Der 1958 in Mannheim geborene Horst Hamann hat als Fotograf mehr als siebzig Länder bereist, darunter immer wieder die Vereinigten Staaten, die für viele Jahre seine zweite Heimat wurden. New York, das eine nachhaltige Faszination auf ihn ausübt, besuchte Hamann erstmals 1979. Zwischen 1991 und 1996 entstand in fünfjähriger Arbeit dann der Klassiker New York Vertical, ein Buch, das durch die Idee, eine Panoramakamera um 90° zu drehen und damit hochformatige Panoramaaufnahmen der Weltmetropole abzulichten, den internationalen Durchbruch ermöglichte und zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen mit sich brachte. Doch Hamann richtete seinen Blick nicht nur auf die Weltmetropole. Die nun vorliegende Veröffentlichung des Projekts America ist die Dokumentation einer seit 30 Jahren währenden fotografischen Auseinandersetzung, die in den frühen 80er Jahren begann und bis heute anhält. In seiner Arbeit geht es Hamann um das, was das Land und seine Kultur auszeichnet, sie lässt sich ebenso von der Weite der Gebirgsregionen, Wüstenlandschaften, surreal wirkenden Vorstädten wie auch von den typischen Phänomenen des American Way of Life leiten. America erzählt die Geschichte einer Reise durch 30 Staaten und von der Beziehung eines Fotografen zu einem Land in einer unverwechselbaren Bildsprache.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2013Ein Stück Wegs die Straße hinauf
Horst Hamann illustriert mit Fotografien im Cinemascope-Format den Mythos vom Unterwegssein in Amerika.
Von Freddy Langer
Auf der Karte im Rand-McNally-Straßenatlas ist Pendroy nur ein winziger Punkt an einer T-Kreuzung im Nirgendwo von Montana, eingezeichnet vermutlich nur deshalb, weil es weit und breit keine anderen Ortschaften gibt. Aber in Pendroy dann stellt sich die Frage, ob diese Handvoll Gebäude die Bezeichnung Ort verdient. Ein Gemüseladen; geschlossen. Ein Lagerschuppen; leer. Und eine Bar, deren Besitzer den Glauben ans große Geschäft noch nicht verloren hat. Geöffnet von mittags um zwölf bis nachts um zwei, täglich, außer Montag. So steht es neben der Tür.
Als Horst Hamann in Pendroy landete, zufällig, auf einem Umweg mit dem Wagen zum Glacier National Park, war er der einzige Gast in dieser Bar. Es war Nachmittag. Zeit für eine Pause. Vielleicht auch Zeit für ein Gespräch. Die Bedienung hinter dem Tresen hatte sogar gleich ein Thema parat: die Schlangen und Grizzly-Bären, vor denen man sich im Glacier, wie sie den Nationalpark kurz nannte, in Acht nehmen müsse. Es sei gefährlich dort draußen, sagte sie, als sei Pendroy eine Art Schutzburg, ein Fort inmitten der Wildnis. Dann wischte sie die Theke ab und sortierte die Gläser im Regal. Hamann trank aus, bezahlte und ging.
Es war spät geworden. Die Sonne stand jetzt tief am Himmel und strahlte unter einer düsteren Wolkendecke hindurch die falsche Fassade des Gemüseladens an wie Scheinwerfer eine Kulisse bei Dreharbeiten für einen Kinofilm, und auch die Amerikafahne neben dem Eingang zur Bar leuchtete nun im frühen Abendlicht. Hamann holte die Panoramakamera aus dem Wagen und machte ein Bild. Dass ein Strommast im Weg stand, nahm er hin.
Mit Amerikabildern im auffälligen Format wurde Horst Hamann weltberühmt. Mitte der neunziger Jahre hatte er Manhattan mit einer Panoramakamera fotografiert, den Apparat allerdings zum Hochformat gedreht. "New York Vertical" hieß das Buch, das augenblicklich zum Klassiker wurde. Dass Hamann auch in die Breite fotografierte, quasi im Cinemascope-Format, blieb darüber fast unentdeckt. Nun hat er Landschaftsbilder aus ganz Amerika für ein Buch zusammengetragen. Anekdotische Aufnahmen von unterwegs, zu denen als Soundtrack jene Lieder von Pete Seeger und Johnny Cash mitschwingen, in denen die Straßen gar nicht lang genug sein können. Hamann spielt mit Klischees und erfüllt doch zugleich ein Moment von Sehnsucht, wenn er in der Endlosigkeit des Landes immer wieder ein Stück Heimat freilegt - Sinnbilder eines Glücksversprechens selbst dort, wo es sich nicht erfüllt hat. Dann fährt man eben weiter. Und irgendwann wird ein Stück Wegs die Straße hinauf ein Abzweig in Richtung neuer Träume führen.
"America" von Horst Hamann. Edition Panorama, Mannheim 2012. 160 Seiten, 70 Fotos. Gebunden, 68 Euro. Eine Auswahl der Bilder hängt bis zum 14. April in der Ausstellungshalle, Schulstraße 1a, 60594 Frankfurt (www.ausstellungshalle.info). New-York-Fotografien zeigt die Frankfurter Galerie Braubachfive vom 10. April bis zum 10. Mai (www.brauchbachfive.eu)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Horst Hamann illustriert mit Fotografien im Cinemascope-Format den Mythos vom Unterwegssein in Amerika.
Von Freddy Langer
Auf der Karte im Rand-McNally-Straßenatlas ist Pendroy nur ein winziger Punkt an einer T-Kreuzung im Nirgendwo von Montana, eingezeichnet vermutlich nur deshalb, weil es weit und breit keine anderen Ortschaften gibt. Aber in Pendroy dann stellt sich die Frage, ob diese Handvoll Gebäude die Bezeichnung Ort verdient. Ein Gemüseladen; geschlossen. Ein Lagerschuppen; leer. Und eine Bar, deren Besitzer den Glauben ans große Geschäft noch nicht verloren hat. Geöffnet von mittags um zwölf bis nachts um zwei, täglich, außer Montag. So steht es neben der Tür.
Als Horst Hamann in Pendroy landete, zufällig, auf einem Umweg mit dem Wagen zum Glacier National Park, war er der einzige Gast in dieser Bar. Es war Nachmittag. Zeit für eine Pause. Vielleicht auch Zeit für ein Gespräch. Die Bedienung hinter dem Tresen hatte sogar gleich ein Thema parat: die Schlangen und Grizzly-Bären, vor denen man sich im Glacier, wie sie den Nationalpark kurz nannte, in Acht nehmen müsse. Es sei gefährlich dort draußen, sagte sie, als sei Pendroy eine Art Schutzburg, ein Fort inmitten der Wildnis. Dann wischte sie die Theke ab und sortierte die Gläser im Regal. Hamann trank aus, bezahlte und ging.
Es war spät geworden. Die Sonne stand jetzt tief am Himmel und strahlte unter einer düsteren Wolkendecke hindurch die falsche Fassade des Gemüseladens an wie Scheinwerfer eine Kulisse bei Dreharbeiten für einen Kinofilm, und auch die Amerikafahne neben dem Eingang zur Bar leuchtete nun im frühen Abendlicht. Hamann holte die Panoramakamera aus dem Wagen und machte ein Bild. Dass ein Strommast im Weg stand, nahm er hin.
Mit Amerikabildern im auffälligen Format wurde Horst Hamann weltberühmt. Mitte der neunziger Jahre hatte er Manhattan mit einer Panoramakamera fotografiert, den Apparat allerdings zum Hochformat gedreht. "New York Vertical" hieß das Buch, das augenblicklich zum Klassiker wurde. Dass Hamann auch in die Breite fotografierte, quasi im Cinemascope-Format, blieb darüber fast unentdeckt. Nun hat er Landschaftsbilder aus ganz Amerika für ein Buch zusammengetragen. Anekdotische Aufnahmen von unterwegs, zu denen als Soundtrack jene Lieder von Pete Seeger und Johnny Cash mitschwingen, in denen die Straßen gar nicht lang genug sein können. Hamann spielt mit Klischees und erfüllt doch zugleich ein Moment von Sehnsucht, wenn er in der Endlosigkeit des Landes immer wieder ein Stück Heimat freilegt - Sinnbilder eines Glücksversprechens selbst dort, wo es sich nicht erfüllt hat. Dann fährt man eben weiter. Und irgendwann wird ein Stück Wegs die Straße hinauf ein Abzweig in Richtung neuer Träume führen.
"America" von Horst Hamann. Edition Panorama, Mannheim 2012. 160 Seiten, 70 Fotos. Gebunden, 68 Euro. Eine Auswahl der Bilder hängt bis zum 14. April in der Ausstellungshalle, Schulstraße 1a, 60594 Frankfurt (www.ausstellungshalle.info). New-York-Fotografien zeigt die Frankfurter Galerie Braubachfive vom 10. April bis zum 10. Mai (www.brauchbachfive.eu)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.03.2013Da war doch was
Horst Hamann fotografiert für seinen Band „America“ Szenen
aus der Provinz, die symbolisch für das ganze Land stehen
VON STEFAN FISCHER
Durch seine leicht gewölbte Form erinnert der Wohnwagen sogar äußerlich ein wenig an einen der Planwagen, aus denen sich die legendären Siedlertrecks des 19. Jahrhunderts zusammengesetzt haben. So lassen sich an Horst Hamanns Fotografie dieses weißen, rundlichen Wohnwagens, der an einer geschützten Stelle des Monument Valley abgestellt ist, gleich zwei von Roger Willemsens Behauptungen belegen, die der Autor in seinem Vorwort zu Hamanns Bildband „America“ aufstellt: Dass die Fotografien in diesem Buch zusammengenommen einen modernen Western ergeben und dass sich Horst Hamann mit seinen Aufnahmen oftmals an der Grenze zwischen Szenischem und Symbolischem bewegt. An dieser Grenze ist auch die oben abgebildete Strandfotografie angesiedelt: Sie dokumentiert einen Augenblick des Alltags und spielt zugleich mit der ikonografischen Kraft des amerikanischen Fernsehens.
70 Panoramen hat der deutsche Fotograf in dem Buch versammelt. Auf einigen davon – sie gehören zu den spannendsten – präsentiert er nicht nur weitwinklige Ausblicke, sondern beobachtet seinerseits Menschen, wie sie das jeweilige Panorama betrachten. Das gilt auch für obige Schaufenster-Szene; darüber hinaus zum Beispiel für einen Linienrichter, der das Fußballfeld des Dixie State Colleges in Utah konzentriert überblickt, obwohl das Match ganz offensichtlich gerade unterbrochen ist. Und reizvoller als die bloßen, zigfach abgebildeten Felsformationen des Monument Valley ist es, wenn diese Gesteinsskulpturen lediglich die Kulisse bilden für die stilllebenhaft inszenierte Aussichtsplattform.
Hamann zeigt einen vergleichsweise menschenleeren Teil der USA, wobei kaum eines seiner Motive ohne Relikte menschlicher Zivilisation auskommt; in den meisten Fällen dominieren sie die Szenerie sogar. Es sind oft keine vordergründig auffälligen Dinge. Hamann gelingt es jedoch, den Blick auf solche Ansichten zu fokussieren, über die man ihn gewöhnlich nur rasch schweifen lassen würde, wenn überhaupt. In diesem gemeinhin Übersehenen findet er viel Prototypisches, ohne dass er es übermäßig ästhetisieren würde; weder das Glamouröse noch das Schäbige.
Gegen Ende des Buchs ist man als Betrachter so weit konditioniert, dass man die Bilder selbst zu ergänzen beginnt. Der Tisch in einem Hummerrestaurant in Maine ist leer, wie vermutlich das ganze Lokal, weil entweder gerade nicht Saison ist oder nicht Essenszeit. Unwillkürlich beginnt man jedoch, Gäste an dem Tisch zu platzieren, überlegt, ob es Einheimische sind oder Touristen. Von der Oberflächlichkeit, die den USA gerne unterstellt wird, ist in Horst Hamanns „America“ nichts zu finden: Seine Panoramen haben viel Tiefe.
Horst Hamann: America. Edition Panorama, Mannheim 2012. 160 Seiten mit 70 Panoramafotografien, 68 Euro.
REISEBUCH
Das USA-Bild von Horst Hamann fügt sich aus Beobachtungen außerhalb der Ballungsräume zusammen. Selbst auf Long Island bleibt er in Distanz zu New York. Er bevorzugt den Strand oder Kleinstadtleben wie in Wheeling, West Virginia.
FOTOS: HORST HAMANN
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Horst Hamann fotografiert für seinen Band „America“ Szenen
aus der Provinz, die symbolisch für das ganze Land stehen
VON STEFAN FISCHER
Durch seine leicht gewölbte Form erinnert der Wohnwagen sogar äußerlich ein wenig an einen der Planwagen, aus denen sich die legendären Siedlertrecks des 19. Jahrhunderts zusammengesetzt haben. So lassen sich an Horst Hamanns Fotografie dieses weißen, rundlichen Wohnwagens, der an einer geschützten Stelle des Monument Valley abgestellt ist, gleich zwei von Roger Willemsens Behauptungen belegen, die der Autor in seinem Vorwort zu Hamanns Bildband „America“ aufstellt: Dass die Fotografien in diesem Buch zusammengenommen einen modernen Western ergeben und dass sich Horst Hamann mit seinen Aufnahmen oftmals an der Grenze zwischen Szenischem und Symbolischem bewegt. An dieser Grenze ist auch die oben abgebildete Strandfotografie angesiedelt: Sie dokumentiert einen Augenblick des Alltags und spielt zugleich mit der ikonografischen Kraft des amerikanischen Fernsehens.
70 Panoramen hat der deutsche Fotograf in dem Buch versammelt. Auf einigen davon – sie gehören zu den spannendsten – präsentiert er nicht nur weitwinklige Ausblicke, sondern beobachtet seinerseits Menschen, wie sie das jeweilige Panorama betrachten. Das gilt auch für obige Schaufenster-Szene; darüber hinaus zum Beispiel für einen Linienrichter, der das Fußballfeld des Dixie State Colleges in Utah konzentriert überblickt, obwohl das Match ganz offensichtlich gerade unterbrochen ist. Und reizvoller als die bloßen, zigfach abgebildeten Felsformationen des Monument Valley ist es, wenn diese Gesteinsskulpturen lediglich die Kulisse bilden für die stilllebenhaft inszenierte Aussichtsplattform.
Hamann zeigt einen vergleichsweise menschenleeren Teil der USA, wobei kaum eines seiner Motive ohne Relikte menschlicher Zivilisation auskommt; in den meisten Fällen dominieren sie die Szenerie sogar. Es sind oft keine vordergründig auffälligen Dinge. Hamann gelingt es jedoch, den Blick auf solche Ansichten zu fokussieren, über die man ihn gewöhnlich nur rasch schweifen lassen würde, wenn überhaupt. In diesem gemeinhin Übersehenen findet er viel Prototypisches, ohne dass er es übermäßig ästhetisieren würde; weder das Glamouröse noch das Schäbige.
Gegen Ende des Buchs ist man als Betrachter so weit konditioniert, dass man die Bilder selbst zu ergänzen beginnt. Der Tisch in einem Hummerrestaurant in Maine ist leer, wie vermutlich das ganze Lokal, weil entweder gerade nicht Saison ist oder nicht Essenszeit. Unwillkürlich beginnt man jedoch, Gäste an dem Tisch zu platzieren, überlegt, ob es Einheimische sind oder Touristen. Von der Oberflächlichkeit, die den USA gerne unterstellt wird, ist in Horst Hamanns „America“ nichts zu finden: Seine Panoramen haben viel Tiefe.
Horst Hamann: America. Edition Panorama, Mannheim 2012. 160 Seiten mit 70 Panoramafotografien, 68 Euro.
REISEBUCH
Das USA-Bild von Horst Hamann fügt sich aus Beobachtungen außerhalb der Ballungsräume zusammen. Selbst auf Long Island bleibt er in Distanz zu New York. Er bevorzugt den Strand oder Kleinstadtleben wie in Wheeling, West Virginia.
FOTOS: HORST HAMANN
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