Produktdetails
  • Verlag: Olzog
  • ISBN-13: 9783789280382
  • ISBN-10: 3789280380
  • Artikelnr.: 24079321
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2000

Politisches Pubertätsproblem gegenüber Hausvater Kohl
Die erste Biographie über Angela Merkel: Auftragsarbeit als Salve der Parteichefin zum Bücherkrieg der älteren CDU-Heerführer

Wolfgang Stock: Angela Merkel. Eine politische Biographie. Günter Olzog Verlag, Landsberg 2000. 208 Seiten, 36,- Mark.

"Politische Biographie" ist ein viel zu großes Wort für einen Bericht über eine 46 Jahre alte Frau, die mitten im Leben steht und auch erst am Anfang ihrer eigentlichen Bewährungsprobe. Doch der Biograph, einfacher: der Autor Wolfgang Stock ist Redakteur des Magazins "Focus" - unter Journalisten gehört schon mal das große Wort zum Geschäft. Die Berufssparte hat denn auch den Aufbau des Buches geprägt; es enthält keine durchgeschriebene Geschichte eines Lebens, sondern besteht aus einem Schnelldurchgang durch die ersten dreieinhalb Lebensjahrzehnte, aus einer Beschreibung der ersten bedeutenden Funktionen - immerhin stellvertretende Regierungssprecherin in der Spätzeit der DDR und dann Bundesministerin in zwei Kabinetten Kohl -, aus Interviews mit der Namensgeberin sowie mit deren Entdecker und Förderer und nicht zuletzt, sondern vor allem aus einer Darstellung der großen CDU-Krise, der Feuertaufe der Heldin.

Trotz der Vielfalt der journalistischen Stile enthält der Band schließlich doch keine (distanzierte) journalistische Beobachtung, sondern eine im gegenseitigen Einverständnis entstandene, nicht so benannte Auftragsarbeit: "Mehr als zwanzig Stunden lang" hat die Hauptperson dem Verfasser "für lange Gespräche und Interviews" zur Verfügung gestanden. Beide wußten, um was es bei diesem Buch geht: zum Bücherkrieg der älteren CDU-Heerführer zeitgerecht eine eigene Salve beizusteuern.

Austern im Kempinski

Nun denn, nehmen wir Angela Merkel so, wie sie vorgestellt wird. Neu sind einige Einzelheiten aus dem Leben der ostdeutschen Pfarrerstochter mit dem westdeutschen Geburtsort am Anfang des Buches - und das Interview zum christlichen Menschenbild der CDU auf den hinteren Seiten. Aus beiden Stücken ergibt sich das Bild einer ernsthaften, sympathischen Person, die statt der ewigen Anpassung die Eigenständigkeit sucht. Als Kind strebt sie nicht danach, nur nicht aufzufallen oder sich außerhalb der Familie und des Freundeskreises "beliebt" zu machen. Mehr die Mutter als der Vater scheint ihr die Hoffnung auf die Endlichkeit der kommunistischen Verhältnisse in jenem Staat anerzogen zu haben, der widerwärtig und widersinnig zugleich war. "Wenn die Mauer weg ist, gehen wir alle ins Kempinski Austern essen." Wo dieser Satz nach dem Mauerbau 1961 zum geflügelten Wort am Familientisch wird, haben Ulbricht und Honecker, die SED und die Stasi schon verloren, gleich, wie lange sie noch durchhalten. Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte Angela Merkel im Alter von 46 Jahren auch als DDR-Bürgerin wohl dieselbe Grundüberzeugung wie nun die gleichaltrige gesamtdeutsche CDU-Vorsitzende. Verbiegen lassen wollte sich die junge Angela nicht, verbogen hat sich die erwachsene Frau Merkel auch nicht, nur waren halt die späteren Umstände unermeßlich besser als die früheren.

Dazwischen waren eine Art Mutprobe - 1984 trampte Angela Merkel mit zwei Freunden drei Wochen lang illegal durch die südliche Sowjetunion - und der West-Berlin-Besuch in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989. Mindestens ebenso prägend war Helmut Kohls Satz beim Honecker-Besuch, die Deutschen wollten zueinander kommen können, weil sie zusammengehören - während SPD und SED etwa zur selben Zeit einen Abschied von der gemeinsamen deutschen Staatsbürgerschaft erörterten.

Die unterschiedlichen, unvereinbaren Positionen der westlichen Volksparteien haben Angela Merkel auf die damals noch westdeutsche CDU und Kohl festgelegt, und damit hätte es auch sein Bewenden gehabt, wenn sie nicht 1991 die bis dahin jüngste Bundesministerin und wenig später die damals alleinige Stellvertretende CDU-Vorsitzende geworden wäre. Aber Kohl hat Angela Merkel für die Bundespolitik entdeckt und damit die Richtung ihres Lebensweges bestimmt (kein Wort im Buch wägt, wie Kohl heute seine Entdeckung insgeheim wohl beurteilt).

Was mußte es für diese Frau bedeuten, kurz vor Weihnachten 1999 unter ihrem Namen in dieser Zeitung folgende Sätze zu veröffentlichen: "Die Partei muß also laufen lernen, muß sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtroß, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Sie muß sich wie jemand in der Pubertät von zu Hause lösen, eigene Wege gehen und wird trotzdem immer zu dem stehen, der sie ganz nachhaltig geprägt hat - vielleicht später sogar wieder mehr als heute"? Hat Angela Merkel zehn Jahre nach ihrer Geburt als Politikerin ihr eigenes politisches Pubertätsproblem gegenüber dem Hausvater unbewußt der Partei aufgedrängt und damit die laufende Finanz- und Glaubwürdigkeitskrise zu einer rational wenig zu steuernden Psychokrise und zum emanzipatorischen Generationenkonflikt gemacht? Es sieht danach aus, und der vermeintlich versöhnliche Halbsatz am Ende des obigen Zitats, den man als weitsichtigen Hinweis auf den Zustand der Partei ein Jahr später auslegen kann, belegt nur den Grundgedanken: Ist der Hausvater erst verdrängt, dann wird man mit dem Alten im politischen Austrag schon noch gut auskommen.

Einiges von dieser Subjektivität im innerparteilichen Kräftemessen aus Anlaß der Finanzaffäre kommt gerade in Stocks Darstellung zum Tragen. Seine Beschreibung der an der Krisenbewältigung arbeitenden CDU-Generalsekretärin ist nicht allzu detailliert. Eine Offenbarung ihrer Seelenzustände, ihrer Ängste und Ambitionen, ihrer Chancenerkennung und ihres Machtstrebens, ein Psychogramm gar ist das Kapitel gewiß nicht. Stocks gutgläubige Formulierungen führen da eher in die Irre. Um so wichtiger ist die Darstellung des Krisenablaufs, die zwar nicht in Gänze aus den Gesprächen mit Frau Merkel stammen mag, die aber gewiß von ihr akzentuiert und geprägt ist. Und da springt das - neben den von Kohl verschwiegenen Namen - größte Geheimnis des CDU-Finanzskandals geradezu ins Auge: Wann hat Schäuble das Geld von Schreiber bekommen? Und warum ist er mit dieser Wahrheit so unverständlich umgegangen, wie er es bis hin zur Gegenüberstellung mit Frau Baumeister im Untersuchungsausschuß getan hat?

Stock beschreibt - und das kann er nur von Frau Merkel oder ihrem vertrauten Bundesgeschäftsführer Hausmann haben -, wie die CDU-Führung gleich nach Bekanntwerden der Eine-Million-Mark-Übergabe von Schreiber an Kiep verzweifelt die Spur dieses Geldes in den Büchern sucht. "Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann läßt die Unterlagen von 1991 in der Schatzmeisterei des Konrad-Adenauer-Hauses in Bonn heraussuchen und durchsehen - keine Hinweise auf eine Millionenspende . . . Angela Merkel spricht mit dem Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble, Schäuble spricht mit dem Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl, in dessen Amtszeit die Spende erfolgt sein soll - niemand hat eine Erinnerung an eine Million Mark von einem Herrn Schreiber aus Bayern. Merkel ruft auch Kieps Nachfolgerin Brigitte Baumeister an, . . . doch sie versichert der Generalsekretärin, nichts von einer solchen Millionenspende zu wissen."

Bei dieser profunden Suche soll von niemandem erwähnt worden sein, daß man zwar nichts über die Million von Schreiber wisse - aber daß doch von demselben Mann 100 000 Mark dasein müssen, die an Schäuble gegangen sind? Hat Frau Merkel eigentlich seit Anfang/Mitte November von Schäubles Betroffenheit in Sachen Schreiber gewußt - also vor Schäubles Bestreiten im Bundestag am 2. Dezember? Oder warum hat Schäuble, haben Kohl und Frau Baumeister die Generalsekretärin nicht schon anfangs über das eigene Wissen aufgeklärt? Hatte Schäuble schon da kein ausreichendes Vertrauen zu Frau Merkel? Und wie sollte ohne dieses Vertrauen eine abgestimmte Krisenbewältigung stattfinden? Und wie konnte er sich sicher sein, daß die Generalsekretärin nicht binnen Tagen aus anderer Quelle von seiner Schreiber-Spende erfahren würde? Stock stellt diese für die Affäre und für seine Biographie entscheidende Frage nicht und hat daher natürlich auch keine Antwort darauf. Aber das ist die Schlüsselfrage für den Umgang der Parteiführung untereinander und deren Befähigung zur Eindämmung der Krise. Nicht die Wahrheit allein, sondern ihr Herauslassen in Kleinstportionen hat die Affäre zum Riesenereignis gemacht. Wäre Schäuble, als Vorsitzender Herr des innerparteilichen Verfahrens, in die Offensive gegangen, statt seine Schreiber-Spende zu verbergen, wäre der CDU mancher Schub des Schüttelfiebers erspart geblieben.

Suggestion statt Sensation

Stocks wichtigster Schwachpunkt aber ist es, daß er einseitig suggeriert, in München könnte jemand die Absicht gehabt haben, "den potentiellen CDU-Kanzlerkandidaten Volker Rühe und Jürgen Rüttgers zu schaden". Sein Gedankenspiel, bei dem es nicht um die beiden Landtagswahlen an sich, sondern um die Kanzlerkandidatur geht, besagt in Klarschrift, daß die CSU davon ausgegangen sein soll, Schäuble werde ohnehin nicht Kanzlerkandidat, und daß die Münchener Parteiführung den dann denkbaren Rivalen eines auf die Kandidatur versessenen Stoiber das Leben schwermachen wollte. Bevor man Stocks Wegweisung folgt, sollte man sich fragen, was wahrscheinlicher erscheint: daß ein CSU-naher bayerischer Justiz- oder Finanzbeamter auf Geheiß, zumindest im Sinne der CSU-Strategen den für die Union ärgerlich investigativen Journalisten einer linksliberalen Zeitung gegen die CDU munitioniert hat - oder daß beamtete Anhänger einer mit der CDU und CSU rivalisierenden Partei (auch solche soll es im bayerischen Staatsdienst noch geben) sich zu Indiskretionen entschlossen haben? Hätte allerdings Stock einen Beweis für seine Suggestion mitgeliefert, dann wäre sein Buch eine Sensation.

GEORG PAUL HEFTY

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den Untertitel "eine politische Biographie" findet Georg-Paul Hefty denn doch etwas hochtrabend: Denn erstens, so argumentiert er, ist Angela Merkel erst 46 Jahre alt und steht erst vor ihrer größten politischen Herausforderung, und zweitens handelt es sich nach Heftys Darstellung mehr oder weniger um die Auftragsarbeit eines "Focus"-Journalisten und um eine Waffe im "Krieg der Bücher" über die CDU-Parteispendenaffäre. Hefty macht deutlich, dass der Autor dabei zu seinem Gegenstand weder journalistische noch gar wissenschaftliche Distanz wahrt, und dass gerade seine Darstellung der Spendenaffäre mehr oder weniger von Angela Merkel "akzentuiert und geprägt" ist. Das Buch beruht auch im wesentlichen auf Gesprächen mit der Politikerin. So einseitig und parteiisch Hefty aber die Darstellung der jüngsten CDU-Krise findet, so sehr betont er doch auch, dass sich manch neue Informationen über Merkel in den Buch finden. Sie betreffen allerdings mehr ihre Jugendzeit in der DDR und ihre bereits zu dieser Zeit gefestigten demokratischen Überzeugungen.

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