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Die Winshaws sind exemplarische Sieger der Gesellschaft: Hilary, die erfolgssüchtige Klatschkolumnistin; Roddy, der gerissene Kunsthändler; Henry, der Labour-Politiker; Dorothy, die unerbittliche Regentin über ein Fast-food-Imperium. Und sie alle vertuschen ein blutiges Geheimnis, dessen Hintergründe nur die alte Tante Tabitha kennt, die man sicherheitshalber für verrückt erklärt hat: Sie ist davon überzeugt, daß ihr Bruder Godfrey im Zweiten Weltkrieg nicht gefallen ist, sondern auf Geheiß eines Familienmitglieds ermordet wurde. Im Sommer 1990 beginnt der junge Schriftsteller Michael Owen…mehr

Produktbeschreibung
Die Winshaws sind exemplarische Sieger der Gesellschaft: Hilary, die erfolgssüchtige Klatschkolumnistin; Roddy, der gerissene Kunsthändler; Henry, der Labour-Politiker; Dorothy, die unerbittliche Regentin über ein Fast-food-Imperium. Und sie alle vertuschen ein blutiges Geheimnis, dessen Hintergründe nur die alte Tante Tabitha kennt, die man sicherheitshalber für verrückt erklärt hat: Sie ist davon überzeugt, daß ihr Bruder Godfrey im Zweiten Weltkrieg nicht gefallen ist, sondern auf Geheiß eines Familienmitglieds ermordet wurde. Im Sommer 1990 beginnt der junge Schriftsteller Michael Owen seine Auftragarbeit an der offiziellen Biographie des Winshaw-Clans. Je näher er der wahren Geschichte seiner Hauptdarsteller kommt, desto mehr verschmilzt diese mit dem Plot eines Films, den Michael dreißig Jahre zuvor als kleiner Junge gesehen hat: 'Eine Leiche auf Urlaub', mit der wunderschönen Shirley Eaton in der Hauptrolle. Sie ließ seiner Phantasie seit damals keine Ruhe mehr . . .
Autorenporträt
Jonathan Coe wurde 1961 in Birmingham geboren. Sein preisgekrönter Roman "Allein mit Shirley" wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt. Jonathan Coe lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in London.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1995

Für Manchester das Übliche
Jonathan Coes Thriller zeigt, wohin die Habgier führt

Jonathan Coes dickleibiger Roman "Allein mit Shirley" hat mehrere Väter. Deren Namen werden keineswegs verheimlicht, sondern vielmehr in einer Danksagung am Buchende aufgezählt - darunter ein Roman und der danach gedrehte Film. Das zeugt von den Vorlieben des Autors: Coe ist homme de lettres und Filmfan. Er schreibt Literaturkritiken für den "Guardian", veröffentlichte drei belletristische Bücher sowie eine Biographie über Humphrey Bogart und eine über James Stewart.

Der beliehene Roman heißt "The Ghoul" und erschien 1928. Über den Verfasser Frank King, schreibt Coe, habe er nichts in Erfahrung bringen können, und damit müssen wir uns abfinden; unsere Nachschlagewerke helfen auch nicht weiter. Der Film, um 1960 gedreht, trägt den Titel "What a carve up!" - "Welch ein Gemetzel!" - und lief hier als "Eine Leiche auf Urlaub". Coes Roman übernimmt im Original den englischen Filmtitel, die deutsche Übersetzung aber nennt sich "Allein mit Shirley".

Die weibliche Hauptrolle des Films nämlich wurde von einer Shirley Eaton verkörpert, die einer von Coes Helden aus ebendiesem Film kennt und anhimmelt. Die Schnulzigkeit, die der deutsche Titel befürchten läßt, fehlt dem Buch glücklicherweise. Das liegt vor allem an zwei festen Größen, die sich in der Fülle der Themen und Gestaltungsmittel behaupten und gern für typisch englisch gelten: erstens einen spannenden Kriminalfall, zweitens einen knochentrockenen, oft boshaften Witz.

Was die Schreckens- und Kriminaltradition angeht, so ist er außer dem mysteriösen Frank King auch Agatha Christie verpflichtet; ihre "Zehn kleinen Negerlein" finden im Roman eigens Erwähnung. Ungenannt dagegen bleibt ein Schriftsteller, der ebenfalls einen vorzüglichen Ahnherrn für Coe abgegeben hätte: Wilkie Collins, dessen Bekanntschaft die deutschen Fernsehzuschauer machten, als sein Gruselknüller "Die Frau in Weiß" mehrteilig über die Bildschirme lief.

Coe bietet einen verwinkelten Herrensitz in gottverlassener Moorlandschaft auf, wo das Verbrechen wohnt und blutige Abrechnung gehalten wird. Wie im Genre üblich, entrollen die Geheimnisse von Winshaw Towers und seinen Bewohnern erst allmählich. Das geschieht, wie es sich gehört, mit vertrackten Konstruktionen, die auf falsche Spuren locken, Schockmomente provozieren und selbst an sonnigen Roman-Tagen düstere Stimmungen erzeugen.

Aber anders als seine Vorläufer, denen es vornehmlich auf die literarische Wirkung ankam, wird Coe obendrein von einem sozialkritischen Impetus angetrieben. Seine Familie Winshaw übt nicht nur Lieblosigkeiten im Privaten. Sie macht sich auch aller Arten schnöder Vorteilnahme auf Kosten der Allgemeinheit schuldig - ein Schreckensbild macht- und beutegieriger Kapitalisten nach Manchester-Art. Zwar fehlen, wenn Coe die Schurken vorführt, nicht die satirischen Glanzlichter. Dennoch liest es sich stellenweise, als habe sich unter den Vorlagen auch ein Rezeptbuch des sozialistischen Realismus befunden.

Unter den Missetaten der Winshaws - zum Beispiel ökologische Sünden, Mißbrauch der Medien, Prostituierung der Kunst, Tierquälerei, Manipulation von Lebensmitteln - ragen zwei alarmierend hervor: Konspiration mit dem deutschen Feind im Zweiten Weltkrieg und gewissenlose Aufrüstung Saddam Husseins vor und nach Ausbruch des Golfkriegs. Dem ersten Verbrechen, begangen von Lawrence Winshaw, fiel Bruder Godfrey zum Opfer, ein tapferer Kriegspilot und herzensguter Kerl, dessen Herkunft aus der Sippe Winshaw man schwer begreift.

Um Aufklärung und Sühnung des Mordes bemüht sich erstens Schwester Tabitha, vom bösen Lawrence als Verrückte in eine Nervenanstalt gesperrt; zweitens der halbgute, aber schwache Bruder Mortimer; drittens ein Schriftsteller namens Michael Owen, der sich, nach vielen hundert Seiten, als Sohn von Godfreys gerettetem Kopiloten erweist. Michael scheint außerdem ein alter ego Jonathan Coes zu sein, jedenfalls teilt er seine literarischen und cineastischen Obsessionen und, so darf man wohl annehmen, auch seine politischen Ansichten.

Leider verwendet Coe derartig viel Zeit auf seines Helden weltanschauliche, existentielle und erotische Angelegenheiten, daß Michaels Geschichte einen Roman für sich bildet und immer wieder weit von der Mär von den bösen Winshaws wegführt, die doch das Herzstück des Buches bilden sollte. Daß sie einer starren Typologie gehorcht, nimmt man hin, weil sich das für hintersinnige Kriminalliteratur so gehört. Auch delektiert man sich an allerlei amüsanten Bosheiten, bis der Autor zur Sache kommt und den Winshaw-Plot auflöst. Dann freilich ist es aus mit dem Genuß.

Die Lösung setzt ein, wenn Mark Winshaw seinen Kompagnon, einen deutschen Kapitalisten, in Sachen Saddam-Aufrüstung besucht. Der hat - im Jahre 1987 - ein Hitler-Porträt an der Wand und bramarbasiert von der Notwendigkeit, dem Irak Zyklon B zu liefern, auf daß Saddam "eine Säuberung fortsetzen (wird), die zu Ende zu bringen uns verwehrt geblieben ist". Zugleich kommt heraus, daß Pilot Godfrey einst aufbrach, um die Produktionsstätten des Auschwitz-Giftes zu zerbomben, woraufhin Bruder Lawrence, der auf nicht näher erklärte Weise vom Einsatz des Gases profitierte, den Helden an die deutsche Abwehr verriet, die dann seinen Abschuß betrieb.

Zum schlimmen Ende ermannt sich der schwache Mortimer und massakriert die böse Verwandtschaft, darunter seine eigenen Kinder. Godfreys Rächerin Tabitha aber lockt den schuldlosen Michael in einen Hubschrauber, dessen Piloten sie vorher umbrachte, und stürzt sich samt seiner in den Tod. Sie war wohl doch verrückt, und der Clan hielt sie zu Recht und zum Besten der Mitmenschen eingesperrt. Damit allerdings setzt auch die moralische Ordnung des Romans zum Sturzflug an. Der düpierte Leser sieht Jonathan Coe mit seinem Werk verfahren wie Penelope mit ihrem Gewirkten: Am Ende wird es wieder aufgetrennt. SABINE BRANDT

Jonathan Coe: "Allein mit Shirley". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Piper Verlag, München und Zürich 1995. 565 S., geb., 48,- DM.

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