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Ein atmosphärisch dichter Briefroman mit Blick auf die DDR der siebziger Jahre: Leben am Rande der sozialistischen Wirklichkeit.
Mitte der siebziger Jahre. Anna, eine junge jüdische Frau in Ost-Berlin, verläßt zum ersten Mal ihre Stadt und geht als Regisseurin an ein Provinztheater. Zurück bleiben ihre Freunde, ihre Mutter, ihre ganze Existenz. Und nicht zuletzt Leon, ihr Geliebter. Das einzige Band sind Briefe, altmodisch mit der Hand geschrieben, am Abend nach einem langen Arbeitstag. Briefe, in denen alles nachklingt, das Theater, das Berliner Leben, die Familiengeschichte und vor allem…mehr

Produktbeschreibung
Ein atmosphärisch dichter Briefroman mit Blick auf die DDR der siebziger Jahre: Leben am Rande der sozialistischen Wirklichkeit.

Mitte der siebziger Jahre. Anna, eine junge jüdische Frau in Ost-Berlin, verläßt zum ersten Mal ihre Stadt und geht als Regisseurin an ein Provinztheater. Zurück bleiben ihre Freunde, ihre Mutter, ihre ganze Existenz. Und nicht zuletzt Leon, ihr Geliebter. Das einzige Band sind Briefe, altmodisch mit der Hand geschrieben, am Abend nach einem langen Arbeitstag. Briefe, in denen alles nachklingt, das Theater, das Berliner Leben, die Familiengeschichte und vor allem die Liebesverwicklungen in diesem kleinen Kreis.

Aus Jerusalem und Moskau weht zugleich der Wind des Unbekannten in diese sonderbare Provinz, die alles andere als idyllisch ist. »Eine unpolemische, aber auch unerbittliche Porträtstudie dieses untergegangenen Gemeinwesens.« (Yaak Karsunke in der 'Frankfurter Rundschau')
Autorenporträt
Barbara Honigmann, 1949 in Ost-Berlin geboren, arbeitete als Dramaturgin und Regisseurin. 1984 emigrierte sie mit ihrer Familie nach Straßburg, wo sie noch heute lebt. Honigmanns Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Heinrich-Kleist-Preis, dem Max-Frisch-Preis der Stadt Zürich, dem Jakob-Wassermann-Preis, dem Bremer Literaturpreis, dem Jean-Paul-Preis, dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Goethepreis der Stadt Frankfurt a. M..
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2000

Die Liebe in den Zeiten der Politik
Barbara Honigmann sondiert Von Walter Hinck

Barbara Honigmann, Tochter jüdischer Rückkehrer aus dem Exil, verließ 1984 die DDR. Die Distanz zum Regime, schon 1976 sichtbar bei ihrem Eintritt in die Jüdische Gemeinde Ost-Berlins, war zu groß geworden. Sie siedelte nach Straßburg über. Ihr Debüt, die sechs Prosastücke des Bandes "Roman von einem Kinde" (1986), zeigte Ansichten vom Leben in der DDR, von Reisen nach Moskau oder in die Tschechoslowakei, von Besuchen des jüdischen Gelehrten Gershom Scholem in Ost-Berlin. Ihr Roman "Soharas Reise" (1996) demonstrierte, daß sie endgültig im Straßburger gelehrten Zentrum jüdischer Orthodoxie heimisch geworden war, sich aber als Schriftstellerin nicht im Abfassen frommer Schriften kasteien wollte. Sie erzählte, im Gegenteil, wie man mit Hilfe der internationalen "Thora-Connection" einen religiösen Scharlatan in die Falle lockt.

Mit ihrem neuen, ihrem sechsten Buch versetzt sich die Erzählerin zurück ins Künstlermilieu der DDR. Barbara Honigmann tummelte sich nach dem Studium an der Humboldt-Universität eine Zeitlang am Theater, als Dramaturgin an der Provinzbühne und dann am Deutschen Theater in Ost-Berlin. Vor die Spiegelung neuer religiöser und weltlicher Erfahrungen drängt sich jetzt die Erinnerung an eine Republik, deren Gastspiel seit einem Jahrzehnt beendet ist. Sieht Barbara Honigmann in diesem Gastspiel eine Tragikomödie oder eine Posse? Weder das eine noch das andere. Obwohl das Leben in der DDR vom Politischen unterwandert ist, behauptet sie in diesem Roman, wie der Titel "Alles, alles Liebe!" andeutet, das Private einer Liebesgeschichte. Der neue Band ist ein Briefroman - in der DDR von 1975 war das Telefonnetz noch lückenhaft.

Anna Herzfeld, Berlinerin, hat ihre erste Regiearbeit am kleinen Theater in Prenzlau übernommen. Von ihrer Ankunft und den Schwierigkeiten mit der Theaterleitung bis zu ihrer Entlassung berichtet sie ihrem Geliebten und ihrer Mutter, ihren Freundinnen und Freunden. Sie ist Adressat aller übrigen Briefe, Ausgangs- und Anlaufpunkt der Korrespondenz. Sichern die Standpunkte der Briefschreiber dem Roman eine Vielfalt von Wirklichkeitsansichten, so haben fast alle denselben Vermessungspunkt: den Vorbehalt gegen das Regime. Um vier Bereiche bewegt sich die Korrespondenz: um das Bewußtsein Annas, jüdisch geprägt zu sein, um das Theater im Zugriff des Kunstdogmas, um die künstlerische Sonderstellung eines kleinen erlesenen Kreises in Berlin, der eine Privataufführung von Garcia Lorcas "Bernarda Albas Haus" vorbereitet, und um die Zerrüttung der Liebesbeziehung zwischen Anna und Leon. Von Anzeichen der Ausgrenzung sprechen die Anfangssätze: "Das erste Wort, das ich in Prenzlau hörte, war Zigeuner. Jemand rief es mir nach." Zigeuner als Ersatzschimpfwort für Jude. Eine Verschärfung setzt ein, als sich nach der Uno-Resolution gegen den Zionismus von 1975 Antisemitismus als Antizionismus tarnt. Andererseits stärkt sich ein jüdisches Selbstbewußtsein in Annas Annäherung an die jüdische Religiosität, in ihrer Sehnsucht nach einem klösterlichen Leben oder im Gedanken, nach Israel auszuwandern.

Die Reibung an den Literatur- und Kunstdirektiven der SED zieht sich als roter Faden durch den Roman. Die innere Opposition des "Bernarda"-Kreises geht so weit, daß die Regimekritik Biermanns und Havemanns abgelehnt wird, "die immer noch glauben, eines Tages den realen durch den wahren Sozialismus ablösen zu können". Einer der pointiertesten Texte des Romans ist die Anlage zu einem Brief, adressiert an den "Genossen Leser von der Stasi": ein kleines Meisterstück ironischer Selbstwehr. In der Vielgliedrigkeit dieses Briefromans bildet die Liebesgeschichte das Kerngerüst. Sie hält den Leser in Spannung. Anna verfällt der Liebesblindheit, Anzeichen der Untreue Leons will sie nicht wahrhaben. Es gehört zur Erzählstrategie der Autorin, daß sie viel Antipathie auf Leon lenkt - um schließlich den Leser zu beschämen. Im Selbstmordversuch enthüllt sich der betrügerische Leon als ein unglücklicher Mensch. "Theater und Liebe kaputt!" resümiert Anna und flieht zu jüdischen Freunden in Moskau, von denen sich einige auf die Emigration vorbereiten.

So beschließt das Auswanderungsmotiv diese Briefchronik aus einer Zeit, in der die Verträge von Helsinki ein Hoffnungszeichen setzen, weil sie die Ostblockstaaten "auf eine Erleichterung der Lebens- und Reisemöglichkeiten" verpflichten. An Romanen zur Wirklichkeit der DDR, geschrieben nach ihrem Verschwinden, besteht kein Mangel mehr. Aber die Kulturpolitik des SED-Regimes mit dem subversiven Blick der geistigen jüdischen Opposition von damals zu enttarnen, blieb diesem Roman vorbehalten.

Barbara Honigmann: "Alles, alles Liebe!" Roman. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2000. 182 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2000

Protagonisten, die nicht dazu gehören
Blick zurück in die bleierne Zeit der DDR: Barbara Honigmanns Briefroman „Alles, alles Liebe!”
Auf der Klippe der Melancholie, immer kurz vor dem Absturz, geben die Menschen in Barbara Honigmanns Büchern doch nie auf: Selbst in den schwarzen Zeiten des Lebens, und davon weiß die Autorin zu erzählen, kämpfen sie um Schönheit und den Augenblick einer wahrhaftigen Liebe. Beginnend mit ihrem 1986 erschienenen Debütband Roman von einem Kinde” erzählt Barbara Honigmann mit leise insistierender Stimme und nicht ohne Humor ihre Geschichte der Empfindsamkeit unter den Bedingungen einer existentiellen Fremdheit.
In Alles, alles Liebe” geht sie quasi zum Ausgangspunkt ihrer Recherche nach der verlorenen Zeit zurück: DDR 1975, die bleierne Zeit regiert. Die junge Anna hat nach ihrem Studium der Theaterwissenschaft ihr erstes Engagement in der Provinz. Im grauen Monat November kommt sie in Prenzlau an, wo sie das Weihnachtsmärchen für die Nachmittagsvorstellungen und ein Alt-Wiener Stück mit dem bezeichnenden Titel „Der Furchtsame” inszenieren soll. Schon auf dem Bahnhofsvorplatz spürt sie, dass sie am falschen Ort angekommen ist: „Das erste Wort, das ich in Prenzlau hörte, war: – Zigeuner!” Hier wird Anna nicht heimisch werden, weder am Theater noch in der Stadt und auch nicht in dem kargen Zimmerchen über einer Kneipe. Nach zwei Monaten ist alles vorbei, der Vertrag mit dem Theater vom Intendanten aufgelöst, und der heiß begehrte Mann, den Anna in Berlin zurück gelassen hat, hat sich vor ihrem Bedürfnis nach Nähe in einen Selbstmordversuch geflüchtet.
Angst, das Leben zu verfehlen
Erzählt wird dieses Drama der Vergeblichkeit in einer Abfolge von Briefen, die Anna mit ihren Freunden wechselt, mit Eva, die ihr Unglück als Schauspielerin in Meiningen gefunden hat, mit dem Ex-Geliebten Alex, der als Kulissenschieber arbeitet und an einem Theaterstück schreibt, mit Leon, dem sie ihre Liebe nachträgt und der sich ihr auf ziemlich schnöde Weise entzieht. Es sind panische Briefe, voller Zärtlichkeit und Verzweiflung, und vor allem voller Angst, das Leben zu verfehlen. Die Bohème, in der sich Anna mit ihren Freunden bewegt, hat viel Zeit und unter der Käseglocke des eingemauerten Ländchens auch relativ viel Freiheit: In der „Espresso”-Bar wird philosophiert, fürs Zimmertheater probt man García Lorcas Bernarda Albas Haus”, man wechselt behende die Betten, und als probate Einschlaflektüre hat sich Lenins Materialismus und Empiriokritizismus” bewährt: Mit keinem anderen Buch sinkt man so schnell in den Schlaf.
Und doch bleibt alles freudlos, Mehltau breitet sich über alle Aktivitäten und über alle Beziehungen. Die schon nicht mehr jugendlichen Protagonisten ahnen und Anna weiß es, dass sie Bestandteil einer großen Lebenslüge sind. „Alles hier ist flach, gerade und eben”, schreibt Anna aus Prenzlau an Eva, „nur in der Mitte der Stadt erhebt sich ein Berg, das ist der Dom, wenn er auch fast völlig zerstört ist wie alles in diesem Land, in das unsere bescheuerten Eltern glaubten, unbedingt zurückkehren zu müssen”. Die „Prominenten- und Emigrantenkinder”, als die sie sich selbst erkennen, leiden unter einem nicht auflösbaren Dilemma: Einerseits befinden sie sich im inneren Zirkel der Macht und sind so weit geschützt, dass sie sogar einem Stasispitzel einen höhnischen Brief schreiben können, andererseits wissen sie im tiefsten Inneren, dass sie nicht dazu gehören, vielleicht sogar gefährdet sind, wenn die Verhältnisse nicht mehr still gestellt sein werden.
Eine Vorausschau auf die Zukunft gibt Leon in seinem Abschiedsbrief an Anna, in dem er seinem Ressentiment kurz freien Lauf lässt: „Ihr fühlt euch als irgendeine Art Elite, und ich habe bis heute nicht verstanden, woraufhin eigentlich. Werke habt ihr nicht vorzuweisen, und besondere Tapferkeit in irgendeiner Sache habt ihr auch nicht bewiesen. In Deinem ,jüdischen Kreis‘ stellt ihr euer Jüdischsein heraus und kokettiert damit. Ihr seid aber bloß eingebildete Juden, denn Ihr seid deutsch bis auf die Knochen. . . Eure Eltern sind Bonzen und Funktionäre, die dieses Scheißland mitzuverantworten haben, in dem ihr euch so unglücklich fühlt. ”
Was sich hier grob und beleidigend (und nicht ohne drohenden Unterton) äußert, kennzeichnet in der Tat die Zerrissenheit und die – im wahrsten Sinn – Ohnmacht, mit der Barbara Honigmanns Menschen leben: Dazu gehören (wollen) und nicht dazu gehören (können), das
ist in knappster Form ihr Lebensschicksal.
Barbara Honigmann, 1949 in Ost-Berlin geboren als Tochter jüdischer Emigranten, die in die DDR zurückgekehrt waren, hat das am eigenen Leib und im eigenen Leben erfahren – und für sich die Konsequenzen gezogen, wovon sie an derer Stelle auch erzählt hat: Sie ist zum jüdischen Glauben zurückgekehrt, hat 1984 die DDR verlassen und lebt seither in Straßburg. Doch in Alles, alles Liebe” befinden wir uns noch in der DDR und in der Phase des Selbstzweifels und des Selbsthasses: Sind denn die Eltern je aus der Welt des Exils wirklich zurückgekommen, fragt sich Eva, hätten sie es nicht wie die spanischen Juden halten sollen, denen die Rabbiner nach der Vertreibung 1492 eine Rückkehr verboten hatten, so dass in Spanien fünfhundert Jahre keine Juden lebten? Tragisches und Komisches mischen sich: Die Mutter eines Freundes stürzt sich aus dem Fenster, weil sie im Land ihrer Kindheit nicht mehr heimisch werden kann, eine andere Mutter macht im Foyer der Staatsoper Handstand. Zwischen Verrücktheit und Starre changieren die Verhaltensweisen der Zurückgekehrten und die Freundin Eva empfindet sich schließlich selbst als „diese schreckliche Mischung aus cholerisch und versteinert”.
Kunststück der Desillusionierung
Die Form des Briefromans ermöglicht es der Autorin, schnell die Perspektiven zu wechseln und in knapper und subjektiver Form zu erzählen. Nichts wird ausgewalzt, vieles nur angedeutet, zugespitzt und pointiert. Es entsteht so bei aller Schwere der Thematik ein Gestus des Erzählens, der erstaunlich leicht wirkt und zugleich eine große Dichte der Darstellung erreicht: Eine raffinierte Sprach- und Erzählkomposition, die viele Töne anschlägt und lange klingen lässt.
Barbara Honigmanns Roman ist ein Kunststück der Desillusionierung, das uns gleichwohl nicht hoffnungslos zurücklässt: Noch einmal schauen wir auf eine DDR, in der die Luft zum Atmen knapp war, erfahren von der heillosen Beziehung zwischen Deutschen und Juden und erleben das schmerzliche Scheitern der Liebe zwischen Anna und Leon. Nur Verluste, das stimmt, und doch strahlt „Alles, alles Liebe” eine unsentimentale und verführerische Lust am Leben aus, ein trotziges Beharren auf dem Glücksverlangen des Einzelnen. Barbara Honigmanns Buch ist ein kleines, lebenskluges Kompendium, das davon erzählt, wie man Widersprüche aushält und seinen Widerspruchsgeist nicht verliert, wie man sich wehrt gegen die Zumutungen der Wirklichkeit.
CLAUS-ULRICH BIELEFELD
BARBARA HONIGMANN: Alles, alles Liebe! Roman. Hanser Verlag, München 2000. 184 Seiten, 34 Mark.
Barbara Honigmann, Trägerin des Kleist-Preises 2000.
Foto: Jürgen Bauer
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