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Alfred Weber ist Vertreter der historischen Soziologie, die Gesellschaft und Kultur in ihrer geschichtlichen Entwicklung analysiert. Dabei stehen nicht die politischen Ereignisse im Vordergrund, sondern neben den sozialen und ökonomischen Strukturen vor allem der seelische Habitus und das Lebensgefühl, die Bereiche des Unbewußten und Irrationalen. Aus welchen politisch-ökonomischen Konstellationen entstehen bestimmte Kulturen? Wie und warum ändert sich der soziokulturelle Habitus des Menschen in den einzelnen Epochen? Woher kommt die einzigartige Dynamik des Abendlandes? Mit solchen Fragen…mehr

Produktbeschreibung
Alfred Weber ist Vertreter der historischen Soziologie, die Gesellschaft und Kultur in ihrer geschichtlichen Entwicklung analysiert. Dabei stehen nicht die politischen Ereignisse im Vordergrund, sondern neben den sozialen und ökonomischen Strukturen vor allem der seelische Habitus und das Lebensgefühl, die Bereiche des Unbewußten und Irrationalen. Aus welchen politisch-ökonomischen Konstellationen entstehen bestimmte Kulturen? Wie und warum ändert sich der soziokulturelle Habitus des Menschen in den einzelnen Epochen? Woher kommt die einzigartige Dynamik des Abendlandes? Mit solchen Fragen geht Weber in der Interpretation der Geschichte neue Wege, die spannende und neuartige Einsichten vermitteln. Angesichts der zunehmenden "Verapparatung" in den bürokratischen Strukturen von Staat und Wirtschaft stellt Weber die Frage, ob und wie der Mensch seine Autonomie überhaupt noch bewahren kann.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Reiter- und Immerweitervölker
Alfred Weber hat den Aufgalopp zur modernen Kulturgeschichte verpaßt / Von Hans-Ulrich Wehler

Mehr als zwei Jahrzehnte lang hält jetzt in der westlichen Geschichts-und Sozialwissenschaft die leidenschaftliche Debatte über eine neue Historische Kulturwissenschaft an. Darauf wirken mächtige lebensweltliche Impulse ein. Sie stammen aus den Erfahrungen mit multikulturellen Gesellschaften, mit fundamentalistischen Protestbewegungen gegen die Überwältigung durch die westliche Moderne, mit der überall auffälligen Resistenzfähigkeit kultureller Traditionen. In der Welt der Wissenschaft lebt diese Diskussion von den nachhaltigen Anregungen der Kulturanthropologie, von den sprachtheoretischen Anstößen des "Linguistic Turn", von der Expansionslust der Diskursanalyse bis hin zu der anregenden Scharlatanerie Foucaults. Sie zehrt nicht zuletzt auch von der Kultursoziologie, von dem Werk Max Webers und Pierre Bourdieus. Die Stoßrichtung dieser Diskussion geht dahin, daß ein umfassender Begriff von "Kultur" den der "Gesellschaft" ersetzen solle.

In der Zeit einer solchen Grundlagenkontroverse erscheint erneut Alfred Webers einstmals berühmte "Kulturgeschichte als Kultursoziologie" als Nachdruck der in Holland erschienenen Erstausgabe von 1935. Zugleich ist das der erste Band einer künftig zehn Bände umfassenden Gesamtausgabe, die als Ehrenrettung und Wiederentdeckung eines - nach Überzeugung der Herausgeber - zu Unrecht in Vergessenheit geratenen bedeutenden Sozialwissenschaftlers gedacht ist. Der Eröffnungsband sei als Werbung für das Unternehmen besonders geeignet, glauben sie, denn er demonstriere die unverminderte Anregungskraft und Aktualität von Webers Denken. Wird dieser hohe Anspruch zu Recht erhoben?

Von Alfred Weber (1868-1958), der von 1907 an ein halbes Jahrhundert lang als Soziologe und Ökonom in Heidelberg gelehrt hat, muß eine faszinierende Wirkung als Lehrer ausgegangen sein. Das Dilemma seiner wissenschaftlichen Produktion lag und liegt aber darin, daß sie seit jeher im Schatten seines genialen, etwas älteren Bruders Max stand. Selbst wenn man von diesem Dauerkonflikt absehen könnte, drängt sich doch die Frage auf, ob der Nachdruck eines Buches noch immer lohnt, das nach dem eigenen Eingeständnis des Autors vor 1914 als Entwurf "in mir fertig" war, obwohl es erst zwischen 1931 und 1934 geschrieben wurde - eines Buches also, dessen Entstehungsgeschichte achtzig bis neunzig Jahre zurückliegt. Immerhin bezeichnete Weber es als sein "eigentliches Lebenswerk". Von Selbstzweifeln nicht angekränkelt, gab er sich der Hoffnung hin, daß es dem Vergleich mit Arnold Toynbees Universalgeschichte standhalten könne.

Das erste Hindernis, das sich einem Verständnis des Textes sperrig entgegenstellt, ist, vorsichtig gesagt, sein eigentümlicher Stil. Die syntaktische Verstiegenheit, die ungebremste Neigung, eine Anhäufung blasser Abstraktionen mit einer schwer erträglichen expressionistischen Sprache aus dem Umfeld des George-Kreises zu verbinden (stets wollte Alfred Weber lieber Dichter als Wissenschaftler sein), der Rückgriff auf fatal belastete Ausdrücke (die "völkische Anlagequalität" der Russen; die "Rasseparole der Gelben") - sie bauen derart hohe Barrieren auf, daß der Leser schon sehr guten Willens sein muß, um sie immer wieder zu überwinden.

Die sachlichen Probleme dieser universalgeschichtlichen Skizzen sind dann keineswegs flachere Hürden. Alfred Weber besitzt einen antiquierten Begriff von "Kulturgeschichte", wie ihn vor 1914 etwa auch Kurt Breysig in seiner "Menschheitsgeschichte" oder auch Karl Lamprecht in seiner umstrittenden psychologisierenden Darstellung der deutschen Geschichte vertreten hat. Es geht um einen analytisch nur blaß konturierten, von der Gestaltpsychologie und Kunstgeschichte angeregten, primär geistesgeschichtlichen Abriß der "Hochkulturen", die von der Stagnation der "Primitiven" scharf abgesetzt werden. Es fehlen klare Auskünfte über die Kriterien der Problemauswahl, die Antriebskräfte und Formationsprinzipien, die überprüfbaren Funktions- und Strukturzusammenhänge. Selten nur wird der Text unterbrochen von einem hellsichtigen Urteil.

Nichts findet sich hier von dem Kulturbegriff in der Diskussion der letzten Jahre, der von der Kulturanthropologie übernommen worden ist und als Alternative zum sozialwissenschaftlichen Gesellschaftsbegriff auf die Erfassung der gesamten Lebenswelt eines menschlichen Verbandes abhebt. Nur sporadisch taucht etwas zu den Themen dieser gegenwärtigen Auseinandersetzung auf: zu Weltbildern und Sinnkonstruktionen, zu Symbolen und Ritualen, zu Sprache und Handeln, zur individuellen Perzeption von Wirklichkeit und ihrer Verarbeitung, zur Erfahrungsgeschichte und Kontingenzerfahrung. Zugegeben, hier und da äußert sich der Autor über religiöse Weltbilder, aber noch immer führt auf diesem Gebiet Max Weber ungleich weiter. Es gibt auch einige allgemeine Äußerungen über den kollektiven Habitus, doch das Raffinement von Bourdieus Habitustheorie hat sie geradezu um Lichtjahre hinter sich gelassen. Zwar beschwört Alfred Weber immer wieder den Begriff der Kultursoziologie als überlegene Alternative zur Kulturgeschichte, aber er bleibt völlig amorph. Gemeint sind meist nur strukturgeschichtliche Konstellationen, die sich heutzutage ungleich präziser in der Sprache einer theorieorientierten Geschichtswissenschaft oder der Historischen Soziologie à la Lepsius, Mann, Brubaker ausdrücken lassen.

Inhaltlich besteht der Band aus einer Serie von locker koordinierten Ausflügen in die Weltgeschichte von dem Zeitpunkt an, wo sie für Alfred Weber zählt: seit etwa 3500 vor Christus. Die Abschnitte über China und Indien halten in keinem einzigen Satz dem Vergleich mit Max Webers brillanter Syntheseleistung in seiner "Religionssoziologie" stand. Über Griechenland braucht man nur Christian Meiers "Athen", über Rom nur Alfred Heuß' "Römische Geschichte", über die Antike nur Moses Finleys Studien zu lesen, um des deprimierenden Abstandes gewahr zu werden, der Webers Buch vom modernen Forschungsstand trennt. Auf seinen Grundriß der westlichen Geschichte seit 1500 mag man erst gar nicht genauer eingehen.

Alfred Weber ist wie besessen von der Erklärungskraft eines vermeintlichen Basisphänomens, das er in der Geschichte aller Hochkulturen vorzufinden glaubt. Das ist der Vorgang der Überlagerung indigener Bevölkerungen durch Reiterstämme seit der Mitte des vierten Jahrtausends vor Christus. Diese "reiterlichen Herrenmenschen" seien, da sie ein "herrschaftliches Verhältnis" zur Natur mitbrachten, imstande gewesen, über fünftausend Jahre hinweg ihre Führungsposition zu behaupten und, das glaubt der Verfasser, mit ihren letzten Ausläufern auch die okzidentale Kultur bis 1945 zu prägen. Alle "Großkulturen" gehen aus jenem "expansiven Reiterkriegertum" hervor, an dem Webers Herz hängt. Als "unzweifelhafte Herrenvölker" tragen sie jahrtausendelang "das Geschehen".

Die derart strapazierte Überlagerungsthese ist später unter anderem auch von Alexander Rüstow in seiner "Ortsbestimmung der Gegenwart" (1950) verfochten worden. Darin mochte Weber eine Bestätigung finden. Tatsächlich geht es aber nur um eine anregende Hypothese für die Frühzeit einiger historischer Großregionen. Unter der Überlast der Zurechnung zahlloser komplexer Phänomene über die Jahrtausende hinweg bricht sie im Nu zusammen. Auch die realitätsprägende "Seele" der angeblich die unterschiedlichsten Kulturkreise dauerhaft prägenden "reiterlichen Herrenmenschen" ist ein luftiges Konstrukt, das längst an theoretischer und empirischer Anämie dahingesiecht ist. Für Alfred Weber aber ist es - vor 1914 konzipiert, doch bis zum Ende der fünfziger Jahre beibehalten - trotz aller Einwände offenbar unangefochten das unentbehrliche Fundament seiner Interpretation geblieben.

Nicht minder dubios ist die Konstruktion von vier Menschentypen zur kultursoziologischen Untergliederung der hochkulturellen Weltgeschichte. Der "Dritte Mensch" etwa, einer seiner schlimm mißhandelten Idealtypen, bewältigt in der westlichen Neuzeit das Spannungsverhältnis von Freiheit, Autonomie und Ordnung. Der "Vierte Mensch" ist das bürokratisch gegängelte, autoritär verführbare, rundum manipulierte Individuum des zwanzigsten Jahrhunderts. Was diese Fiktion neuartiger anthropologischer Konstanten in Gestalt von Typen, die jeweils die Durchschnittspersönlichkeit mehrerer Kulturkreise zu repräsentieren beanspruchen, für ein differenziertes "kultursoziologisches" Verständnis der Vergangenheit erbringen soll, bleibt schleierhaft.

Weber konstruiert überdies ein "synchronistisches Weltzeitalter" zwischen dem neunten und dem sechsten Jahrhundert vor Christus, von dem in "merkwürdiger Gleichzeitigkeit" die philosophischen und religiösen Grundlagen für die Epochen bis zirka 1500 gelegt worden seien: durch Zarathustra, altisraelische Propheten und griechische Philosophen, durch Buddha, Laotse und Konfuzius. (Der Heidelberger Freund Karl Jaspers sollte daraus eine seiner "Achsenzeiten" machen.) Angeblich ist zu dieser "weltreligiösen Glaubenssubstanz" und "philosophischen Deutungssubstanz der Menschheit" auch seit dem sechzehnten Jahrhundert "nichts grundlegend Neues mehr hinzugetreten". Gleichzeitig enden die großen Wanderungsbewegungen der Reitervölker, und es beginnt die Expansion des Westens über den Erdball. So schlägt Alfred Weber seine Schneisen durch dreitausend Jahre Geschichte.

Aber halt - da gibt es noch das Christentum, plötzlich "die stärkste revolutionäre Kraft der Welt", wenn auch offenbar ein Spätling des "Weltzeitalters". Wie wird seine historische Wirkung auf den Westen im Originalton Weber charakterisiert? Das Christentum enthielt eine paradoxe Spannung von "lebensnegativen" und "lebenspositiven Haltungen", und "unter dem Zeichen dieser Paradoxie kam der abendländische Mensch zu sich selber. Sie hat ihn vorangepeitscht zu einer Auseinanderspaltung seiner Triebe und seines Denkens ins Widerspruchsvolle", zu einem "seitlichen Herausbrechen seines Triebhaften und seines unbewußten Wollens. Komplex und undurchsichtig, zugleich nach tausend Seiten explosiv, dynamisch, so stellte ihn sein religiöses Schicksal an den Anfang seiner Wege". Undurchsichtig ist das in der Tat, denn unzweideutig beruhte die "Kulturleistung des Abendlandes" auch auf seinem "antiken Vorgut". Wobei "die Art des Eingestelltseins seiner durch das Christentum dynamisch werdenden Menschen in den antiken Sozialraum, die Aneignung von dessen Gestaltungen und Mitteln, die Tendenz entfaltet - gleichgültig, ob die Freiheit-Unfreiheit-Spannung des Nordens darüber liegt oder nicht -, die Sozialstruktur, vor allem die Wirtschaft, ja die politische Form zu einem Gegenstand stufenweise vorwärts getriebener Entwicklung zu machen, wie das kein anderer Geschichtskörper auf der Erde je gekannt hat".

Dem wird nicht jeder folgen können. Über die protestantische Reformation dagegen, die Alfred Weber offensichtlich hochschätzt, obwohl seit 1500 angeblich "nichts grundlegend Neues" die Hochkultur-Geschichte bereichert hat, äußert er sich weniger verschnörkelt. Aber ist es darum treffender? Zum Angelpunkt wird ihm Luther, der "Sachse, im Temperament Niedersachse". Er verkörpert die "Rebellion eines Urmäßigen und Deutschen" - "ein Genie als Repräsentant der unteren, chtonischen Kräfte, und zwar solcher der europäischen Mittel- und Ostgebiete, die nie in die eigentliche Antike und ihre jahrhundertelangen vorabendländischen Einflüsse einbezogen gewesen waren".

Alfred Weber habe "den Mut", versichert der Herausgeber, "jene zentralen Fragen zu stellen, die Historiker vermeiden", etwa die nach der "einzigartigen Dynamik des Abendlandes seit dem elften Jahrhundert". Das Urteil beweist eine irritierende Unkenntnis der Anstrengungen, mit der sich nicht wenige bedeutende Historiker ebendieser Frage zugewandt haben. Sei's drum. Tatsächlich beschäftigt Alfred Weber die Frage nach der okzidentalen Dynamik immer wieder. Was soll man aber heutzutage von seinem Resümee halten, "daß die dynamische Explosivkraft des Abendlandes sich aus den Spannungen ergeben hat, die eine antiherrenmäßige Demutsreligion, erlebt und rezipiert von aristokratischen Herrenseelen, stets von neuem in diesen auslösen mußte". Aus Max Webers Text letzter Hand, der berühmten "Vorbemerkung" zum ersten Band seiner "Religionssoziologie" von 1920, lernt man auf fünfzehn Seiten unvergleichlich viel mehr über die Antriebskräfte der okzidentalen Sonderentwicklung als aus Alfred Webers vierhundertneunzig Seiten. Sich an Maxens bis heute unübertroffen brillanten Abriß zu halten hätte Alfred vor aller Seelenmystifikation bewahren können.

Die Antwort Alfred Webers könne, meint der Herausgeber vorsorglich, "sicherlich nicht jeden überzeugen". Doch berge das Buch noch eine begehrte knappe Ressource, denn die "kulturkritischen Aspekte" des Weberschen Hauptwerks hätten "nichts von ihrer Aktualität verloren", etwa für die gegenwärtige Bürokratie- und Kapitalismuskritik. In Wirklichkeit finden sich nur einige äußerst sparsam eingestreute Bemerkungen, wie sie in Webers Generation überall anzutreffen sind: bei Sombart, Hintze, Troeltsch und vielen anderen. Alfreds Kurzkommentare aber sind ohne jede heuristische, geschweige denn theoretische Anregungskraft, die sich heute noch als produktiver Stachel erweisen könnte.

Die "Verapparatung" unterwirft den "Vierten Menschen" der Kontrolle durch anonyme Großorganisationen, meint Alfred Weber, und der Kapitalismus entziehe sich ebenjener gemeinwohlorientierten Steuerung, deren er so sehr bedürfe. Gewiß doch, aber was läßt sich aus solchen Thesen entfalten?

Wird das Buch vielleicht seinem Anspruch, eine klarsichtige Gegenwartsdiagnose für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu bieten, auf andere Weise gerecht? Kryptisch sind des Meisters Worte: "Der historisch tragende Aufbau der Geschichtskörper, die bisherige Art des geistigen Aufeinanderwirkens der historischen Gebilde der Nationen und der Einzelnen, ihre soziale und ökonomische Verflochtenheit, ihr staatliches Zusammengefaßtsein und das in langer Entwicklung heraufgeführte Verhältnis der verschiedenen Lebenssphären, die gesamte bisherige strukturelle und auch geistige Lebensaggregierung, die tellurische wie die besonders abendländische, sind weithin in Aufruhr und in revolutionärer Umwandlung." Die wahre Zäsur: Das "Schicksal des reiterlichen Herrenmenschen" endet endlich im Schattenreich. Denn unwiderruflich ist eine siegreiche Entwicklung auf dem Wege, "die psychischen Existenzvoraussetzungen derjenigen Menschenart anzutasten, die seit dreieinhalb Jahrtausenden auf der westlichen Hemisphäre Geschichte gemacht hat".

Etwas genauer wissen möchte man ja schon, was sich seit dem Ersten Weltkrieg getan hat und tun wird. Über die Sowjetunion weiß Alfred Weber im Nachwort von 1948/49 zu sagen: "Was heute in Rußland vorgeht, ist vom Standpunkt seines eigenen Schicksals prinzipiell nichts Anormales." Über die anderen totalitären Systeme des Nationalsozialismus und Faschismus schweigt er sich aus. Erreichte der Niedergang der "reiterlichen Herrenmenschen" in ihnen ein dramatisches Ende? Dressierten sie den "Vierten Menschen"? Dem Leser wird versichert, daß der modernisierende Teil des Globus, das "Weltabendland", "in ein im Ganzen statisches Zeitalter eintreten werde". Die beispiellose Dynamik der westlichen Weltwirtschaft seit den späten Vierzigern hat ihr Urteil über diese pessimistische Prognose gesprochen.

Das verleiht der Frage nach einer Zähmung des Kapitalismus, wie sie im Zeichen des Sozialstaatskompromisses zu glücken schien, unstreitig eine neue Dringlichkeit. Wie formuliert Weber mit diagnostischer Sicherheit dieses Problem? "Es erwächst die Frage des starken Staates und der Entökonomisierung des Daseins durch ihn, die Forderung seiner Befreiung von der Vorherrschaft der organisierten ökonomischen und sozialen partikularen Großinteressen", also "die dienende Einordnung der Wirtschaft in das Staatliche und ihre Unterordnung unter das von diesem vertretene volksmäßige seelisch-geistige Ganze, die zugleich auch die nach der Formation des Staates ist". Wie sehnt man sich da nach der hellen analytischen Sprache eines Max Weber oder eines Schumpeter.

"Wem kann Webers ,Kulturgeschichte als Kultursoziologie'", fragt der Herausgeber, "heute methodologisch und inhaltlich noch etwas bieten?" Niemandem, ist zu befürchten, kann das Buch noch etwas bieten, vielleicht nur noch der Nostalgie nach Alt-Heidelberg. Denn methologisch ist es hoffnungslos antiquiert. Methodisch beruht es auf wolkigen Spekulationen. Inhaltlich ist es von der Fachwissenschaft überall überholt. Interpretatorisch entführt es in ein verwirrendes Wolkenkuckucksheim. Und was die Aktualität der Anregungen angeht, verharrt es in vagen Gemeinplätzen. Nie zuvor ist man so nachdrücklich darüber belehrt worden, warum Alfred Weber stets im Schatten seines Bruders stand. Warum hat man ihn, in wohltätiger Vergessenheit, dort nicht weiter stehen lassen?

Alfred Weber: "Kulturgeschichte als Kultursoziologie". Hrsg. v. Eberhard Demm. Alfred Weber-Gesamtausgabe in 10 Bänden, Band 1. Metropolis Verlag, Marburg 1997. 556 S., br., 58,- DM.

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