Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 12,00 €
  • Gebundenes Buch

Roberto Bolano erzählt die dramatische Geschichte aus Mexikos Hauptstadt im Jahr 1968, in der die Gespenster der Vergangenheit und der Zukunft vorüberziehen - und die Schatten jener Tragödie, der Mexikos Studenten zum Opfer fielen. Zwei Wochen aus dem Leben von Auxilio Lacouture, einer verrückten Frau mit großem Herzen, in dem alle Dichter Lateinamerikas ihren Platz finden.

Produktbeschreibung
Roberto Bolano erzählt die dramatische Geschichte aus Mexikos Hauptstadt im Jahr 1968, in der die Gespenster der Vergangenheit und der Zukunft vorüberziehen - und die Schatten jener Tragödie, der Mexikos Studenten zum Opfer fielen. Zwei Wochen aus dem Leben von Auxilio Lacouture, einer verrückten Frau mit großem Herzen, in dem alle Dichter Lateinamerikas ihren Platz finden.
Autorenporträt
Roberto Bolano wurde 1953 in Santiago de Chile geboren. Mit 13 zog die Familie nach Mexiko City, wo er das Leben eines wilden Poeten führte. 1973 kehrte nach einer langen Busreise nach Chile zurück, um Allende zu unterstützen, geriet ins Gefängnis und kam erst nach Monaten nach Mexiko zurück. Später beginnt er in Spanien mit dem Schreiben von Romanen, um seine Familie durchzubringen. 2003 starb er, als er auf eine Lebertransplantation wartete und gerade an seinem Meisterwerk 2666 arbeitete.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2002

Plopp
Roberto Bolaño besingt die Mutter der Poesie
Die „Mutter aller Poeten” nimmt kein Blatt vor den Mund. Ihre Rede ist launig, schrill und schmerzerfüllt. Unterbrochen wird ihr 180- Seiten-Monolog nur von der gelegentlichen Anrede der Freunde als „Ihr Lieben”, aber das heißt so viel wie: Macht Euch auf etwas gefasst! Denn hier spricht eine, die nicht vergessen kann. Die Ich-Erzählerin und Heldin des Romans mit dem Titel „Amuleto” kündigt gleich im ersten Satz „eine echte Horrorgeschichte” an. Sie klänge jedoch ganz anders, weil „ich es bin, die spricht”. Ein bisschen verrückt ist sie schon, diese „Mutter der mexikanischen Poesie”, und gefährdet ist sie auch, aber sie hält durch und bleibt guter Dinge, auch wenn ihr immerfort die Tränen kommen.
Sie, das ist Auxilio – auch „Socorro, Amparo, Caridad, Remedios” gerufen und mit christlichen Synonymen des Beistands bedacht –, ein ruheloser, zerzauster Wirbelwind, der tagsüber die Straßen von Mexikos Hauptstadt durchstreift und des nachts seine Schwingen ausbreitet, um als Luftgeist durch die Papierblumen der Poesie zu wehen. Diese schräge Figur ist eine versehrte, eine beschädigte Mnemosyne. Von einem ihrer Schützlinge „die weibliche Ausgabe von Don Quixote” genannt, schleppt sie ihr Hab und Gut in einem Umhängebeutel mit sich herum. Den hat sie auf einer ihrer Busreisen über den weiten Kontinent auf einem Indianermarkt erstanden: Darin sind Zigaretten und Zeitungen, Bleistift und Papier, ein Band mit Gedichten, Unterwäsche zum Wechseln und ein kleiner „Glücksdolch”, der bei Bedarf, vor lauter Suchen und Kramen unter den Utensilien, unauffindbar ist.
Macho-Desperados
Auxilio Lacourture, diese wissende und gar nicht einfältige Nachfahrin des Simplizissimus, „Bürgerin Uruguays, Lateinamerikanerin, Dichterin und Reisende”, hat auf einem Altar, auf dem noch immer Menschen geopfert werden, zwar ihre Zähne, nicht aber ihre Sprache verloren: Die „Horrorgeschichte”, die sie zu erzählen hat, ist die Geschichte selbst – jene mit dem großen G, der sich hier auch die Form des Erzählens verweigert. Die vorgetäuschte Handlung, die noch der Klappentext des Romans für bare Münze nimmt, macht sich an einem blutigen Geschehen des Jahres 1968 fest – dem Massaker an protestierenden mexikanischen Studenten –, um erst auf den letzten Seiten des Romans zur kontinentalen Allgemeinheit eines „furchtbaren Verbrechens” erklärt zu werden. Dieser Aufschub, der auch sein Pathos bis zuletzt zurückhält, entspricht der subtilen Logik dieses Romans, der den schal gewordenen Avantgardetraum einer Vereinigung von Poesie und Politik durch seine poetische Einlösung desavouiert. Und mit ihm werden auch die Omnipotenzträume der „kleinen Macho-Desperados” mit Dichterdiplom und Ordensschleife verabschiedet.
Roberto Bolaño, ein gebürtiger und nach dem Putsch vom 11. September 1973 exilierter Chilene, hat sich mit der fiktiven Monographie „Die Naziliteratur in Amerika” (1998) und den Romanen „Stern in der Ferne” (1999) und „Die wilden Detektive” (2002) auch in Deutschland einen Namen als Autor von borgeskem Zuschnitt gemacht. Mit ihm kommt ein neuer Ton in die hispanoamerikanische Literatur, der es bitter ernst mit seiner Ironie meint und doch den Humor und die Lust an den Spielen der Poesie nicht verliert. Keine Inhaltsangabe kann der Dichte und den Fallstricken des hier Erzählten genügen. Dieser kleine Roman funkelt wie ein Amulett und liest sich wie die erweiterte Prosafassung eines Gedichts von Jorge Luis Borges: Es hieß „Talismane” und versammelte einen ganzen Katalog von Glücksbringern: Viele Bücher, insbesondere Werke der Poesie waren darunter, aber auch Die Erinnerung an einen Morgen und Die Liebe oder das Gespräch einiger weniger sowie gewöhnliche Dinge zuhauf, darunter Ein Stock mit gebogenem Griff, der durch Amerikas Ebenen, durch Kolumbien und Texas gewandert ist. Aber – so schloss Borges – gegen den Schatten, den ich nicht nennen kann, den Schatten, den ich nicht nennen darf, seien die Talismane nutzlos.
Bolaño geht diesem Schatten auf den Grund und heißt ihn „das Tal des Todes”, wohin die Kinder Lateinamerikas, „Schulter an Schulter” und Lieder auf den Lippen, hineinmarschierten: „denn der Tod ist Stab und Stecken Lateinamerikas”, ohne ihn könne der Kontinent nicht wandeln. Dem fatalen Befund stellt Bolaño ein unerhörtes poetisches Remedium gegenüber: An runden Objekten – Schildern, Vasen, Urnen und Brunnen – hat die Dichtung seit alters her gar keinen Mangel, und die Orte der Literatur runden sich stets zum Stillstand der Zeit, die auf das vom Text eingenommene Terrain zusammenschrumpft. Allein eine Kloschüssel als lieu de mémoire, als Musenthron, als „Glücksbringer”, als „Schiff in der Zeit” hat man noch nicht gesehen: Während marodierendes und prügelndes Militär die Universität besetzt, gerät ein Damenklo im vierten Stock der Fakultät für Philosophie und Literatur zur sicheren Insel, zum Ort einer „mexikanischen Epiphanie”, zum „Duineser Schloss” des Erzählens. Im Flug durch die Zeit, schaut Auxilio auf ihrem Beobachtungsposten zu, wie Mexikos Mond über die weißen Bodenfliesen wandert. Waren es Tage oder Wochen, Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte, die sie dort verbrachte? Längst weiß sie es selbst nicht mehr.
VOLKER BREIDECKER
ROBERTO BOLAÑO: Amuleto. Roman. Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg. Verlag Antje Kunstmann, München 2002. 170 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2003

Ein bißchen Staub muß sein
Hauptsache, originell: Roberto Bolaño gehen die Ideen nicht aus

Vor einigen Jahren überraschte Roberto Bolaño seine Leser mit einer Geschichte der nationalsozialistischen Literatur in Amerika. Er berichtete darin zunächst in der Art eines literaturwissenschaftlichen Handbuchs über die der NS-Ideologie verbundenen Autoren in mehreren Ländern des amerikanischen Kontinentes und über deren Werke. Doch dann geht das Buch über in eine spannende Geschichte über den chilenischen Nazi-Dichter Ramírez Hoffmann. Dieser ist ebenso fiktiv wie die angeblich sogar von Adolf Hitler empfangene argentinische Lyrikerin Edelmira Thompson de Mendiluce und andere, arischem Rassedenken und dem diktatorischen Führerprinzip verpflichtete Dichter und Denker beiderseits des Río Grande, die Bolaño auftreten läßt. Die Nazi-Literaten, eher skurrile Figuren als grausame Gewaltmenschen, hat er präzise in die Literatur und Geistesgeschichte ihrer jeweiligen Heimatländer eingeordnet, so daß der Leser sie gern für real existierende Schriftsteller hielte und mehr über sie lesen möchte.

Eine gänzlich erfundene Figur ist auch die Heldin von Bolaños nun auf deutsch erschienenem Roman "Amuleto". Die selbstlose, liebenswerte Uruguayerin Auxilio Lacouture hält sich zeitweise für die Mutter der mexikanischen Poesie, war aber wohl eher die mütterliche Betreuerin zahlreicher junger mexikanischer Poeten. Auxilio macht sich eines Tages von Montevideo auf den Weg in die große Stadt Mexiko und klopft dort an die Tür des durchaus realen und bedeutenden spanischen Lyrikers León Felipe. Sie bietet sich an, die Wohnung des Dichters zu kehren und seine Bücher zu ordnen, was dieser, ebenso wie der ebenfalls vom Diktator Franco ins Exil getriebene avantgardistische Lyriker Pedro Garfías, gern annimmt, wenngleich beide die eifrige und dienstbereite Auxilio manchmal ermahnen müssen, nicht allen Staub wegzuwischen: denn "Literatur und Staub", so sagen sie, "gehören nun einmal zusammen". Der erste Teil von "Amuleto" wird vor allem die Literaturkenner unter den Lesern amüsieren. Zahlreiche Autoren aus Mexiko, Spanien, den Ländern Süd- und Mittelamerikas, aber auch aus anderen Teilen der Welt erscheinen im Mittelpunkt oder auch nur am Rande der häufig skurrilen Ereignisse. Wer nicht alle erwähnten Schriftsteller und Künstler kennt oder zeitgeschichtliche Anspielungen nicht versteht, erhält in dem ausgedehnten Glossar des Übersetzers Heinrich von Berenberg korrekte und genaue Auskünfte: Bonus der deutschen Ausgabe, denn die Leser des spanischen Originals müssen auf ein solches Glossar verzichten.

Bolaño liebt die knappen Anspielungen, die Sprünge zwischen den Erzählzeiten, das stete Nebeneinander von erfundenen und historischen Personen. In dem jungen chilenischen Dichter Arturo Belano hat sich Roberto Bolaño ein Alter ego geschaffen, das in fast all seinen Werken erscheint, in "Amuleto" wie auch in dem vor gut einem Jahr auf spanisch veröffentlichten Erzählungsband "Putas asesinas" (Mörderhuren). In dem umfangreichen, mit dem wichtigen Rómulo-Gallegos-Preis in Caracas ausgezeichneten Roman "Die wilden Detektive" ist Arturo Belano eine der Hauptfiguren. In den letzten Kapiteln von "Amuleto" jedoch scheint Roberto Bolaño die Einfallskraft oder die Lust ausgegangen zu sein. Etwas träge kämpft er sich durch die Träume und Halluzinationen seiner Protagonistin Auxilio, bis der kleine Roman schließlich seine hundertsechzig Seiten erreicht.

Die Spielereien mit den Namen von hundert Schriftstellern und dem zukünftigen Schicksal ihrer Werke im achten Kapitel mögen für die Protagonistin ein vergnüglicher Zeitvertreib gewesen sein, als sie fast zwei Wochen auf der Damentoilette der Autonomen Universität von Mexiko eingeschlossen war, für die nicht eingeschlossenen Leser sind sie eher ein Zeitverlust. Über den literarischen Wert von Bolaños Werken werden sich denn auch die Kritiker nicht einig. Darüber wird sich der Schriftsteller, der seit vielen Jahren zurückgezogen in einem kleinen Ort an der spanischen Costa Brava lebt, freuen. Über den Literaturbetrieb hat er viel Satirisches geschrieben, erfüllt aber brav die Pflichten zu öffentlichen Auftritten, die ihm sein Verlag auferlegt. Bolaño ist mit Borges verglichen worden, weil der chilenische Schriftsteller seine Leser ständig durch Einfallsreichtum und sprachlichen Witz überrascht. Hin und wieder rutscht er mit seinem unbedingten Drang zur Originalität allerdings auch ins Banale ab. Dennoch erreichen Bolaños Sätze manchmal die Zielsicherheit von Aphorismen. In Struktur und Aufbau seiner Erzählungen und Romane experimentiert er gern, weniger aber mit der Sprache.

Roberto Bolaños Werk sei "womöglich das Kühnste, was die Literatur spanischer Sprache heute zu bieten hat", schrieb kürzlich ein deutscher Journalist, der diese, Bolaños Muttersprache, selbst allerdings wohl nicht lesen kann. Mit solchen Übertreibungen tut man dem chilenischen Schriftsteller keinen Gefallen. Denn nicht die Kühnheit der Sprache oder der Themen ist Bolaños Stärke, vielmehr sind es der Einfallsreichtum, die ironische Weisheit und das wie selbstverständlich anmutende Nebeneinander ganz unterschiedlicher Welten, die den Reiz von "Amuleto" und seiner anderen Bücher ausmachen.

WALTER HAUBRICH

Roberto Bolaño: "Amuleto". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Heinrich von Berenberg. Verlag Antje Kunstmann, München 2002. 170 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Das Versprechen im Klappentext", nämlich dass es hier um "Hergang und Folgen" des Massakers 1968 an der Universität von Mexiko gehe, schreibt Uwe Stolzmann, "wird nicht eingelöst". Das findet er, wie man vermuten muss, auch nicht weiter schlimm, denn eine "erzählte oder nacherzählte Story" würde er von diesem Autor auch nicht erwarten. Schlimmer ist ihm, dass der "Meister des Ironischen" in so vielen Passagen "von seiner Kunst" nichts spüren lässt. Zu sehr ist ihm die Protagonistin, eine während des Massakers in der Frauentoilette eingeschlossene Frau, in ihrem den Roman konstituierenden Monolog, darauf aus, "Wahres und Weises" zu verkünden, zu sehr "beginnt ihr Monolog zu mäandern", findet Stolzmann. "Neben vielen Glanzpunkten" hat der Rezensent auch viele "auffällige Schwachstellen" gefunden. Das Anliegen des Buches, das ein "Mahnmal" für die jungen ermordeten Poeten aus Bolanos Generation sein will, ist ihm natürlich sympathisch; aber dieser Roman ist mehr ein "Wegweiser in eine abgeschlossene Innenwelt", schreibt Stolzmann, als etwa "der große Roman über das große Geheimnis Lateinamerikas", das der Rezensent ausmacht als "den Hang der Latinos zu Gewalt und Unterwerfung".

© Perlentaucher Medien GmbH