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Nach Diskriminierung in der DDR, Verbüßen einer politischen Haftstrafe in Bautzen, der erzwungenen Übersiedelung in den Westen im Jahre 1981 habe er unauffällig leben wollen, schreibt Erich Loest in seinen Erinnerungen, "sich aus politischen Querelen heraushalten - das stand er im großen und ganzen fünfzehn Jahre durch, dann krachte es wieder". Das Buch umfaßt eine Sammlung von Reden und Artikeln Erich Loests, in denen er seine Gedanken vor und nach der Wende im Jahre 1989 aufleben läßt.

Produktbeschreibung
Nach Diskriminierung in der DDR, Verbüßen einer politischen Haftstrafe in Bautzen, der erzwungenen Übersiedelung in den Westen im Jahre 1981 habe er unauffällig leben wollen, schreibt Erich Loest in seinen Erinnerungen, "sich aus politischen Querelen heraushalten - das stand er im großen und ganzen fünfzehn Jahre durch, dann krachte es wieder". Das Buch umfaßt eine Sammlung von Reden und Artikeln Erich Loests, in denen er seine Gedanken vor und nach der Wende im Jahre 1989 aufleben läßt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.1997

Diener zweier Göttinnen
Kraftkost: Erich Loests gesammelte Artikel und Reden

Schon in aller Frühe war am 20. März 1981 für die Wanzen in der Leipziger Wohnung der Familie Loest die Nacht zu Ende. "5.19 Uhr ist bereits Bewegung im Objekt", registrierten sie, "Frau L. hantiert außerhalb des Zimmers." Dabei blieb es an diesem Morgen, immer agierten die Loests "außerhalb des Zimmers. Von ihrer Unterhaltung kann man nichts verstehen". So wurden die Abschiedsworte, die die Eheleute "wahrscheinlich gegen 9.45 Uhr" wechselten, nicht aktenkundig. Dafür ist das Abschiedsgespräch überliefert, das Erich Loest wenig später auf dem Leipziger Hauptbahnhof führte. Er selbst hat es aufgeschrieben. Die Göttin Lipsia persönlich hatte ihn zum Zug nach dem Westen gebracht. "Kommst du wieder", hatte sie den Fünfundfünfzigjährigen gefragt, der schwer an seinen zwei Koffern schleppte. "Ich weiß nicht", hatte Loest geantwortet, "aber ich werde über dich schreiben."

Drei Jahre später veröffentlichte er im Westen, wohin ihm seine Familie gefolgt war, seinen Roman "Völkerschlachtdenkmal", der bis heute einen Ehrenplatz unter Lipsias Kopfkissen hat. Was Loest dagegen im Januar 1990 im Westdeutschen Rundfunk über sie sagte, hat sie nicht gehört. Von einem späten Mädchen mit abgetragenen Klamotten und schiefen Absätzen soll die Rede gewesen sein, und im übrigen von "meinen zwei Göttinnen", denn Loest hatte sich unterdessen eingerichtet in der Rheinlandschaft bei Bonn und war auch mit der Loreley per du geworden. Da "stürzten meine Leipziger mit ihrer Kerzenrevolution die Honeckerei".

Man kann diesen Rundfunkbeitrag aus der Wendezeit jetzt noch einmal nachlesen in einem Band mit journalistischen Texten des Autors und jenen Reden, die Loest zur Ermunterung des SPD-Vorstands, als "Leipziger Predigt" in einer Lübecker Kirche oder zum Dank für die Ehrenbürgerschaften hielt, die ihm nach der Wende in seiner Geburtsstadt Mittweida und in Leipzig zuteil wurden, wo er heute wieder einen zweiten Wohnsitz in einem Plattenbau hat. "Als wir in den Westen kamen" ist der Titel der Sammlung.

Als Loest in den Westen kam, war er nicht der erste Schriftsteller, der nach Biermanns Ausbürgerung von 1976 die DDR verlassen hatte. Doch Loest war der erste, der sich vorstellen konnte, daß man sich zur "Gruppe 76" formieren könne. Schon im September 1981 vermeldete er den Vollzug. Freilich war er Realist genug gewesen, die Gründungsversammlung der "Gruppe 76" in "Bad Schwarmstein" stattfinden zu lassen. Aber "ausmalen" durfte man sich das doch einmal, schloß Loest seinen fiktiven Bericht von einer Veranstaltung, die Illusion blieb. Andere Illusionen, die etliche der Westkollegen pflegten, lernte er im Verband der deutschen Schriftsteller (VS) kennen, in dessen Vorstand er 1984 gewählt wurde. Sein Fazit nach einem Jahr Verbandsarbeit legte er in einem Artikel nieder, der ein Marx-Zitat abwandelte: "Ein Gespenst geht um im Verband deutscher Schriftsteller - wie und wo intrigiert, konspiriert, unterminiert die DKP?" Auch ohne den verlängerten Arm Ost-Berlins freilich erfreuten sich die DDR-Erfahrungen der "gebrannten Doppeldeutschen", wie Loest sie nannte, im Westen keineswegs einer zunehmenden Nachfrage.

Die Wende brachte dann eine kurzzeitige Konjunktur. Von einem Fotoreporter begleitet, besichtigte Loest im Januar 1990 die Zelle im Leipziger Stasi-Gefängnis, aus der er 1957 zu sieben Jahren Haft nach Bautzen verbracht worden war. Schon ein Jahr später mußte er jedoch konstatieren: "Die Häftlinge von einst haben keine Lobby." Loest schrieb an gegen die Schlußstrich-Lobby. "Wehe, wenn meinen Stasi-Akten was passiert!" drohte er und fragte einen ehemaligen Leipziger SED-Kulturfunktionär, der inzwischen für die PDS im Bundestag saß: "Was, Herr Doktor, haben Sie vor zehn Jahren Ihren Genossen von der Sicherheit gesteckt?" (Etwas, was die Wanzen nicht hören konnten von den eingangs erwähnten Gesprächen "außerhalb des Zimmers"). Loest nahm Wendehälse der Ost-CDU ebenso aufs Korn wie "alte SED-Knochen", den "Ballast" im PEN-Ost und den "roten Schreibkämpferbund" von Volker Braun bis Bert Papenfuß, der sich im "fundamentalistischen Getrotze" formiere. Markige Worte, saftige Vergleiche - "Kraftkost", die man von Loest, wie er einmal schreibt, erwartete.

"Im Osten lästig - und jetzt wieder", ist nicht nur sein Fazit in einer Rede vom Dezember 1996, die den Band beschließt, sondern auch sein Versprechen für die Zukunft. Ob der Einundsiebzigjährige nach der Lipsia und der Loreley demnächst auch noch mit der Berolina Bekanntschaft zu schließen gedenkt, darf jedoch bezweifelt werden, obwohl für ihn feststeht: "Das Zentrum der alten Auseinandersetzung war Berlin und ist es wieder." Als Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) hat er sich jüngst beim Kongreß in Chemnitz nach dreijähriger Amtszeit verabschiedet, weil er sich wieder mehr dem Schreiben widmen wolle. Loest sieht sich "von Stoffen umstellt", wie er einer Magdeburger Zeitung erklärte. Wer, fragte er, schreibe eigentlich "den großen Roman über den Untergang der Nationalen Volksarmee"? Wenn das mal keine rhetorische Frage war. SIEGFRIED STADLER

Erich Loest: "Als wir in den Westen kamen". Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart / Linden-Verlag, Leipzig 1996. 240 S., geb., 38,- DM.

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