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"Handball ist ein absoluter Mannschaftssport, da gibt's keine Stars. Außer Kretzsche natürlich. Trotzdem wollte er immer Mannschaftsspieler sein." Heiner Brand Offen, selbstkritisch, überraschend: Die Autobiografie von Stefan Kretzschmar gibt Einblicke in sein exzentrisches Leben zwischen Ost und West und erzählt von großen Siegen und kleinen Niederlagen in Sport, Showbiz, Politik und der Liebe. Er sieht aus wie jemand, bei dessen Anblick man lieber die Straßenseite wechselt - sieben Piercings, 18 Tätowierungen, ständig neue Haarfarben und Frisuren: Stefan Kretzschmar, genannt Kretzsche, die…mehr

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Produktbeschreibung
"Handball ist ein absoluter Mannschaftssport, da gibt's keine Stars. Außer Kretzsche natürlich. Trotzdem wollte er immer Mannschaftsspieler sein." Heiner Brand
Offen, selbstkritisch, überraschend: Die Autobiografie von Stefan Kretzschmar gibt Einblicke in sein exzentrisches Leben zwischen Ost und West und erzählt von großen Siegen und kleinen Niederlagen in Sport, Showbiz, Politik und der Liebe.
Er sieht aus wie jemand, bei dessen Anblick man lieber die Straßenseite wechselt - sieben Piercings, 18 Tätowierungen, ständig neue Haarfarben und Frisuren: Stefan Kretzschmar, genannt Kretzsche, die Galionsfigur des deutschen Handballs. Über sein schillerndes Leben weiß man nicht viel. Bis jetzt.
In seiner Autobiografie erzählt Stefan Kretzschmar von seiner Kindheit und Jugend in der DDR, in der er sich"sauwohl"fühlte. Durch seine Eltern mit der Begeisterung für Handball infiziert, wird er nach der Wende zum bekanntesten und besten deutschen Nationalspieler, der den Ost-Vorzeigeclub SC Magdeburg dem ruhmreichen West-Verein VfL Gummersbach vorzieht - um mit seinem Club in den folgenden Jahren die größten Erfolge seiner Karriere zu feiern.
Offen schildert Kretzschmar seine Erfahrungen hinter den Kulissen des Sports, der Showwelt und der Politik. Stefan Kretzschmar wird gerne gehört und auch gerne zitiert, er ist ein politischer Mensch, engagiert sich für caritative Organisationen, und seine Meinung, immer direkt und ungeschminkt, zählt. Für seinen Sport tut das Enfant terrible alles, raucht aber auch gerne mal zwei Schachteln Zigaretten am Tag. Er ist bekennender Familienmensch, aber nur Tage, nachdem seine kubanische Frau die gemeinsame Tochter zur Welt brachte, beginnt er eine Liaison mit einer anderen Frau.
Das Handball-Idol Stefan Kretzschmar provoziert und polarisiert Öffentlichkeit und Sportwelt - bis heute.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2008

Der Handball-Punk als kleines Weichei

Sportlerbiographien sind meist Heldengeschichten - Stefan Kretzschmar macht da eine Ausnahme. Der nach außen so strahlende Star lässt seinen Sport nur die Nebenrolle spielen und zeigt dafür das ganze Leben - und das aus einer Nähe, die schon beim Lesen manchmal weh tut.

Von Frank Heike

Erste Sätze sind entscheidende Sätze. Meter literaturwissenschaftlicher Abschlussarbeiten sind der Bedeutung erster Sätze in den Werken großer und weniger großer Autoren gewidmet. Es gibt auch den Alltagstest: Was auf den riesigen Büchertischen der großen Geschäfte nicht auf Anhieb gefällt, hat keine Chance, gekauft zu werden. In der jungen deutschen Literatur wird man leider das Gefühl nicht los, dass alle Energie in erste Sätze gesteckt wurde - und es danach steil bergab geht. Vielleicht rät die Marketingabteilung: "Denk dir für den Anfang was ganz Wildes aus, die Leute lesen im Laden eh nur die ersten Sätze." Wer überoriginell beginnt, lässt oft stark nach. Zu hohes Anfangstempo. Konnte nicht gehalten werden.

"Den ersten Sex erlebte ich mit neun. Das war ziemlich traumatisch." Ein guter Einstieg? Schon. Vor allem für eine Sportlerautobiographie. Genaugenommen sind die beiden Sätze mit dem Blickfang-Wort nicht die allerersten in Stefan Kretzschmars Buch "Anders als erwartet", sondern die ersten Sätze des zweiten Kapitels mit dem schönen Titel "Mannwerdung". Die echten ersten Sätze sind langweilig. Sie leiten ein erwartbares erstes Kapitel ein. Aber Kretzschmar steigert sich in diesem überraschenden Buch. Er geht nämlich ganz nah ran. Immer näher. Dahin, wo es weh tut. Obwohl er immer auf Linksaußen gespielt hat, wo das Handballspielen am wenigsten schmerzt.

Der erste Sex war nicht der eigene, sondern der Verkehr der Eltern - Geräusche aus dem Wohnzimmer, der kleine Stefan verstört aus dem Bett tapsend und Papa und Mama dann in einer Situation, die kein Kind sehen möchte. Sein Vater sagte: "Du, Stefan, die Mami ist krank, der geht es nicht gut und ich habe versucht, das in Ordnung zu bringen." Witzig, traurig oder einfach hilflos, man kann zu verschiedenen Urteilen gelangen, und das Gute an diesem Buch ist, dass Kretzschmar die Dinge beim Namen nennt: "Seine Eltern beim Sex zu erwischen ist noch schlimmer, als sich seine Eltern beim Sex vorzustellen." Sportlerbiographien sind meist Heldengeschichten. Spiele oder Wettkämpfe werden nacherzählt, die großen Erfolge seitenlang ausgebreitet, und um den Helden ein bisschen Tiefe zu verleihen, behandeln ein oder zwei Kapitel wahlweise die schwierige Kindheit oder eine schlimme Verletzung. Kretzschmar hatte für Handball-Verhältnisse keine schlimme Verletzung. Überhaupt spielt der Sport in seinem Buch keine große Rolle. Der Sieg in der Champions League 2002 mit dem SC Magdeburg wird in ein paar Zeilen abgehandelt. Kretzschmar und sein Biograph Sven Beckedahl, Chefreporter der "Sportbild", haben einen anderen Weg gewählt. Es ist ein körperlicher Weg, ein sinnlicher. Das ist oft ziemlich eklig. Aber es passt zu einem, der großflächig tätowiert und vielerorts durchstochen ist. So etwas macht man ja, um sich selbst zu spüren. Es darf ruhig weh tun. Kretzschmars Antrieb ist der Kampf um Anerkennung - von seiner Mutter, einst beste Handballerin der DDR. Dass der Sohn zum gesamtdeutschen Star wird, während sich für sie niemand mehr interessiert: eine Katastrophe für die Mutter, die sich für den persönlichen Wertverlust am Sohn rächt. Kretzschmar schreibt: "Arschloch war das Wort, das ich am häufigsten von Mutter neben dem Wort Versager zu hören bekam." Der Vater greift nicht ein in das traumatische Mutter-Sohn-Verhältnis. Alles war da in dieser privilegierten Jugend als Sohn zweier Sportstars. Nur die Liebe fehlt. Ein goldener Käfig, in dem es eiskalt zog.

In Kretzschmars Buch wird viel gesoffen und gekotzt. Es werden Körperflüssigkeiten ausgetauscht. Charlotte Roche muss dieses Buch lieben. Auch der erste Orgasmus wird uns nicht vorenthalten. Das Desaster ist voller Selbstironie beschrieben, natürlich aus einer sehr männlichen Perspektive, und stellt den bekanntesten deutschen Handballspieler als eben den unerfahrenen, peinlichen Jüngling dar, der er war. Überhaupt die Ironie. Kretzschmar war ja eine Stilikone des Handballs. Er brach mit allen Regeln, hatte zig verschiedene Meinungen, Frisuren und Outfits. Handball ist ein alter, deutscher, wertkonservativer Sport. Kretzschmar hat viel dafür getan, dass sich junge Menschen für die Ballwerfer interessierten. Im Buch beschaut er seinen Stil von einst schonungslos, macht sich lustig, wie er damals aussah. Mode, Musik, Marken, das war ihm immer mindestens so wichtig wie Handball. Kretzschmar beschreibt sich als schüchtern, sensibel, uncool, infantil, links und sehr peinlich - in der Handballszene wusste man, dass der "Handball-Punk" ein kleines Weichei ist, doch für die Öffentlichkeit war er der geile Kerl, der auf MTV Sendungen moderierte und mit Franziska van Almsick zum deutschen Glamour-Paar aufstieg (ihr Porträt ließ er sich als Tattoo auf die Wade stechen). Stefan Kretzschmar: eine treue Seele mit wenigen Freunden, im Herzen unpolitisch, manchmal dumm, wie im Geschäftsleben, als seine Kneipe "K 73" fast pleiteging, weil er keine Ahnung vom Geschäft hat.

"Niederlagen" heißt das vorletzte Kapitel. Es geht nicht um Niederlagen im Sport. Kretzschmars Eltern waren Sportstars der DDR. Besonders seine Mutter. Nach der Wende gab es keine Verwendung mehr für sie. Sie wurden nicht mehr gebraucht und entsorgt als Repräsentanten eines Sportsystems, das für Doping stand. Die Kretzschmars arbeiteten in einer Berliner Vereinskneipe. Ein unfassbarer Abstieg, auch in den Augen des Sohnes. Für seine Mutter ein Grund, noch bitterer zu werden. Die Basis ihrer Beziehung zum Sohn war nicht Liebe, sondern Konkurrenz. "Ich durfte nicht erfahren, wie es sich anfühlt, bedingungslos von den Eltern geliebt zu werden", schreibt Kretzschmar. Seinen schwachen Vater verehrt er. Der Liebe der Mutter läuft er mit 35 Jahren immer noch hinterher.

Stefan Kretzschmar: Anders als erwartet. Eichborn Verlag, 235 Seiten, 16,95 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.12.2008

Kretzschmars Bekenntnisse
Mutter mit der groben Kelle
Immer wieder ein lustiges Spiel: Nennen Sie fünf Spieler der aktuellen Handball-Nationalmannschaft. Selbst Sportinteressierte haben damit ihre Mühe, weil die Handballer stets als Kollektiv wahrgenommen werden. Wen aber doch die meisten kennen: Stefan Kretzschmar, den Tätowierten, der mal mit Franziska van Almsick liiert war, der oft aussieht, wie mit dem Farbpinsel frisiert, und der zeit seiner Karriere den Beinamen „Handball-Punk” führen musste. Mittlerweile ist Kretzschmar nicht mehr aktiv, er ist jetzt 35 Jahre alt, Zeit für eine Autobiographie, dachte er sich.
Nun sind Autobiographien von Sportlern oft die bloße Verklärung banaler Lebensläufe zu Heldengeschichten. Umso bemerkenswerter ist Kretzschmars Buch. Es heißt „Anders als erwartet”, er hat es zu Papier gebracht, indem er dem Hamburger Journalistenehepaar Sandra und Sven Beckedahl aus seinem Leben erzählte. Das Bemerkenswerte ist dabei, wie offen, ja bisweilen geradezu übertrieben ehrlich Kretzschmar ist, wie er ein Bild seiner selbst zeichnet, das mit dem öffentlich bekannten wenig zu tun hat. Mitunter liest sich das Buch wie das Ergebnis vieler Therapiesitzungen, in denen jemand mal gründlich aufgeräumt hat in seinem Leben.
Das wirkt bisweilen eher amüsant, wenn Kretzschmar zum Beispiel davon erzählt, wie er seine Eltern als Neunjähriger beim Sex erwischt. Sein Vater tischt ihm eine seltsame Erklärung auf (Mama sei krank, er habe das in Ordnung bringen wollen), und der Junge ist verstört. Er beschließt diese Episode mit der Feststellung: „Seine Eltern beim Sex zu erwischen ist noch schlimmer, als sich seine Eltern beim Sex vorzustellen.” Das wird aber bisweilen auch beklemmend, wenn Kretzschmar vom Verhältnis zu seiner Mutter erzählt. Die kam und kommt nicht damit klar, dass ihr Sohn so sehr im Mittelpunkt stand. Vater Peter war Trainer und Mutter Waltraud Spielerin, als die DDR 1978 Handball-Weltmeister der Frauen wurde. Sie waren einst gefeierte Sportler, deren Ruhm jedoch verblasste. Bei der WM 2003, als die deutsche Männermannschaft auf dem Weg ins Finale war, hatte Kretzschmar immer wieder die Frage gehört, ob seine Mutter ihm nicht Tipps geben könne, wie man Weltmeister wird. Sie gebe es ihm stets „mit der groben Kelle”, hat er damals gesagt, und nun wird klar, was er damit gemeint hat. Er schreibt: „Denn egal wie oft ich das Wort Arschloch bereits aus ihrem Mund in meine Richtung gehört habe, beim 589. Mal tut es immer noch weh.” Intensiv schildert Kretzschmar die Geschichte eines Jungen und später jungen Mannes, der sich die Anerkennung seiner Mutter wünscht, die ihm diese verweigert. „Selbst wenn 80 Millionen Deutsche vor mir den Hut gezogen hätten – eine Person wäre nicht darunter gewesen. (...) Ich hatte immer den Eindruck, dass Mutter die Anerkennung und Sympathie, die mir von anderen zuteil wurde, ein Dorn im Auge war.”
So offen und persönlich geht es oft zu im Buch. Über Politik lässt er sich ebenso aus wie über Doping, oft widerspricht er sich dabei. Doping zum Beispiel lehnt er ab, hält es aber im Sport insgesamt (aber nicht im Handball) für verbreitet, weshalb er die Freigabe fordert, weil dann keiner mehr betrügen könne. Das ist nicht zu Ende gedacht, das ist Blödsinn.
Über Sport schreibt Kretzschmar wenig, er erzählt tatsächlich in der Hauptsache vom Menschen Kretzschmar, von seinem Fühlen und Denken. So ist eine Autobiographie entstanden, die ebenso ungewöhnlich ist wie Stefan Kretzschmars öffentliche Auftritte als erster großer Individualist des Mannschaftssports Handball. Christian Zaschke
Stefan Kretzschmar: „Anders als erwartet”. Eichborn, 235 Seiten, 16,95 Euro.
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