein Beispiel dafür, wie die Lust über die Wirklichkeit obsiegt, weil "das Ich (es) verweigert, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen".

Kein Wunder also, dass sich ein Surrealist wie André Breton für diese Form des Humors - er war es, der ihn später den "schwarzen Humor" taufte - begeistern konnte. In der von ihm 1940 erstmals veröffentlichten, vom Vichy-Regime verbotenen und schließlich mit Kriegsende publizierten "Anthologie des schwarzen Humors" hat Breton all jene literarischen Größen und Nebengrößen versammelt, die er für abgründig genug hielt, für den humour noir zu bürgen: von Swift und de Sade über Jarry, Apollinaire, Nietzsche und Lichtenberg bis zu Kafka und Dalí hat er Texte von fünfundvierzig Künstlern versammelt, die nicht landläufig komisch, sondern oft (wie das französische humour nahelegt) Ausdruck einer Stimmung und Laune sind, der etwas (Selbst-)zerstörerisches und provokatives, zuweilen bestialisch Grausames anhaftet. In Charles Baudelaires Geschichte "Der schlechte Glaser" beschimpft etwa der Protagonist "aus einer Laune heraus, weil er nichts zu tun hat" einen Glaser, der keine farbigen Scheiben verkauft ("durch die man das Leben in Schönheit sehen kann") und schließlich zerstört er seine Ware: "Und trunken vor Freude über meine Tat schrie ich ihm nach: ,Das Leben in Schönheit!' Das Leben in Schönheit!" In Deutschland ist Bretons Anthologie 1971 erschienen, jetzt gibt der Verlag Rogner & Bernhard sie neu heraus. Und wer sie liest, glaubt bei einer Familienfeier zu sein: Man trifft halb fremde, halb vertraute Menschen wieder und stellt fest, dass sie zwar alt geworden, aber immer noch die sind, die sie einmal waren.

LENA BOPP

André Breton: "Anthologie des schwarzen Humors". Aus dem Englischen und Französischen übersetzt von Rudolf Wittkopf u.a. Rogner & Bernhard, Berlin 2011. 555 S., br., 12,95 [Euro].

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